Abschluss der Länder-Tarifrunde Balance zwischen Magerstaat und starkem Staat

In der Länder-Tarifrunde ist ein guter Kompromiss gelungen. Doch die Gewerkschaften stehen vor schwieriger Erklärungsarbeit. Ein Kommentar.

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Der Kompromiss bringt Gewerkschaften in Erklärungsnot: Das vereinbarte Lohn-Plus gleicht die Inflation kaum aus. Quelle: dpa

Hat Niedersachsens Finanzminister Peter-Jürgen Schneider, der erstmals Verhandlungsführer für die Länder war, sich über den Tisch ziehen lassen? Es muss auf jeden Fall stutzig machen, wenn Verdi-Chef Frank Bsirske von Verhandlungen in sachlicher und konstruktiver Atmosphäre schwärmt, die so gerne Schule machen dürfen. War da einer zu weich, weil er vor den Landtagswahlen in drei Bundesländern weitere Streiks der öffentlich Bediensteten fürchtete?

Auf der anderen Seite muss sich Verdi in den sozialen Netzwerken von einem selbsternannten „Schulz-Fan“ kritisieren lassen. Zwei Prozent mehr Geld für 2017 bei einer Inflationsrate von 1,9 Prozent im Januar – macht ein Reallohnplus von 0,1 Prozent. „Ihr habt eine tolle Gewerkschaft“, schimpft der Anhänger des designierten SPD-Kanzlerkandidaten, der sich für kräftige Lohnerhöhungen stark gemacht hat. Wurden hier also nicht eher Verdi und der Beamtenbund, die ursprünglich sechs Prozent für ein Jahr gefordert hatten, über den Tisch gezogen?

Tatsächlich waren die 15 Länder – Hessen verhandelt separat – in dieser Runde in einer so schwachen Verhandlungsposition wie schon lange nicht mehr. Der starke Staat feiert gerade eine Renaissance. Da gönnen die Bürger Polizisten oder Lehrern, die täglich den Kopf hinhalten, gerne ein paar Euro mehr. Hinzu kommt: In einem Wahljahr macht es sich nicht gut, wenn Gewerkschafter mit roten Fahnen und Trillerpfeifen zu oft in den Fernsehnachrichten auftauchen. Und schließlich: Die Länder haben das vergangene Haushaltsjahr mit einem Überschuss von knapp neun Milliarden Euro abgeschlossen – sechs Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. Mit knappen Kassen konnten sie guten Gewissens in dieser Runde also schlecht argumentieren, zumal die Steuerschätzer ihnen auch weiterhin ein kräftiges Plus prognostizieren.

Gemessen daran scheinen zwei Prozent mehr Geld in diesem und weitere 2,35 Prozent im kommenden Jahr auf den ersten Blick tatsächlich nicht besonders üppig zu sein. Doch in dem Abschluss mit zwei Jahren Laufzeit steckt weit mehr als die reine Tariferhöhung. Wer im öffentlichen Dienst nicht unbedingt zu den Besserverdienern gehört, profitiert von den 75 Euro Mindestbetrag. In unteren Einkommensgruppen fällt die Tariferhöhung also durchaus höher aus als zwei Prozent. Auszubildende bekommen neben mehr Geld auch mehr Urlaub. Ein wichtiger Schritt, um den mit Nachwuchsmangel kämpfenden Landesdienst attraktiver zu machen.

Dem gleichen Ziel dient die neue Stufe 6 in den höheren Entgeltgruppen, die nun in zwei Schritten eingeführt wird. Vor allem Lehrer mit reichlich Berufserfahrung haben dadurch künftig laut der Erziehungsgewerkschaft GEW 115 bis 185 Euro mehr im Portemonnaie. Und für Erzieherinnen und Sozialarbeiter im Landesdienst schließt sich durch Zulagen zumindest ein wenig die Einkommenskluft, die sich zu den Kollegen in den Kommunen aufgetan hat.


Sonderregelungen verschlingen viel Geld

All diese Sonderregelungen kosten viel Geld. Länder-Verhandlungsführer Schneider beziffert das Volumen des Gesamtabschlusses für die rund eine Million Tarifbeschäftigten auf 870 Millionen Euro in diesem und 1,9 Milliarden Euro im kommenden Jahr. Das ursprüngliche Forderungsvolumen hatte laut Schneider bei 2,3 Milliarden gelegen – für ein Jahr. Dass bereits sechs Bundesländer angekündigt haben, den Abschluss auch für ihre Beamten und Versorgungsempfänger zu übernehmen, ist ein Zeichen, dass sich die Kostenbelastung noch im verträglichen Rahmen hält.

Insofern ist das Ergebnis, das Arbeitgeber und Gewerkschaften am Freitag in Potsdam nach drei Verhandlungsrunden und einigen Warnstreiks erzielt haben, durchaus ein guter Kompromiss zwischen Magerstaat und starkem Staat. Die Länder müssen nun zeigen, dass es ihnen tatsächlich ernst ist mit einer Aufwertung des öffentlichen Dienstes. Sie dürfen die Tarifsteigerung nicht als Vorwand nehmen, um den versprochenen Personalaufbau etwa bei der Polizei zu blockieren.

Verdi und Beamtenbund stehen vor der nicht leichten Aufgabe, zu erklären, warum nicht alle ihre Mitglieder gleichermaßen von dem Abschluss profitieren. Die Aufwertung der Lehrer und Erzieher geht zwangsläufig zu Lasten der Lohnprozente für Verwaltungsangestellte, Straßenwärter oder Justizbeschäftigte. Von der neuen Stufe 6 profitieren zudem nur Beschäftigte, die schon lange im Landesdienst stehen, nicht aber neu Eingestellte. Auch ziehen die Kollegen beim Bund und in den Kommunen weiter davon: Sie hatten in der Tarifrunde im vergangenen Jahr ein zweistufiges Plus von insgesamt 2,75 Prozent herausgeholt.

Aber so ist das eben in Tarifverhandlungen. Es geht nicht darum, jemanden über den Tisch zu ziehen, sondern einen Kompromiss zu finden, mit dem am Ende beide Seiten leben können. Gemessen an der Komplexität der Forderungen, die auf dem Tisch lagen, ist das am Ende ganz gut gelungen.

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