Für viele Deutsche ist Kundus nicht nur ein Synonym für den Afghanistan-Einsatz insgesamt, sondern auch für Krieg. Hier lieferten sich deutsche Soldaten am Karfreitag 2010 die schwersten Gefechte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Nirgendwo in Afghanistan fielen mehr Deutsche als in Kundus und Baghlan.
Bis Monatsende werden alle der derzeit noch 900 deutschen Soldaten Kundus verlassen haben - ein Meilenstein auf dem Weg zum Ende des Nato-Kampfeinsatzes in Afghanistan 2014. Sie werden ins letzte Bundeswehr-Feldlager in Nordafghanistan verlegt, ins Camp Marmal in Masar-i-Scharif. Die afghanischen Sicherheitskräfte sind in den vergangenen Jahren zwar deutlich professioneller geworden. Die Menschen in Kundus verunsichert der Abzug der Bundeswehr trotzdem zutiefst. Sie erzählen, in den Dörfern prahlten die Taliban damit, dass sie die Deutschen geschlagen hätten.
Sicherheitshalber bleibt im Lager in Kundus ein abgeriegeltes Areal für maximal 300 Soldaten für die Bundeswehr reserviert - falls eine Eingreiftruppe aus Masar-i-Scharif den afghanischen Sicherheitskräften im Notfall beistehen muss. In diesem ummauerten Gelände waren einst die Spezialkräfte der Task Force 47 untergebracht. Dort gab Oberst Georg Klein den Befehl für den Luftschlag am 4. September 2009, der zum Tod auch vieler Zivilisten führte. Auch dieses verheerende Bombardement ist untrennbar mit dem Bundeswehr-Einsatz in Kundus verbunden.
Eine Hälfte des Camps in Kundus bezieht nun die Nationalarmee, die andere - getrennt von einer neuen Mauer - die Bereitschaftspolizei. Die Küchen wurden auf afghanische Bedürfnisse umgerüstet, komplexe deutsche Küchengeräte wurden durch Feuerstellen ersetzt. Am Sonntagmorgen wurde der Backofen für das afghanische Fladenbrot angefeuert. In einem der Esssäle - wo einst eine Rakete der Taliban einschlug -, warten Tische und Stühle auf die neuen Bewohner, rote afghanische Plüschsofas stehen an den Wänden.
Das Camp befindet sich in Auflösung. Die meisten Unterkünfte sind geräumt, die Soldaten sind auf Feldbetten zusammengerückt. Die „Kriseninterventionsdrops“, die vor dem Büro des Truppenpsychologen standen, sind aufgebraucht. Das Feldlazarett allerdings ist bis zum Schluss in Betrieb - für den Fall der Fälle. Bis zum letzten Konvoi nach Masar-i-Scharif werden deutsche Soldaten weiterhin Patrouillen fahren, um das Feldlager gegen Taliban-Angriffe abzusichern.
Den Aufständischen gelingt es nicht, die Zeremonie am Sonntag zu stören. Nach der Camp-Übergabe steht Tanja Menz am Ehrenhain, der nach Potsdam gebracht werden wird und wo de Maizière und Westerwelle sich gerade Fragen der Presse stellen. Der Verteidigungsminister streift ihr danach im Vorbeigehen mitfühlend über den Arm.
Die Mutter, die im Krieg ihren Sohn verlor, hat davor gesagt: „Wir alle hoffen einfach, dass alle, die jetzt da sind, gut wieder nach Hause kommen.“ Was sie über die Sinnhaftigkeit des Einsatzes denke? „Für mich persönlich, das ist natürlich klar, kann es nicht sinnvoll sein. Aber ich denke natürlich, dass es vielleicht insgesamt etwas gebracht hat“, sagt Tanja Menz. „Aber ich kann das hoffen. Wissen, glaube ich, tun wir das erst in ein paar Jahren.“