Blühende Landschaften Deutschland schwindet die Kraft

Der Deutschland-Report von Prognos zeichnet ein düsteres Bild: Nach der Finanzkrise kommt die Wachstumskrise. Selbst wenn wir die akuten Probleme der Euro-Zone bald überwinden, wird die deutsche Wirtschaft in den nächsten 25 Jahren keine große Dynamik entfalten: Ein Prozent Wachstum, fehlende Fachkräfte und mehr Exportabhängigkeit.

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Laut Prognos wird die Schieflage des deutschen Geschäftsmodelles weiter zunehmen. Während der Anteil der Exporte am BIP weiter wächst, wird das Wachstum der Gesamtwirtschaft bescheiden ausfallen. Quelle: dpa

DÜSSELDORF. Das sagt das Forschungsinstitut Prognos in seinem Deutschland-Report voraus. Die alle fünf Jahre erneuerte Langfrist-Vorhersage zeichnet das düstere Bild eines Landes, dessen Wirtschaftskraft mit seiner Bevölkerung schwindet. Bis 2035 ist danach nur noch ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von einem Prozent pro Jahr zu erwarten.

Deutschland wird ein wohlhabendes Land mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen bleiben - schließlich verteilt sich die Wirtschaftsleistung auf immer weniger Köpfe. Aber die Bürger dieses Landes werden dafür mehr und länger arbeiten müssen.

Die Deutschen werden weniger

"Es ist nicht so, dass wir mit pessimistischen Annahmen an unsere Prognose herangegangen wären", sagt Christian Böllhoff, Geschäftsführer der Prognos AG. "Auch wenn man steigende Investitionen und höhere Produktivitätsfortschritte als zuletzt annimmt, ist es ausgesprochen schwierig, Ansatzpunkte für ein langfristiges Wachstum oberhalb von einem Prozent zu finden." Der Hauptgrund: Die Zahl der Deutschen geht bis 2035 um 3,74 Millionen auf knapp 78 Millionen zurück. Das lässt sich nicht so einfach kompensieren.

Bis 2013 wird es nach Einschätzung der Prognos-Forscher allein dauern, bis die deutsche Wirtschaft die Verluste durch die globale Rezession aufgeholt hat. Auch danach geht es nicht schwungvoll aufwärts. Zwar wird die Industrie von der starken Nachfrage aus den Schwellenländern profitieren, aber die Binnenwirtschaft bleibt schwach.

Die Schieflage des deutschen Geschäftsmodells nimmt sogar noch zu. Machen die Exporte heute 48 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, so werden es in 25 Jahren 72 Prozent sein. Mit einer jährlichen Wachstumsrate von 2,7 Prozent expandieren sie fast dreimal so stark wie die Gesamtwirtschaft. Der Überschuss der Handelsbilanz wird sich von 4,4 auf 8,5 Prozent des BIP fast verdoppeln. "Deutschland wird zwar Weltmarktanteile verlieren, aber der Export wird eine zentrale Stütze für Wachstum in Deutschland bleiben", sagt Michael Böhmer, Projektleiter des Deutschland-Reports, der heute in München vorgestellt wird.

Der private Konsum wird den Baseler Forschern zufolge bis 2035 mit plus 0,8 Prozent pro Jahr im Gleichschritt mit den verfügbaren Einkommen wachsen. Sein Anteil am BIP wird damit bei gut 55 Prozent stabil bleiben - in den USA liegt er bei 70 Prozent.

Die Konsumausgaben des Staates, die seine Personalausgaben sowie die Sachleistungen des Sozialversicherungssystems enthalten, waren dank einiger Reformen seit Mitte der Neunzigerjahre rückläufig, sind jedoch im Zuge der Rezession auf knapp 20 Prozent gestiegen. Dort werden sie laut Prognos verharren, obwohl die alternde Bevölkerung höhere Sozialleistungen beansprucht. Der Grund dafür ist, dass die Forscher den Abbau von rund 800 000 Stellen im öffentlichen Dienst einkalkulieren.

Staat muss Investoren anlocken

Optimistisch sind sie für die Investitionen. Sie erwarten, dass sowohl die staatlichen als auch die privaten Investitionen in Ausrüstungen stärker wachsen als die Gesamtwirtschaft. "Wir gehen davon aus, dass höherer Innovationsbedarf und kürzere Lebenszyklen von Produkten höhere Investitionen erfordern werden", sagt Böhmer.

Mehr Investitionen im Inland gelten vielen Ökonomen als Rezept für eine dynamischere und ausgeglichenere Wirtschaft. "Wenn wir höhere Wachstumsraten haben wollen, dann dürfen wir nicht länger einen so großen Teil unseres gesparten Kapitals ins Ausland exportieren", warnt Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz-Gruppe. Der Standort Deutschland sei zwar in den vergangenen Jahren deutlich attraktiver geworden, aber die Politik könne mit Bürokratie-Abbau und Steuervorteilen nachlegen. "Besser der Staat animiert Unternehmen zu höheren Investitionen, als dass er selber mehr investiert", sagt er.

"Die Aussichten für die Industrie sind exzellent, aber die Frage ist, wo künftig die Wertschöpfung stattfindet", pflichtet Hans-Joachim Haß, Leiter der Abteilung Allgemeine Wirtschaftspolitik beim BDI, bei. "Wenn die Politik nicht radikal umsteuert und bessere Bedingungen für Investitionen schafft, dann werden die Aussichten für die deutsche Wirtschaft am Standort Deutschland mehr als bescheiden bleiben." Ein Prozent Wachstum sei zu wenig, um die Staatsfinanzen zu sanieren und junge Akademiker im Land zu halten.

"Man unterschätzt leicht, wie stark die Haushaltsdefizite auf Veränderungen der Wachstumsraten reagieren", sagt Heise. Bei den Wachstumsraten, die Prognos vorhersagt, wird jedenfalls die Schuldenbremse nicht einzuhalten sein. Für 2016, das Jahr, in dem das Defizit des Bundes maximal 0,35 Prozent des BIP betragen dürfte, sagt Prognos dem Gesamtstaat noch zwei Prozent Defizit voraus - trotz der Sparmaßnahmen, die die Forscher einkalkuliert haben.

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Arbeitsmarkt: Es fehlt an Fachkräften

DÜSSELDORF. Die gute Nachricht zuerst: 2035 werden laut Prognos nur gut halb so viele Menschen arbeitslos sein wie heute. Die schlechte Nachricht ist, dass dann trotz schrumpfender Bevölkerung immer noch 1,875 Millionen Menschen ohne Job sein werden. Der Hauptgrund für die Unterbeschäftigung ist das schwache Wachstum von nur einem Prozent pro Jahr.

Trotz der Arbeitslosigkeit steht deutschen Firmen aber ein bedrohlicher Fachkräftemangel ins Haus. Nicht jeder Erwerbslose könne jede freie Stelle besetzen, warnen die Forscher. Die Nachfrage nach einfachen Industrie-Jobs sinke, während die nach qualifizierten Dienstleistern steige. Bereits im letzten Aufschwung hatten die Unternehmen den Fachkräftemangel zu spüren bekommen. Vor allem größere Mittelständler klagten, wie schwer es sei, Experten in die Provinz zu locken. So bezifferte das Institut der deutschen Wirtschaft 2006 den Verlust an Wertschöpfung durch Fachkräftemangel auf 3,5 Mrd. Euro.

Laut Prognos dürfte 2030 bei konstanter Erwerbsbeteiligung und Arbeitszeit die Lücke bei rund 5,2 Mio. Arbeitskräften liegen. Vor allem Arbeitnehmer mit Hochschulabschluss oder beruflichem Abschluss würden zur Mangelware. Jede vierte Akademiker-Stelle und jeder zehnte Posten für Menschen mit beruflichem Abschluss dürften 2030 unbesetzt bleiben. Besonders knapp werden dann Ingenieure und Naturwissenschaftler sein.

Allein die von den Prognos-Experten unterstellte Verlängerung der jährlichen Arbeitsstunden je Erwerbstätigen von heute 1 400 auf rund 1 500 im Jahr 2030 sowie der Anstieg der Erwerbsquote von 80 auf 92 Prozent reichen nicht aus, um diesen Trend zu stoppen. Vielmehr müsse auch über eine längere Lebensarbeitszeit und eine spürbar steigende Zuwanderung nachgedacht werden, heißt es. Damit diese Rechnung aufgehe, müssten Zuwanderer besser integriert und die Anreize zum lebenslangen Lernen deutlich verstärkt werden.

Arbeitsmarkt: Es fehlt an Fachkräften

Weltwirtschaft: Die Gewichte verschieben sich nach Osten

FRANKFURT. Der Welthandel wird auch in den kommenden Jahren stärker zulegen als das globale Bruttoinlandsprodukt (BIP). Das Tempo, das der weltweite Handel vor der Krise hatte, wird er aber bei weitem nicht wieder erreichen. Diesen Ausblick wagen die Wissenschaftler des Prognos-Instituts in ihrem Langfrist-Ausblick bis 2035.

Dass die globale Wirtschaft die Talsohle durchschritten und wieder eine hohe Dynamik erreicht hat, verdankt sie vor allem den asiatischen Schwellenländern. Insbesondere China legt rasant zu, zuletzt 2009 um knapp neun Prozent. Die USA nähmen ihre Rolle als Lokomotive der Weltwirtschaft künftig nur noch eingeschränkt wahr, sagen die Ökonomen voraus. Ihr Anteil an der Weltproduktion sinke.

Die neue Gewichtung der Weltwirtschaft wird sich in den kommenden Jahrzehnten weiter verstärken, erwarten die Prognos-Experten. "Vor allem China und Indien werden zukünftig verstärkt die Rolle wichtiger globaler Akteure einnehmen und so die politische und wirtschaftliche Weltordnung verschieben", schreiben sie. China sei gemessen an seiner Wirtschaftsleistung bereits zur drittgrößten Volkswirtschaft und zum Exportweltmeister aufgestiegen und werde bald auch an Japan vorbeiziehen. Dieses Wachstumstempo werde China allerdings nicht halten können: Steigende Löhne setzten die Preise der Exportwaren verstärkt unter Druck. Und auch die rasant steigenden Immobilienpreise könnten zu einer Gefahr für die Wirtschaftsleistung Chinas heranwachsen.

Der Europäischen Union (EU) sagen die Ökonomen eine mühsame Erholung vorher. Der massive Anstieg der Staatsverschuldung, die hohe Arbeitslosigkeit, die instabilen Immobilienmärkte vieler EU-Länder sowie die schweren Auswirkungen der Krise in den mittel- und osteuropäischen Ländern prägten die wirtschaftliche Entwicklung der EU in den nächsten Jahren deutlich, schreiben sie.

Weltwirtschaft: Die Gewichte verschieben sich nach Osten

Strukturwandel: Industrie bleibt Herz der Wirtschaft

FRANKFURT. Die Dienstleister nehmen eine immer wichtigere Rolle ein - die Industrie bleibt aber das Herz der deutschen Volkswirtschaft. Das sagt Prognos für die Jahre bis 2035 voraus. Von einer Deindustrialisierung könne keine Rede sein. Viele Serviceleistungen, die Industriebetriebe früher selbst übernommen hätten, seien inzwischen ausgelagert und würden somit als Dienstleistungen verbucht.

Die reale Bruttowertschöpfung der Industrie wird laut Prognos in den kommenden 25 Jahren um durchschnittlich 1,5 Prozent wachsen, im Dienstleistungssektor aber nur um ein Prozent. Aufgrund höherer Produktivitätsfortschritte in der Industrie sinke aber ihr Anteil an der Zahl der Erwerbstätigen.

Die Globalisierung bleibt wichtigster Treiber dieses Strukturwandels. Sie erhöht die Wettbewerbsintensität und verbessert die Absatzchancen. Das gilt für Deutschland mit seiner starken Außenhandelsorientierung besonders. Die internationale Arbeitsteilung ist es aber nicht allein. Auch der technische Fortschritt und das Konsumentenverhalten sorgen für eine stete Anpassung der Volkswirtschaft.

Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer des Strukturwandels? Profitieren werden laut Prognos Anbieter von Unternehmensdienstleistungen und das Gesundheitswesen, dem die Alterung der Gesellschaft nutzt. Schon 2008 beschäftigten diese beiden Branchen zusammen 21,5 Prozent der Erwerbstätigen. Dieser Anteil dürfte bis 2035 auf mehr als ein Viertel steigen. Einen schweren Stand haben dagegen Branchen, die international nicht konkurrenzfähig sind, wie der Bergbau oder die Textilindustrie.

Strukturwandel: Industrie bleibt Herz der Wirtschaft

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