Abschied von Heiner Geißler Das Gewissen der CDU

Mit Heiner Geißler geht nach Schmidt, Genscher und Kohl ein weiterer Politiker der alten Schule. Dabei war Geißler streitbar, polarisierte oft und hielt auch mit Kritik an der eigenen Partei nie zurück. Ein Nachruf.

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Heiner Geißler starb im Alter von 87 Jahren. Quelle: dpa

Berlin Dieses Jahr wird einer am Wahlabend in der CDU-Zentrale fehlen. Einer, der 2013 zusah, wie die CDU-Führung um Angela Merkel und Volker Kauder ausgelassen auf der Bühne stand und tanzte. Sie klatschten rhythmisch zu dem Lied: „An Tagen wie diesen“, und konnten kaum glauben, dass sie fast die absolute Mehrheit geholt hatten. Heiner Geißler stand neben der Bühne und schaute sich die Szenerie schmunzelnd an. Der damals 83-Jährige hatte seine Partei noch nie so ausgelassen feiernd erlebt.

Es gibt nicht viele Politiker, die das Attribut „Intellektueller“ im politischen Betrieb erhalten. Peter Glotz und Erhard Eppler bei der SPD gehören dazu, bei der CDU sind es Kurt Biedenkopf – und Heiner Geißler. Als „Mann der Sozialausschüsse“ wurde Heiner Geißler bezeichnet, als „politischer „Kämpfer“. Er ist derjenige, der die „neue soziale Frage“ aufwarf und damit die CDU programmatisch öffnete. Am Dienstag teilte sein Sohn Domink mit, dass Geißler, der Vordenker der CDU, im Alter von 87 Jahren gestorben sei. Er hinterlässt seine Frau und drei Kinder.

Geißler hatte ein bewegtes politisches Leben. Von 1967 bis 1977 war er Sozialminister in Rheinland-Pfalz, wurde anschließend Generalsekretär der CDU unter Helmut Kohl und ebnete dabei den Weg zum Regierungswechsel 1982. Er stand fest auf dem Boden der katholischen Soziallehre und hat als Generalsekretär maßgeblich dazu beigetragen, dass die Sozialpolitik mehr Gewicht in der CDU erhielt.

Ursprünglich wollte er Priester werden. Schon Mitte der 70er Jahre hatte Geißler mit dem Impuls einer „neuen sozialen Frage“ für Furore gesorgt und eine Grundsatzdiskussion ausgelöst. 1977 dann stand nicht mehr die Ordnungspolitik im Zentrum, sondern Begriffe wie „neue Armut“, „Partnerrente“ oder „Erziehungsgeld“, mit denen die sozial-liberale Regierung unter Druck gesetzt werden sollte. 

Sein Gesellenstück als Generalsekretär war der Bundesparteitag in Kohls Heimatstadt Ludwigshafen 1978. Es ging um den „neuen Aufbruch und die geistige Mobilisierung“. 152 Artikel umfasste das neue Grundsatzprogramm der Partei, mit dem die ethischen Grundlagen des sozialen und staatlichen Zusammenlebens neu formuliert wurden. An dem Konzept hatten 200 Wissenschaftler und Vertreter gesellschaftlicher Gruppen mitgearbeitet. Die CDU war eine Volkspartei für alle sozialen Schichten.

Mit dem Regierungswechsel 1982 berief der neue Kanzler Kohl den promovierten Juristen Geißler zum Familienminister. Dies war seinerzeit kein Gedöns, wie es später Gerhard Schröder als SPD-Kanzler sagte, sondern ein Schlüssel aus Sicht der CDU für den gesellschaftlichen Wandel in der Industriegesellschaft. Geißler führte das Erziehungsgeld ein, ebenso den Erziehungsurlaub oder den Beschäftigungsschutz für Mütter und Väter. Später setzte Rita Süssmuth diese Politik fort, während Geißler sich als Generalsekretär um den Bundestagswahlkampf 1987 kümmerte. 

Zeit seines Lebens stand Geißler für einen sittlichen Kapitalismus und forderte, dass das Kapital dem Menschen zu dienen habe und nicht umgekehrt, was ihn auf Abstand zur FDP gehen ließ. Auf das Amt des Bundesinnenministers verzichtete er 1989. Es folgte seine Entmachtung als Generalsekretär auf dem „Putsch-Konvent“ von Bremen, aus dem Kohl als Sieger gegen den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth hervorging. Geißler blieb Parteivize. 

2002 schied Geißler aus dem Bundestag aus. Zuvor hatte er 1999 als erster CDU-Politiker die Existenz schwarzer Konten bestätigt und damit Altkanzler Kohl massiv in Bedrängnis gebracht, der bis zu seinem Lebensende beharrlich zu dem Thema schwieg.


Extremer Geist, mit extremen Vorlieben

Mit Geißlers Tod verliert die CDU einen unbequemer Mahner. Der war er – bis zuletzt mit seinem wachen Geist. Erst kürzlich noch kritisierte er Julia Klöckner, die CDU-Vorsitzende seiner Heimat Rheinland-Pfalz dafür, dass sie sich gegen Korrekturen an den Hartz-Gesetzen ausgesprochen hatte. Auch hatte er sich als Schlichter etwa beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 im Jahr 2011 im Bewusstsein der Menschen gehalten, als er eine aufgeheizte Stimmung in einem transparenten Dialogprozess befriedete.

Zu einem streitlustigen Geist wie Geißler passt die Liebe zum Extremsport, das Bergsteigen, Klettern, Skifahren und Gleitschirmfliegen. 1992 brach er sich beim Fliegen einen Lendenwirbel und verletzte sich lebensbedrohlich. Noch vom Krankenbett aber kritisierte er in einem Brief an den damaligen Bundesfinanzminister Theo Waigel(CSU) dessen rigorose Sparpolitik und brandmarkte sie als „wirtschaftlich schädlich und sozial ungerecht.

Auch nach der Bundestagswahl, die in elf Tagen stattfindet, hätte er sich sicher zu Wort gemeldet, so wie 2009 und 2013. Beide Male warb er für schwarz-grüne Bündnisse. Dem Handelsblatt sagte er 2013: „Alle Streitthemen sind doch beiseite geräumt“, sagte er. „Die Öffnung hin zu den Grünen würde eine humanere politische Kultur ermöglichen und der Demokratie wieder neuen Schwung geben.“  Es kam nicht so, stattdessen wurde eine Große Koalition mehr als lange verhandelt. Damals mahnte er gemeinsam mit Kurt Biedenkopf, Bernhard Vogel und Roman Herzog, die Koalitionsverhandlungen zügig zu führen, um nötige Reformen anzupacken.

Es dürfte dieses Mal eine ähnliche Situation wie 2013 eintreten, lange und zähe Verhandlungen, eventuell mit einem Bündnis von CDU, FDP und Grünen oder am Ende wieder einer großen Koalition. Ob ihm ein Jamaika-Bündnis gefallen würde? Er sprach 2013 über Schwarz-Grün und von der Chance auf einen „öko-sozialen Liberalismus“, ein Begriff, mit dem sich die Liberalen wohl nur unter Mühen anfreunden dürften. 

Darunter versteht Geißler auch, öffentliche Güter wie Straßen oder Krankenhäuser nicht zu privatisieren. Zu seinem 85. Geburtstag wurde Geißler gefragt, was das Wichtigste im Leben sei. „Meiner Ansicht nach muss man sich darauf konzentrieren, dass man nicht nur für sich, sondern auch für die Anderen da ist, das heißt: dass man sich dafür einsetzt, die Lebensbedingungen Anderer ständig zu verbessern“, sagte er. Das sei der Sinn des Lebens.

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