20 Jahre Mauerfall Deutschland einig Flickenteppich

Seite 3/8

ACTect Freiberg, Erzgebirge: Geschäftsführer Florian Wendt (rechts), 48, und Mitarbeiter Mike Müller, 37 Quelle: Sebastian Hänel für WirtschaftsWoche

Mike Müller zum Beispiel, CNC-Programmierer bei der Firma ACTech im sächsischen Freiberg. Müller gehört zu den Spitzenverdienern in der Produktion des hoch spezialisierten Automobilzulieferers; mit viel Fleiß und Schweiß hat er es vom gelernten Zerspanungsmechaniker, Maler und Fußbodenleger zum Gruppenleiter gebracht, seinen Arbeitsplatz an der Maschine vor Kurzem gegen einen Arbeitsplatz an Bildschirm und Schreibtisch eingetauscht. Müller hat sein Monatsgehalt in den sechs Jahren bei ACTech von 1800 Euro brutto auf 2600 Euro steigern können, für 40 Stunden in der Woche, manchmal mehr, versteht sich, kein Urlaubsgeld, kein Weihnachtsgeld, aber egal, Müller kennt es nicht anders, Müller findet es in Ordnung: „Wir werden hier nicht nach Tarif bezahlt, sondern nach Leistung.“

Müller weiß, dass er in Baden-Württemberg leicht Tausend Euro mehr verdienen könnte, aber umziehen möchte er deshalb noch lange nicht; seine Familie, seine Freunde, die Stunden beim Squash, beim Billard, in der Sauna – Müller möchte darauf nicht verzichten, sein „hübsch geregeltes Leben“ nicht missen, seine Heimat, den Dom, das Theater, die herausgeputzte Innenstadt, das Wandern und Zelten im Erzgebirge, auch wenn die Mieten hier mittlerweile genauso hoch sind wie in einer vergleichbar großen Stadt im Westen: „Ich bin der ortsgebundene Typ.“

Im Belegschaftsausschuss sitzt Müller oft seinem Chef gegenüber, Florian Wendt, der die Firma Mitte der Neunzigerjahre aus dem Nichts gegründet hat und heute mehr als 300 Menschen beschäftigt. Wendt hat zugesehen, wie die DDR planwirtschaftlich zugrunde gerichtet wurde, sein Vater war selbstständig, führte in Grünhainichen einen Betrieb für erzgebirgische Volkskunst, bis der Staat sich entschloss, auch Nussknacker zu verstaatlichen, Räuchermännchen in Gewahrsam zu nehmen – und Wendts Vater enteignete.

„1972 war das“, sagt Wendt, „ich werde es nie vergessen.“ Heute, nach dem Tod seines Vaters, ist Wendt Teilhaber der reprivatisierten Firma. Sein Geld verdient er jedoch nicht mit Schwibbogen, sondern mit der schnellen Herstellung von Prototypen, vor allem für die Autoindustrie, die ACTech bei Bedarf in drei, vier Tagen gießt.

Die Lage ist ernst

Wendt ist ein beeindruckender Mann, ein Ingenieur mit einer Geschäftsidee, ein Unternehmer mit einem Traum, so tatkräftig wie bescheiden. Wendt fährt einen weißen Golf, mietet Übernacht-Besucher in einer kleinen Pension ein, überlässt Mitarbeitern sein Büro, wenn es nötig ist. Den Umsatz seiner Firma hat er von 46.000 Euro (1995) auf 33,5 Millionen (2008) gesteigert, ein neues Gebäude ist beinahe bezugsfertig, aber natürlich zieht die Wirtschaftskrise nicht spurlos an ACTech vorüber, der Umsatz fällt, zum ersten Mal, die Lage ist ernst, für die Mitarbeiter dramatisch.

Im Belegschaftsausschuss diskutieren sie derzeit über die Frage, wie sich Kündigungen vermeiden lassen. 20 Prozent Lohnverzicht für alle stehen zur Debatte. Oder 35 Prozent auf das, was über dem liegt, was jedem sicher sein soll: 1500 Euro brutto. „Es ist bitter, aber ich denke, wir werden eine Lösung finden“, sagt Florian Wendt. „Es ist bitter, aber ich denke, wir werden eine Lösung finden“, sagt Mike Müller.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%