Zukunft des Kapitalismus Bringt die Finanzkrise die Globalisierung zum Stillstand?

Die Finanz-und Wirtschaftskrise verändert auch den Prozess der Globalisierung. Haben Freihandel und weltweite Vernetzung eine Zukunft? Oder droht uns ein neues Zeitalter des Protektionismus?

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Attac-Aktivisten in der Quelle: REUTERS

Eigentlich sollte es ein Massenprotest werden. Doch gerade einmal 1500 Menschen kamen, um jüngst vor dem Bundesfinanzministerium zu demonstrieren. Eine herbe Enttäuschung für die Aktivisten von Attac, die zum Protest gegen das Weltfinanzsystem aufgerufen hatten. Ihr Slogan „Das Casino schließen!“ scheint derzeit kaum jemanden hinter dem Ofen hervorzulocken. Statt Hochstimmung herrscht im Lager der Globalisierungskritiker allgemeine Ratlosigkeit. Jahrelang warnten Organisationen wie Attac vor der Unkontrollierbarkeit des Finanzsystems. Nun sehen sie sich bestätigt, doch niemanden interessiert es. Von einem „Sieg, aus dem wir keinen Profit schlagen“ spricht Peter Wahl von der Nichtregierungsorganisation Weed und Mitgründer von Attac Deutschland.

Doch das könnte nur die Ruhe vor dem Sturm sein. Auf die allgemeine Lähmung nach dem Schock könnten schon bald Frust und Zorn folgen. Wenn sich Ende Januar die Eliten aus Politik und Wirtschaft im abgeschirmten Schweizer Skiort Davos zum alljährlichen Weltwirtschaftsforum treffen, wird die Öffentlichkeit besonders kritisch hinschauen. Spätestens beim Weltfinanzgipfel der G20-Staaten Anfang April in London dürfte dann eine breite Menge ihrem Unmut Luft machen oder doch Sympathie für die Demonstranten zeigen.

Längst geht es dabei nicht mehr nur um störrische Globalisierungsgegner. Das Vertrauen der gesellschaftlichen Mitte in Marktwirtschaft und Kapitalismus ist erschüttert. „Wir stehen womöglich vor einer Zeitenwende“, sagt Rolf Langhammer, Ökonom und Vizepräsident des Kieler Weltwirtschaftsinstituts. Jahrzehntelang vertraute der Westen im Gefolge des Ökonomie-Urvaters Adam Smith der unsichtbaren Hand des Marktes – nicht als der optimalen, wohl aber der bestmöglichen ökonomischen Organisationsform. Nun gerät das Credo unter Beschuss und mit ihm die Globalisierung als Trägersystem der freien Märkte.

Skepsis gegenüber der weltweiten Integration von Handel und Finanzmärkten gab es schon immer – oft gerade in Ländern wie Deutschland, die am meisten von ihr profitieren. Umfragen des Instituts für Demoskopie Allensbach zeigen, dass die Globalisierung in den vergangenen Jahren in zunehmenden Maße als Bedrohung empfunden und für Arbeitsplatzverluste, Ungleichheit und Umweltzerstörung verantwortlich gemacht wird. Die aktuelle Krise dürfte diesen Trend noch verstärken.

Doch die Globalisierung ist nicht primär für die Krise verantwortlich. An erster Stelle standen die Maßlosigkeit und Unvorsichtigkeit der Banken, die laxe Hausbau- und Geldpolitik der USA sowie machtlose Aufsichtsbehörden. Und dennoch: Die Globalisierung hat das Versagen dieser Instanzen verschärft und potenziert. Erst die Verflechtung von Banken, Kapital- und Handelsströmen hat das Platzen der Immobilienblase in den USA zu einem weltweiten Erdbeben eskalieren lassen. Der Soziologe Ulrich Beck spricht in diesem Zusammenhang von einer neuen „Weltrisikogesellschaft“: Die Vernetzung schafft weltweite Abhängigkeiten und globalisiert damit auch die Risiken. Niemand kann sich mehr in seine Ecke zurückziehen und vom Rest der Welt lossagen. Je komplexer ein System sei, desto instabiler werde es, meint auch SAP-Chef Henning Kagermann. „Insofern sorgt Vernetzung für Instabilität. Die Krisen werden häufiger, sie werden unvorhersehbarer und sie werden kräftiger werden.“

Doch was bedeutet das für die Zukunft der weltweiten Vernetzung? „Die Globalisierung wird sich entschleunigen“, sagt Langhammer. „Wir werden einen Rückzug auf das Nationale und das Lokale erleben.“ In Zeiten der Krise sei dies der natürliche Schutzreflex des Menschen.

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