40 Jahre WirtschaftsWoche Helmut Schmidt: Die Sünden der Politik in den 70ern

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Was sagt denn dann der Mahner Schmidt zum Thema Rente mit 67?Wenn es bei 67 bleibt, haben wir aber Glück gehabt.

Ist es nicht erschreckend: Vor 35 Jahren war das Rentenproblem bekannt, und keine Regierung hat ausreichend reagiert.Richtig. Die öffentliche Meinung war absolut unwillig, das Thema aufzunehmen. Es gab zwei Ausnahmen: Das waren Meinhard Miegel und Kurt Biedenkopf. Die CDU hat nicht mitgemacht und die Sozis auch nicht.

Fehlt heute nicht immer noch die Bereitschaft von Politik und Bevölkerung, auf den demografischen Wandel zu reagieren?Sicher. Hier liegt ein schweres Versäumnis der politischen Führung vor. Das fängt an mit der Regierung Schröder und setzt sich fort mit der Regierung Merkel/große Koalition und setzt sich insbesondere bei dem jetzigen albernen Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb fort. Die Regierung mischt sich nicht ein und erklärt nicht, dass und warum und in welchem schrittweisen Tempo wir die Rente mit mindestens 67 dringend brauchen. Und meine Partei ist da heute leider auch nicht besser.

Diskutieren wir Deutschen ökonomische Entscheidungen zu ideologisch und zu wenig rational?Die Deutschen sind, was ihre ökonomische Urteilsfähigkeit angeht, auch nicht besser oder schlechter als andere. Die ökonomische Urteilsfähigkeit der deutschen politischen Klasse möchte ich mir ein wenig ausgeprägter wünschen, als sie ist. Einer der entscheidenden Punkte ist: Es gibt die weltumspannenden Ideologien des Kapitalismus und des Marxismus. Es gibt die weltumspannende Theorie des Keynesianismus. Es gibt einstweilen kein ökonomisches Weltmodell, keine umfassende Theorie für das Funktionieren einer globalisierten Wirtschaft. Allenfalls ein wenig in den Hinterzimmern des Internationalen Währungsfonds, der Fed, der People’s Bank of China und der EZB. Wenn Sie auf der einen Seite Paul Krugman lesen in der „New York Times“ und dann lesen Sie das „Wall Street Journal“, da haben Sie die beiden Extreme schon beisammen. Das sind aber beides nur national-egozentrische Weltsichten.

Brauchen wir die G8 noch?Die heutigen G8-Gipfel sind überflüssig, reine Wichtigtuerei. Jeder möchte einmal Gastgeber sein. In Heiligendamm sind, glaube ich, 1000 Journalisten angereist, 1000 Verrückte.

Danke!Haben alle ihre Spesen zum Fenster hinausgeworfen.

Welche veränderten Machtpositionen erwarten Sie für dieses Jahrhundert?Für Europa nicht viel. Die europäischen Nationen schrumpfen vor sich hin, und so schrumpft auch ihr Einfluss in der Welt. Aber in der Welt wird sich viel verändern. Im Laufe des Jahrhunderts wird China die größte Volkswirtschaft sein und politischen Einfluss haben auf viele andere Staaten, ohne notwendigerweise militärischen Druck auszuüben.

Schon gegen Mitte des Jahrhunderts wird sich Amerika erheblich verändert haben. Die Afro-Americans, früher Schwarze genannt, und die Latinos werden zusammen die Mehrheit der Wähler darstellen. Das sind fast alles Leute der Unterschicht. Die werden verlangen, dass Amerika eine anständige Rentenversicherung bekommt, Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung, eine Pflegeversicherung und alle die Notwendigkeiten eines Sozialstaates. Und dass die schwarzen Jungs nicht nur auf die State University von Omaha gehen, sondern auch nach Yale, Princeton und Stanford. Die innenpolitischen Strukturen werden für amerikanische Politiker erheblich an Bedeutung gewinnen, und die außenpolitische Weltbeherrschung wird an Bedeutung verlieren. Das halte ich für ziemlich sicher. Aber damit sind wir schon im Jahre 2050. Weiter in die Zukunft kann ich auch nicht gucken. 

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