Kanzlerin Angela Merkel drängt die Bundesländer zur schnelleren gemeinsamen Abschiebung und Rückführung von Migranten. Am Donnerstag soll in einer gemeinsamen Sitzung mit den Ministerpräsidenten ein Maßnahmenbündel verabredet werden, das im Kanzleramt in einem 16-Punkte-Papier zusammengefasst worden ist. Geplant ist unter anderem eine zentrale Einrichtung, die Sammelabschiebungen koordinieren soll. Auch Bundesausreisezentren werden angepeilt. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) erklärte, sie sehe bei den genannten Punkten noch erheblichen Klärungsbedarf.
Hintergrund des Vorstoßes ist die schnell steigende Zahl von Asylentscheiden durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Dadurch wächst auch die Zahl der Menschen, die Deutschland wieder verlassen müssen. Merkel hatte am Montag in München gefordert, das Thema Rückführungen ganz oben auf die politische Agenda zu setzen. "Es bedarf deshalb einer nationalen Kraftanstrengung, um zusätzliche Verbesserungen in der Rückkehrpolitik zu erreichen", heißt es in dem Papier.
Im vergangenen Jahr wurden mehr als 25.300 Personen abgeschoben, im Jahr 2015 waren es knapp 21.000. Mit staatlicher Förderung kehrten zudem mehr als 55.000 Menschen in ihre Heimat zurück.
Die Chronologie der Flüchtlingskrise
Deutschland setzt das Dublin-Verfahren für Syrer aus. Es sieht die Rückführung von Flüchtlingen dorthin vor, wo sie zuerst EU-Boden betraten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nennt die Bewältigung des Flüchtlingszustroms eine „große nationale Aufgabe“ und beteuert: „Wir schaffen das.“
Deutschland und Österreich entscheiden, Tausende Flüchtlinge und Migranten aufzunehmen, die in Ungarn gestrandet sind. Bei der Ankunft in Deutschland werden sie bejubelt. CSU-Chef Horst Seehofer fühlt sich übergangen und warnt vor Überforderung.
Die EU-Staats- und Regierungschefs beschließen, die Hilfen zu erhöhen und 160.000 Flüchtlinge auf die Mitgliedsländer zu verteilen. Eine große Entlastung für Deutschland bleibt aus.
Der Bund stockt die Hilfe für Flüchtlinge an Länder und Gemeinden massiv auf.
Der Bundestag beschließt ein neues Asylrecht. Albanien, Kosovo und Montenegro werden zu sicheren Herkunftsländern. Asylbewerber sollen möglichst nur Sachleistungen erhalten.
Die Koalition verständigt sich auf besondere Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge mit geringen Bleibechancen. Zudem wird eine zweijährige Aussetzung des Familiennachzugs bei Flüchtlingen mit niedrigerem Schutzstatus beschlossen.
Auf dem CSU-Parteitag in München lehnt Merkel die CSU-Forderung nach einer Obergrenze für die Zuwanderung strikt ab.
Nach Slowenien, Kroatien und Serbien schließt auch Mazedonien seine Grenze für Flüchtlinge und andere Migranten. Damit ist die Balkanroute faktisch dicht, über die 2015 mehr als eine Million Menschen nach Deutschland und Österreich gekommen waren.
Die EU und die Türkei einigen sich darauf, Migranten, die illegal in Griechenland ankommen, in die Türkei zurückzuschicken. Im Gegenzug soll für jeden zurückgenommenen Syrer ein anderer Syrer legal und direkt von der Türkei aus in die EU kommen.
Die Rückführung von Flüchtlingen und anderen Migranten von Griechenland in die Türkei sowie die Umsiedlung von Syrern aus der Türkei in die EU beginnt.
Die EU-Kommission will Flüchtlinge gerechter verteilen. Wie viele ein Land aufnehmen muss, soll von Größe und Wirtschaftskraft abhängen. EU-Staaten, die bei dem System nicht mitmachen, sollen 250.000 Euro pro Flüchtling zahlen.
Die EU verlängert die Erlaubnis für vorübergehende Grenzkontrollen im eigentlich passkontrollfreien Schengen-Raum.
Der Bundestag erklärt Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsländern. Die notwendige Zustimmung des Bundesrates bleibt zunächst aus.
Die EU einigt sich im Grundsatz auf eine gestärkte gemeinsame Grenzschutzagentur und Küstenwache. Die bestehende EU-Grenzschutzagentur Frontex soll in der neuen Behörde aufgehen.
Die EU-Kommission will schärfer gegen Asylmissbrauch vorgehen. Wer nicht mit den Behörden des Aufnahmestaates zusammenarbeitet, müsse mit einer Ablehnung rechnen.
Das in dem Papier vorgesehene "Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr" (ZUR) soll der Abstimmung zwischen Bund und Ländern dienen und in ständigem Kontakt mit den Botschaften der Herkunftsstaaten stehen. Bei Problemfällen soll es die nötigen Dokumente beschaffen, etwa Pässe. Das Zentrum soll innerhalb von drei Monaten in Berlin errichtet werden.
Wer keine Bleibeperspektive hat, solle möglichst nicht mehr dezentral in den Kommunen untergebracht werden. Der Bund will prüfen, inwieweit er eine Zuständigkeit bei der Beendigung eines Aufenthalts übernehmen kann. Einen Mehrwert könnten sogenannte Bundesausreisezentren schaffen, heißt es in dem Papier. In diesen können Personen dann in den letzten Tagen oder Wochen ihres Aufenthalts wohnen. De Maiziere hatte solche Ausreisezentren schon zu Jahresanfang vorgeschlagen. Über die Erfolgsaussichten äußerte er sich bei einem Termin in Hessen nicht. Der CDU-Politiker betonte aber, der Beschlussvorschlag sei am Montag mit den Parteichefs der Koalition, Justizminister Heiko Maas und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann abgestimmt worden.
Der Bund bietet an, im Jahr 2017 zusätzlich 40 Millionen Euro für Rückkehrprogramme und 50 Millionen Euro für Reintegrationsprogramme in den Herkunftsländern von Migranten einzusetzen. Die Länder sollen eine ausreichende Zahl an Abschiebehaftplätzen bereitstellen. Zudem soll eine möglichst lückenlose Erfassung der Rückführungen und freiwilligen Ausreisen organisiert werden. Bund, Länder und lokale Ausländerbehörden sollen ein gemeinsames IT-System einrichten, um Daten zwischen den Ebenen austauschen zu können. Die Länder sollen sich verpflichten, verstärkt Amtsärzte einzusetzen, wenn die Reisefähigkeit der Betroffenen geprüft werden muss.
Die Bundesregierung will ihrerseits die Verhandlungen mit wichtigen Herkunftsstaaten vorantreiben, um die Kooperation bei der Rücknahme eigener Staatsangehöriger zu verbessern. Das Bamf soll auch Handy und Sim-Karten von Flüchtlingen auswerten dürfen, um ihre Identität zu überprüfen.
Wie zwischen de Maiziere und Maas verabredet, soll zudem die Ausreisepflicht stärker durchgesetzt werden, etwa durch eine Erweiterung der Abschiebehaft für Ausländer, "von denen eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben" ausgeht. Als Ziel von Bund und Ländern wird in dem Papier eine "flächendeckende staatliche Rückkehrberatung" genannt, die früh einsetzen soll.
GdP-Chef Jörg Radek sagte, jede politische Absichtserklärung müsse sich an rechtsstaatlichen Grundsätzen messen lassen. Werte und Rechtsauffassung dürften nicht durch politischen Aktionismus geopfert werden. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich sagte dem MDR, in den meisten Punkten sei eine Übereinstimmung möglich. Es werde aber auch den ein oder anderen Änderungsvorschlag seitens der Länder geben.