20 Jahre Mauerfall Mitten am Rand der innerdeutschen Grenze

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Warrlich-Geschäftsführerin Häßler: 1972 von der DDR enteignet, gleich nach der Wende reprivatisiert Quelle: Nils Hendrik Müller für WirtschaftsWoche

Kein Wunder, dass immer mehr junge Leute abwandern. „Bis 1995 zog es vielen Menschen in die Region, darunter viele Richter und Staatsanwälte, die in Thüringen Aufbauhilfe leisteten“, erzählt Gebhard, „doch seither hat Wanfried von einst 5000 Einwohnern 600 verloren.“ Ungefähr so viele wie im benachbarten Treffurt, wo inzwischen auf eine Geburt zwei Sterbefälle kommen. Die Demografen haben ausgerechnet, dass der Werra-Meißner-Kreis bis 2050 mehr als ein Viertel seiner Bevölkerung verlieren wird. Die Auswirkungen sind allenthalben jetzt schon sichtbar: Immer mehr Häuser stehen leer, Wohnungsbaugesellschaften investieren nicht mehr in die Gebäude, ältere Menschen dominieren das Stadtbild.

Reizvoll ist vor allem die Umgebung, mit Rad- und Wanderwegen, einem Fluss, der zu Kanutouren einlädt, und der schöne Ortskern. Eine Bürgerinitiative bemüht sich um den Erhalt der Wanfrieder Häuser, die Stadt versucht, die leer stehenden Fachwerkhäuser übers Internet zu vermarkten – an Interessenten in Berlin oder Hamburg, aber auch im europäischen Ausland, zum Beispiel in Holland. Die Generation 60 plus, die das Leben in der Großstadt satt hat, soll mit schönen, preiswerten, behindertengerechten Wohnungen gelockt werden.

Von Thüringern lernen

„Warum nicht nach Wanfried?“, sagt der Bürgermeister. Zwei Häuser seien schon verkauft worden, bei zwei weiteren stehe man in Verhandlungen. Schon heißt es, der Bürgermeister hole alte Leute hierher und mache die Stadt noch älter. Doch jeder Rentner, so Gebhard, der in Wanfried Geld ausgibt und damit Arbeitsplätze auch für junge Leute sichert, womöglich in der Altenbetreuung, sei willkommen. Ob das reicht, um sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen?

„Wer kämpft, der kann verlieren, wer nicht kämpft, der hat schon verloren“, sagt Hans-Jürgen Germerodt, Geschäftsführer und Gründer des Wanfrieder Gesundheitsunternehmens Werkmeister. Und könne dabei, so Germerodt, sogar von den Thüringern aus dem Grenzgebiet lernen. Zum Beispiel, wie man improvisiert, aus nichts etwas macht. Wie man sich selbst hilft, anstatt auf Hilfe zu warten – „denn das war immer eine weit verbreitete Mentalität am Zonenrand“.

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