100 Tage Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt Zweckbündnis gegen Rechtspopulisten

Leere Kassen, aber volle Versprechungen: Sachsen-Anhalts Regierung von CDU, SPD und Grüne versucht den Spagat. Die ersten 100 Tage hat das geklappt. Nun steht eine harte Belastungsprobe an.

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Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU, m.) , Cornelia Lüddemann, Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen (l.) und Burkhard Lischka (r.), SPD-Landesvorsitzender, haben ihre Parteien vor 100 Tagen zur bundesweit ersten „Kenia-Koalition“ zusammengeführt. Quelle: dpa

Magdeburg Sachsen-Anhalts einzigartige schwarz-rot-grüne Landesregierung hat nur eine gefährlich knappe Mehrheit. Doch in den ersten 100 Tagen hat sich die Kenia-Koalition geschlossen gezeigt. Das hat einen einfachen Grund: Bei der Landtagswahl am 13. März erhielt die im Land oftmals als völkisch-nationalistisch eingestufte AfD fast jede vierte Stimme. Der gemeinsame Gegner eint die sehr unterschiedlichen Koalitionäre bislang. Doch in den kommenden Wochen soll nun über den Haushalt beraten werden – eine Belastungsprobe.

Nach der Wahl hatte der Zusammenschluss zur ersten schwarz-rot-grünen Landesregierung in Deutschland kaum Alternativen. Vor allem die CDU unter Regierungschef Reiner Haseloff (CDU) betonte, das Land brauche eine stabile Regierung. „Kenia war und ist eher ein Zweckbündnis denn eine Liebesheirat“, meint der Magdeburger Politologe Roger Stöcker. Wie lange solche Modelle halten, sei aber schwer zu beurteilten. So sei die erste rot-grüne Regierung in Hessen nach nur 14 Monaten gescheitert. Aber die Geschichte zeige auch, dass neue Modelle durchaus Bestand haben können.

Ende August wollen die Koalitionäre nun über den Haushalt 2017/18 beraten. Bislang deutet alles auf höhere Ausgaben hin – obwohl die Kassen leer sind. Mehr Polizisten, mehr Lehrer, weniger Gebühren für Kindertagesstätten. „Bedauerlicherweise zeigt der Koalitionsvertrag, dass man im Interesse des Zusammenhaltens wieder die Spendierhosen anziehen will“, sagt der Politik-Professor Wolfgang Renzsch von der Uni Magdeburg. „Das Bekenntnis zu einer soliden Haushaltspolitik ist nicht überzeugend.“ Dabei hat das Land bereits rund 20 Milliarden Euro Schulden angehäuft – Spitzenwert in Ostdeutschland.

Derweil ist das Auftreten der AfD im Landtag von Pannen, Populismus und Provokationen geprägt. Eine Koalition mit der AfD oder auch nur eine CDU-Minderheitsregierung mit AfD-Tolerierung scheint heute noch viel mehr ausgeschlossen als kurz nach der Wahl. „Von diesem Verein der Vereinfacher und Spalter konnte man nichts Gutes erwarten, es ist schlimmer gekommen als befürchtet“, meint Politikwissenschaftler Renzsch.

Aufsehen erregte die AfD etwa damit, dass sie während der Debatte über eine Regierungserklärung von Ministerpräsident Haseloff einfach den Landtag verließ – um sich vor der Tür einer Demonstration gegen Abwasserbeiträge anzuschließen. Der von der AfD vorgeschlagene Vize-Landtagspräsident wurde gewählt – nur um dann gleich nach seinem ersten, unsicheren Auftritt am Rednerpult das Handtuch zu werfen. An einer AfD-Tür im Landtag prangte wochenlang ein Anti-Merkel-Schild – obwohl dort Werbung eigentlich verboten ist. Und AfD-Landeschef André Poggenburg brachte wegen unzureichender Abgrenzung zur sogenannten Identitären Bewegung seine eigenen Kreis-Chefs gegen sich auf.

Anfangs habe es noch so ausgesehen, als agiere die AfD professioneller als die Ende der 90er Jahre zweistellig in den Landtag eingezogene rechtsextreme DVU, meint Stöcker. „Drei Monate später erweckt die innere Zerrissenheit der AfD den Anschein, als ob die Partei vor einem ähnlichen Selbstzerlegungsprozess wie einst die DVU steht.“

An diesem Dienstag ist die neue schwarz-rot-grüne Regierung den 100. Tag im Amt. In einer Pressekonferenz will die Kenia-Mannschaft dann eine erste Bilanz ziehen. Die SPD, die auf 10,6 Prozent abgestürzt war und mehr als die Hälfte ihrer Sitze verlor, zog bereits Bilanz – und betonte angesichts der jüngsten Anschläge in Europa, wie wichtig ein funktionierender Rechtsstaat sei. Und zur AfD meinte der neue Parteichef Burkhard Lischka verächtlich: „Diesen Typen wollten wir nicht dieses Land überlassen.“

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