60 Jahre Bundesrepublik Deutschland "Gelobt sei, was hart macht"

Im Geburtsjahr der Bundesrepublik war der Besuch einer NS-Eliteschule, den Napolas, ein Tabu im Lebenslauf – heute nicht mehr.

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Hitler wollte mit Drill, Härte und Gehorsam eine neue Elite schaffen Quelle: dpa/dpaweb

Pflichtbewusstsein – das gehört schon früh zu den obersten Regeln, nach denen Alfred Herrhausen sein Leben gestaltet. Im zarten Alter von 13 Jahren widmet der spätere Chef der Deutschen Bank seiner Lieblingstugend ein Gedicht: „Ein Wall von Leibern schützt unser Land./Geliebte Väter und Brüder“, schreibt Herrhausen 1943 aus dem Internat an seine Eltern. „Sie kämpfen und ringen, das Schwert in der Hand, /Und mancher kehrt niemals wieder.“ Und weiter: „Die Lücken zu schließen, wir wachsen heran./ Ihr schirmt unser Wachsen und Reifen./Einst werden wir dann Mann für Mann/Euere Waffen und Pflichten ergreifen.“

Das Internat, das Herrhausen besucht, ist eine von Hitlers Eliteschulen – die Reichsschule Feldafing. Sie ist neben den „Nationalpolitischen Erziehungsanstalten“, kurz Napola, eine der Kaderschmieden für den NS-Führungsnachwuchs. Als Schüler suchen die Nationalsozialisten Jungen um die zehn Jahre aus, die gute Noten schreiben, sportlich sind, und charakterlich dem NS-Ideal entsprechen. Duckmäuser und Streber sind nicht gefragt, bevorzugt werden selbstbewusste Burschen – und, selbstverständlich: reinrassige Arier müssen es sein.

Die Ausbildung folgt der Devise „Gelobt sei, was hart macht“. Ihr Kern besteht aus einer paramilitärischen Zurichtung. Die Schüler müssen schon bei der Aufnahmeprüfung Mutproben ablegen, etwa vom Zehnmeterturm springen, sie haben sich an Kampfspiele, Boxen, Appelle und Kriegsübungen zu gewöhnen. Erniedrigungen und Strafen gehören zur Tagesordnung, ebenso gefühlsprägende Gemeinschaftserlebnisse und inszenierter Triumph.

Der körperliche Drill treibt die Schüler („Jungmannen“) systematisch an die absolute Grenze physischer Erschöpfung. Am „Totpunkt“, so formuliert es einer der Ehemaligen, der die Napola noch heute für die beste Schule der Welt hält, entsteht das „geistige Problem, etwas zu meistern, das man nicht kann und das man nicht mag“. Das Problem also, zu entscheiden, ob man einem Befehl nicht nur über die physische Leistungsgrenze, sondern auch über die Grenzen kultureller Gebote und des moralischen Urteils hinaus Folge leisten soll oder nicht. Am „Totpunkt“ wird der „neue Mensch“ geboren. Diese Verwandlung ist das eigentliche Ziel der Anstalten. Sie sollen die künftige Elite des Tausendjährigen Reichs produzieren: ideologisch unanfechtbare Persönlichkeiten, die in Militär und Partei, Wirtschaft und Gesellschaft hohe Positionen besetzen.

Ehemalige Napola-Schüler als Elite der jungen Bundesrepublik

Das Erziehungskonzept ist aufgegangen. Tatsächlich haben viele der Absolventen Elite- und Führungspositionen erreicht. Nicht im NS-Staat – denn das Tausendjährige Reich lag schon nach zwölf Jahren in Schutt und Trümmern. Dafür aber zählten die ehemaligen Napola-Schüler schon bald zur Elite der jungen Bundesrepublik. Jene Werte und Tugenden, die ihnen mit teilweise sadistischen Methoden in der Napola eingebläut worden waren – sie halfen vielen von ihnen im späteren Leben.

Zwei Dinge etwa nimmt der Elite-Zögling Herrhausen aus der NS-Zeit mit in die neue Bundesrepublik: „Pflichtvergessenheit“ macht ihn sein Leben lang rasend. Ebenso falsch verstandener Individualismus: „Jede Gemeinschaft kann auf Dauer nur so intelligent, leistungsfähig und erfolgreich sein wie die Menschen aus denen sie besteht“, ist Herrhausen überzeugt. Und schließt daraus „zweierlei: dass alle Menschen die Möglichkeit bekommen, sich zu bilden – die Chancen also gleich sind; dass die besonders Begabten und Fähigen besser sein dürfen, ja besser sein sollen“. Als Herrhausen den Satz 1982 in den Geschäftsbericht der Deutschen Bank schreibt, lautete die Überschrift: „Brauchen wir Eliten?“ Herrhausen hat daran nie gezweifelt – und sich selbst seit Kindesbeinen als Teil derselben verstanden. 

Der Bankchef soll die Unterordnung seiner Interessen als Individuum unter das „große Ganze“ derart verinnerlicht haben, dass er, wie seine Frau berichtet, jahrelang einen Brief in der Nachttischschublade aufbewahrte: Sollte er in die Hände der RAF fallen, so schrieb er kurz nach der Entführung von Arbeitgeber-Präsident Hanns Martin Schleyer 1977, dann solle die Bundesrepublik Deutschland keinesfalls den Entführern nachgeben. Herrhausen hätte also sogar sein Leben geopfert, wenn die Regierung dadurch Härte gegenüber den Terroristen hätte zeigen können. Soweit sollte es nie kommen – Alfred Herrhausen kam 1989 bei einem Bombenattentat ums Leben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, in welchen Wirkungsfeldern ehemalige Napola-Schüler aktiv waren.

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