Bartsch von der SED-PDS-Nachfolgepartei hat damit kein Problem. „Biertrinken ist keine ideologische Frage“, sagt der gebürtige Stralsunder. Aber eine lokalpatriotische. „Bier ist eher norddeutsch“, meint Bartsch, weil, so seine Begründung, dort kein Wein angebaut werde, man also in Ermangelung von Reben- halt mit Gerstensaft vorlieb nimmt. Doch ganz ohne Ideologie kann ein Linken-Anführer nicht am Reinheitsgebot vorbeischlendern: „Die wichtigste Festlegung damals ist der Höchstpreis gewesen.“
Am Anfang habe eine Maß nur einen Pfennig kosten dürfen. „Das war zutiefst sozial.“ Tatsächlich hat das Reinheitsgebot damals und im Laufe der Jahrhunderte unterschiedlichen Zwecken gedient. Sicherlich spielten Gesundheits- und Verbraucherschutz eine wichtige Rolle zu einer Zeit, in der Bierpanscher ziemlich alles in den Sudkessel kippten, was auf den Feldern wuchs.
Bilsenkraut und Schlafmohn zählten dazu. Um Hungersnöte abzuwenden, verboten die Landesherren die Verwendung von Weizen und verordneten stattdessen allein die fürs Brotbacken ungeeignete Gerste. Aber schon damals hielt das Reinheitsgebot auch fremde Brauer fern, die nicht nach den vorgeschriebenen Regeln produzierten, und schützte damit die heimische Wirtschaft. Kritiker sprechen von Protektionismus. So sah es auch der Europäische Gerichtshof, der 1987 das Reinheitsgebot als nichttarifäres Handelshemmnis verurteilte, das mit dem gemeinsamen Binnenmarkt unvereinbar sei. Die deutschen Brauer und die damalige Bundesregierung unter Helmut Kohl erlitten eine krachende Niederlage und mussten den deutschen Markt für Mais- und Reisbier öffnen.
Eine Niederlage? Nicht wirklich. Denn dem EuGH-Urteil war eine jahrelange Kampagne vorausgegangen, die in der Schlagzeile „Chemiebier macht impotent!“ („Bild“-Zeitung) gipfelte. Die Botschaft wirkte. Fast 30 Jahre später liegt der Marktanteil von Bier, das nicht das entsprechende Qualitätssiegel tragen darf, bei schwachen zwei bis drei Prozent, freut sich Holger Eichele, Geschäftsführer des Brauerbundes. Das geschützte Bierbiotop sorgte aber auch dafür, dass sich kein deutscher Global Player entwickeln konnte. 1388 Brauereien zählt der Branchenverband stolz und spricht von regionaler Vielfalt.
Das ist richtig, und die Liebhaber des gelbgoldenen Getränks freut es. Pfiffige Tourismusbehörden und Reiseveranstalter bieten längst Touren durch Mikrobrauereien an. Der größte deutsche Bierkonzern, die Radeberger Gruppe, zu der unter anderem Radeberger, Jever, Schöfferhofer, DAB, Berliner Kindl und Sternburg gehören, kommt hierzulande auf einen Marktanteil von zwölf Prozent. Das ist mickrig etwa im Vergleich zu den USA, wo Anheuser-Busch InBev einen Anteil von 46 Prozent hat und gerade versucht, die dortige Nummer zwei (MillerCoors, Marktanteil 27 Prozent) zu schlucken. Ein anderer Brauereigigant, Heineken, verkauft auf seinem niederländischen Heimatmarkt 40 Prozent allen Bieres, in Österreich sogar 56 Prozent. Radebergers Anteil an der Weltbierproduktion beträgt 0,6 Prozent, der von AB InBev 21 und von Heineken mehr als 9 Prozent.
Das deutsche Reinheitsgebot
Die bayrischen Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. erließen am 23. April 1416 in Ingolstadt die neue Landesverordnung. Darin hieß es: „Wir wöllen auch sonderlichen / das füran allenthalben in unsern Stetten / Märckthen / unn auf dem Lannde / zu kainem Pier / merer stückh / dann allain Gersten / Hopfen / unn wasser / genommen unn gepraucht sölle werdn.“
Die Landesverordnung schrieb damit fest, dass für Bier nur Gersten, Hopfen und Wasser verwendet werden darf. Das erste Reinheitsgebot diente vor allem dem Verbraucherschutzes. Denn die Landesverordnung erschwerte es den Brauern, die auch ohne Rücksicht auf die gesundheitliche Wirkung Ochsengalle, Fliegenpilze oder psychodelische Kräuter in den Kassel warfen. Wertvolles Getreide wie Weizen oder Roggen hingegen blieb durch die Verordnung allein den Bäckern vorbehalten.
Bis die bayrische Regelung auch von anderen Ländern übernommen wird, dauert es über 350 Jahre: Erst mit der Reichsgründung 1871 führen auch andere Gebiete in Deutschland das Gebot ein. Wahrscheinlich auch unter dem Druck der Bayern, die ihren Zutritt zum Reich an diese Voraussetzung geknüpft haben sollen. Ab 1906 gilt das Gebot reichsweit.
Auch im Biersteuergesetz von 1923 ist das Reinheitsgebot enthalten. Doch eingehalten wird es in Krisen- und Kriegszeiten nur bedingt: So wurde zwischenzeitlich der Vertrieb von verfälschten Bieren nicht geahndet, und nach dem Krieg waren Ersatzzutaten wie Zucker, Hirse oder Kartoffeln sogar ausdrücklich erlaubt – außer in Bayern. Das Land versuchte daher mit einer Reihe von Gerichtsprozessen, das Reinheitsgebotes wieder bundesweit durchzusetzen.
Bis 1987 schützte das Reinheitsgebot nicht nur die Verbraucher, sondern vor allem auch die deutschen Brauer: Alle in Deutschland verkauften Biere mussten dem Reinheitsgebot entsprechen. Ausländische Brauer, deren Produkte das nicht taten, durften diese in Deutschland auch nicht als Bier vertreiben. Entsprechend gab es in Deutschland nur wenige ausländische Marken. Der Europäische Gerichtshof kippte das Gesetz 1987: Das Importverbot beschränke den Handel zwischen den Partnerländern.
Heute findet sich das Reinheitsgebot im Gesetz in der Bierverordnung und dem Vorläufigen Biersteuergesetz wieder. Dort heißt es: „Farbebier muss aus Gerstenmalz, Hopfen, untergäriger Hefe und Wasser hergestellt werden, es muss vergoren sein.“ Für obergärige Biere sind die Bestimmungen weniger streng. Daran halten müssen sich aber mittlerweile nur noch deutsche Brauereien, die auch für den deutschen Markt produzieren.
Bis zum Jahr 2016 soll das Reinheitsgebot Weltkulturerbe gehen - zumindest, wenn es nach dem deutschen Brauerei-Bund geht. Doch zwischen dem Plan und der Umsetzung liegen einige Hürden: Der Brauerei-Bund hat den Antrag bereits beim Land Bayern eingereicht. Doch die Bayern müssen den Vorschlag noch in die Vorauswahl für ein mögliche immatrielles Kulturerbe aufnehmen. Diese Liste wird dann an die Kultusministerkonferenz weitergeleitet, die aus den Vorschlägen der Länder noch mal eine Liste erarbeitet. Erst diese Vorschläge werden dann an die UNESCO weitergeleitet, die den Antrag von einem unabhängigen Experten-Komitee prüfen lässt. Der Evaluierungsprozess dauert in der Regel zwei Jahre.
Deutsches Bier spielt im Ausland bestenfalls eine romantische Rolle, im Dreierpack mit Eisbein und Lederhose. Gern rühmen sich die Deutschen, dafür aber das beste Bier der Welt zu brauen. Das mag stimmen, was das (Nicht-)Verwenden von Konservierungsmitteln, Schaumstoffstabilisatoren, künstlichen Farbstoffen und Aromen, von Enzymen und sonstigen chemischen Hilfsmitteln betrifft. Bei Verkostungen hingegen, wo es ums Geschmackserlebnis geht, kommt dies indes nicht unbedingt zur Geltung. Die World Beer Awards gehen öfters an Spezialitäten aus Belgien oder auch den USA.