Abenteuerliche Finanzpolsterbildung Die Intransparenz der IHK-Transparenzoffensive

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Einer der großen Anachronismen unserer Zeit

Deutschlands heimliche Herrscher
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Ein paar Tage später erreicht alle Handelskammern eine Anfrage der WirtschaftsWoche. Wie es um die Rücklagen bestellt sei, wie diese sich entwickelt hätten und was man in nächster Zeit mit ihnen vorhabe. Doch die Nervosität ist offenbar groß. Nur ein paar Kammern antworten selbst, für alle anderen ergreift der DIHK das Wort. Die Jahresabschlüsse seien auf den Web-Seiten der Kammern veröffentlicht, darüber hinaus gebe es das Portal „IHK transparent“. Kein Wort davon, dass die Portale über die gestellten Fragen nur lückenhaft Auskunft geben. Und zu Koblenz: „Aus unserer Sicht wird das Urteil in dieser Form keinen Bestand haben.“ Denn: „Es kann sich nicht auf bestehende Rechtsprechung stützen.“ Ende der Durchsage.

Dabei ist das Koblenzer Urteil nur der jüngste Fall in einer Reihe von Niederlagen, welche die Kammern in den vergangenen Jahren vor Gericht erlitten haben. In Stuttgart wurde der IHK untersagt, sich im Streit um den Bahnhofsneubau zu äußern. Als der bayrische Rechnungshof die IHK Schwaben überprüfte, kam eine scharfe Rüge heraus: Unter anderem sei die Bezahlung der Führungskräfte deutlich höher als im öffentlichen Dienst, dabei sei „eine Orientierung an den Gehältern der Privatwirtschaft nicht gerechtfertigt“. All das hat die Kammern unter Druck gesetzt. Von allen Seiten wird von ihnen mehr Zurückhaltung gefordert, mehr Transparenz.

Immerhin, kurz nach der Antwort des Dachverbands ruft der Sprecher der IHK Nordwestfalen in Münster bei der WirtschaftsWoche an. „Wir wünschen uns selbst mehr Transparenz für die Kammern“, erklärt er und lädt zum Gespräch mit dem Geschäftsführer. Der heißt Karl Schulte-Uebbing und erscheint zur Transparenzoffensive mit seinem für Finanzen zuständigen Vorstandskollegen und einem Wust von Akten. „Wir haben nichts zu verbergen“, sagt er zur Begrüßung, was der Papierberg auf dem Tisch dokumentieren soll. Bei jeder Gelegenheit blättern die beiden darin, auf alle Fragen, die sich mit Zahlen beantworten lassen, geben sie Auskunft.

Einnahmen und Rücklagen der zehn deutschen Industrie- und Handelskammern in Deutschland. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Die Kammern sind einer der großen Anachronismen unserer Zeit, ihre Ursprünge liegen im mittelalterlichen Zunftwesen. Seitdem hat die Weltgeschichte grundlegende Wendungen gemacht, doch an der Zwangsmitgliedschaft wurde nie gerüttelt. An echter Selbstverwaltung ist den Kammern nur die Organisation der Ausbildung geblieben, doch auch hier haben ihnen Kommunen und Arbeitsagenturen immer mehr Aufgaben abgenommen. Dennoch sammeln sie Jahr für Jahr mehr Geld bei den Unternehmern ein, als sie ausgeben können. Insgesamt haben die deutschen IHKs einen Kapitalpuffer von 1,9 Milliarden Euro - fast das Anderthalbfache ihrer gesamten Einnahmen. Bei 61 von 80 Kammern liegt mehr „Eigenkapital“ auf der hohen Kante, als im Jahr eingenommen wird, zwölf Kammern bunkern sogar mehr als das Doppelte ihrer Jahreseinnahmen. Dabei sind IHKs wie jede öffentlich-rechtliche Körperschaft vor der Zahlungsunfähigkeit ausgeschlossen.

Abenteuerliche Begründungen

Vernünftige Gründe für die allzu komfortablen Polster dann auch gibt es eher selten. Die im Sommer 2012 ausgehandelten Finanzrichtlinien verpflichten die Kammern, ihre Rücklagen zu bereinigen. Seitdem müssen Ergebnisvorträge nach zwei Jahren aufgebraucht werden, die Liquiditätsrücklage muss bis 2018 aufgelöst sein. Gehalten werden soll dann nur noch eine kleine Ausgleichsrücklage für Beitragsschwankungen, ansonsten darf Geld nur zweckgebunden, zum Beispiel für Neubauten, zurückgelegt werden.

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