25 Jahre Wiedervereinigung Der Osten ist kein blühendes Reservat

Hat die ostdeutsche Wirtschaft 25 Jahre nach der Einheit den Anschluss geschafft? Und kommt es darauf überhaupt an? Ein Jubiläumsgespräch, das dem Anlass entspricht: optimistisch, aber nachdenklich.

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Deutsche Einheit: Wo steht die ostdeutsche Wirtschaft 25 Jahre nach der Wiedervereinigung? Quelle: dpa Picture-Alliance

Ja, diese zwei Worte, sie hängen Ostdeutschland um den Hals und den meisten Ostdeutschen zugleich zum Hals hinaus: blühende Landschaften. Helmut Kohls Versprechen an die neuen Landsleute, ausgesprochen direkt nach der Währungsreform 1990. Aber sie hängen eben an ihm. Deshalb so ein Ort wie der Botanische Garten Dresden für das Gespräch, in dem es um die deutsche Einheit geht: viel Grün, wenig Blüten. Wie überall im Osten? Den Versuch der Deutung wagen die Unternehmerin Katja Hillenbrand, jüngst zur „Sächsischen Unternehmerin des Jahres“ gewählt, die als Westdeutsche im Erzgebirge ein Unternehmen für Sensortechnik aufgebaut hat. Außerdem der Ökonom Joachim Ragnitz vom Dresdner ifo Institut, noch ein Wessi und trotzdem einer der besten Kenner der ostdeutschen Wirtschaft, sowie Martin Dulig, sächsischer Wirtschaftsminister (SPD), und der Schriftsteller Ingo Schulze. Letzterer hat ein Heimspiel: Er wurde in Dresden geboren.

WirtschaftsWoche: Frau Hillenbrand, werte Herren, haben Sie 1990 an Kohls „blühende Landschaften“ geglaubt? Oder waren Ihnen allen die Worte des damaligen Bundeskanzlers völlig egal?

Katja Hillenbrand: Weder noch, ehrlich gesagt. Als die Mauer fiel, war ich Abiturientin in Baden-Württemberg. Vom Osten hatte ich eher keine konkrete Vorstellung, irgendwelche Hoffnungen waren unmittelbar mit der Wende nicht verbunden. Aber die Neugierde war geweckt.

Zu den Personen

Martin Dulig: Das war bei mir völlig anders. Als die Mauer fiel, stürzte mein altes Leben gleich mit um. Auf einmal war Freiheit, wo vorher nur eine vorgezeichnete, enge Lebensspur war. Da ich aus einem kirchlich gebundenen Elternhaus kam, war in der DDR für mich eine akademische Ausbildung unmöglich. Ich sollte Steinmetz werden. Noch im Sommer 1989 gab es für mich keinerlei Veranlassung, das infrage zu stellen. Das Gefühl der Freiheit wurde jedoch nach dem Mauerfall bei vielen durch negative persönliche Erfahrungen gedämpft.

Ingo Schulze: So erinnere ich mich auch. Der monatelange Jubel, zu dem der Beitritt heute verklärt wird, war in Wahrheit ziemlich schnell ausgenüchtert. Das war für mich besonders schwierig, ich war in der Bürgerrechtsbewegung aktiv. Und ich hatte bewusst keinen Ausreiseantrag gestellt, weil ich immer dachte: Ein paar müssen noch da sein, wenn die Stunde X kommt. Und als der Moment dann da war, dachten meine Freunde und ich wirklich für einen Moment, nun könnten sich all unsere Utopien verwirklichen. Ich arbeitete am Theater, da fühlten wir uns geradezu als Motor dieses utopischen Momentums. Aber uns ging es um Demokratie, um Selbstbestimmung, das würde auch eine erblühende Wirtschaft bewirken. Wir wollten einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz.

Wo die meisten Trabis und Puhdys-Platten gekauft werden
Die meisten Trabis wurden auf Ebay zwischen September 2013 und August 2014 in Rodewisch in Sachsen verkauft. Die Karte zeigt die Verteilung der Käufe: je kräftiger die Rotfärbung, desto mehr Trabis wurden in der jeweiligen Region verkauft. In den blauen Flächen gab es nur einzelne Verkäufe, bei den grauen Arealen keine Verkäufe. In den letzten 30 Tagen (Stand 6.11.) wurden bei Ebay 64 Trabis verkauft, wobei der durchschnittliche Verkaufspreis 607,47 Euro betrug. Der teuerste Trabant wurde für 4511 Euro verkauft. Quelle: REUTERS
Das DDR-Sandmännchen zählt zu den Ebay-Bestsellern. 161 DDR-Sandmännchen wurden in den letzten 30 Tagen bei Ebay verkauft, wobei der durchschnittliche Verkaufspreis 9,34 Euro betrug. Im vergangenen Jahr wurden die meisten DDR-Sandmännchen an Käufer in Velten und Oberkrämer in Brandenburg verkauft. Quelle: dpa
Kein Sandmann ohne Begleitung von Schnatterinchen, Pittiplatsch  und Moppi. In Menge gesehen wurde Pittiplatsch am meisten verkauft, gefolgt von Schnatterinchen und Moppi. Die Pittiplatsch-Fankarte zeigt, dass die meisten Käufer im Osten  leben. Doch auch im früheren Zonenrandgebiet und selbst im tiefen Westen konnten sich einzelne Pittiplatsch-Hotspots etablieren. Quelle: dpa Picture-Alliance
Ein großer Renner beim Online-Auktionshaus sind die Motorroller von Simson. Insgesamt 20.104 Schwalben werden aktuell bei Ebay angeboten. In den letzten 30 Tagen wurden bei Ebay 12.275 Simson Schwalben verkauft. Die meisten Schwalben wurden im vergangenen Jahr an Käufer in Apolda in Thüringen verkauft. Auch hier zeigt die Karte die regionale Verteilung der Käufe von grau (keine Käufe) über blau/lila bis zu rot (65 bis 700 Verkäufe). Quelle: Gemeinfrei
Neben motorisierten Fahrzeugen erfreuen sich auch die Ost-Fahrrad-Marken wie Mifa und Diamant großer Beliebtheit. 604 Mifa- und 655 Diamant-Fahrräder wurden bei Ebay In den letzten 30 Tagen verkauft, wobei der durchschnittliche Verkaufspreis der Mifa-Räder mit 45,58 Euro höher lag als der der Diamant-Räder (24,78 Euro). Quelle: dpa
Käufer in Wesseling in Nordrhein-Westfalen investierten im vergangenen Jahr am meisten in Artikel der Rockband Puhdys. Die meisten Artikel, seien es CDs, Schallplatten oder Musikcassetten der Puhdys, wurden an Käufer in Berlin verkauft. Die Karte zeigt aber auch, dass es längst auch in Schleswig-Holstein Puhdys-Fans gibt. Quelle: dpa
Die „West-Marke“ Adidas ist 25 Jahre nach dem Fall der Mauer im Osten ähnlich beliebt wie in den alten Bundesländern. Rote und blaue Areale sind auf der Karte ähnlich verteilt. Der größte Umsatz mit Adidas-Turnschuhen wurde im vergangenen Jahr durch Käufer in Schwedt an der Oder in Brandenburg generiert. Die meisten Adidas-Schuhe wurden an Ebay-Käufer in Schwerin/Umland verkauft. Quelle: dpa

Schließen wir daraus richtig, dass wirtschaftliche Hoffnungen bei Ihnen gar keine große Rolle gespielt haben?

Dulig: Für mich tatsächlich weniger, ich war ja 15! Für mich stand auf einmal die Welt offen. Aber bei vielen Menschen war das anders. Das hat man auch auf den Demonstrationen gesehen. Schon Ende 1989 ging es nicht mehr um Bürgerrechte, zumindest nicht nur. „Kommt die D-Mark nicht zu uns, kommen wir zu ihr“, wurde skandiert. Die Vereinigung stand plötzlich ganz oben auf der Liste der Forderungen. Das hat aus den Protesten eine Massenbewegung gemacht.

Joachim Ragnitz: Da stimme ich Ihnen zu. Das Verlangen nach Grundrechten bildete den Anfang der Bewegung, aber die breiten Massen wollten vor allem den westdeutschen Wohlstand, Konsum, Westwaren. Das trieb sie an.

Schulze: Wir waren ziemlich unvorbereitet, auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Es ging um grundlegende Rechte. Über das Recht auf Arbeit sprach niemand, das war für uns selbstverständlich.

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