AfD am Scheideweg Streit in der Professorenpartei

Die AfD startete als „Professorenpartei“. Die Ökonomen wollen den Kurs der Partei nicht nach rechts verschieben lassen.

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Der Chef der Alternative für Deutschland, Bernd Lucke und Europaabgeordneter Hans-Olaf Henkel Quelle: dpa

Wenn Hans-Olaf Henkel seine Standardrede beginnt, kommt er schnell auf das Etikett „Professorenpartei“, das Gegner und Medien seiner Alternative für Deutschland (AfD) verpasst hätten. „Das muss ja ganz schlimm sein“, spottet der frühere Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie und heutige Europaabgeordnete der AfD. „Erstmals war da eine Partei mit Leuten an der Spitze, die wissen, wovon sie reden.“

Und er setzt noch einen drauf. Zu ihrer kleinen Truppe im Europaparlament gehörten gleich drei Mann mit Professorentitel – „das sind mehr, als das gesamte europäische Parlament vorher hatte“.

Die wichtigsten Köpfe in der AfD

Die akademische Herkunft und vor allem die Euro-Kritik des Ökonomen und Parteigründers Bernd Lucke hatten Henkel einst zur AfD gelockt – und nicht nur ihn. Um den spröden Hamburger Hochschullehrer scharten sich etliche Standeskollegen; manche traten der Partei bei, andere engagierten sich im wissenschaftlichen Beirat.

Beim Parteitag an diesem Wochenende in Bremen fällt eine Vorentscheidung, ob die AfD zumindest auch Professorenpartei bleibt. Denn sollte Lucke mit seinem Versuch scheitern, die Führung der jungen Organisation ganz auf sich zuzuschneiden und bis Jahresende das Parteiprogramm maßgeblich zu prägen, würden auch etliche akademische Unterstützer von der Fahne gehen.

„Es ist für mich ganz zentral, dass Lucke Vorsitzender bleibt“, sagt Joachim Starbatty, der wie sein Parteichef seit sieben Monaten im Europaparlament sitzt. „Die Mitglieder und unsere Anhänger wissen: Es ist Lucke, der die Partei zusammenhält.“ Bekannt wurde der Tübinger Professor für Wirtschaftspolitik Starbatty durch seine Euro-Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht. „Anders als mit Lucke an der Spitze geht es nicht“, sagt auch der Mannheimer Volkswirtschaftsprofessor Roland Vaubel, AfD-Mitglied der ersten Stunde und Redner auf dem Gründungsparteitag.

Dirk Meyer, er hält den Lehrstuhl für Ordnungsökonomik an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, ist zwar nie der AfD beigetreten, arbeitet aber im wissenschaftlichen Beirat mit. „Wo kann ein Professor sonst sein Arbeitsfeld in die politische Praxis einbringen? Das ist ein schöner Transfer.“ Den Parteigründer kennt er seit Jahren als Kollegen in der Hansestadt. „Für mich macht sich das an den Personen Lucke und Henkel fest“, sagt Meyer. „Wenn die verschwinden, sehe ich nicht, dass mein Sachverstand dort noch gebraucht wird.“

Seit Monaten tobt ein Machtkampf an der AfD-Spitze, der „erhebliche Unruhe in die Partei reingebracht hat“, stellt Starbatty fest. Kurz nach Weihnachten war der Konflikt in einer öffentlichen Schlammschlacht eskaliert. Vordergründig geht es nur um organisatorische Fragen: Soll die Partei weiterhin von drei gleichberechtigten Sprechern geführt werden oder künftig nur noch von einem, wie Lucke es (für sich) anstrebt?

Es geht aber auch um die Richtung – politisch wie ökonomisch. Denn die schärfsten Kritiker des gesellschaftlich konservativen, wirtschaftspolitisch aber ordoliberalen Lucke sind ausgerechnet die beiden triumphierenden Wahlsieger Frauke Petry und Alexander Gauland. Die Chefs von Partei und Landtagsfraktion in Sachsen beziehungsweise Brandenburg stehen für einen national-konservativen Kurs.

Die AfD ist ins falsche Licht geraten

Die Volkswirte in der AfD sehen mit Schrecken, wie sich ökonomische Ahnungslosigkeit mit einem in der AfD-Anhängerschaft weit verbreiteten Anti-Amerikanismus zu einer heftigen Abwehrhaltung gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP verbindet.

Vor allem Starbatty geriet unter schweren innerparteilichen Beschuss, weil er für den Vertrag warb. „Das hat mich sehr gewundert“, staunt er noch heute. „Als Ökonom denkt man: Den Freihandel stellt man nicht infrage.“ Zudem seien mit Anti-TTIP-Kampagnen irrationale Ängste in der Öffentlichkeit geschürt worden. „Die Leute haben Angst vor amerikanischen Chlorhühnchen, aber bei uns sind die Hühnchen mit Antibiotika vollgepumpt.“

Leider, klagt Vaubel, sei durch die Kritik die Position der AfD in den Medien in ein falsches Licht geraten. „Wir sind nicht gegen TTIP, wir halten nur diese Schiedsgerichte für problematisch.“ Der wissenschaftliche Beirat der AfD, dem er angehört, werde nun einen Vorschlag für eine rechtsstaatlich unbedenkliche Lösung erarbeiten. Das Ziel: ein internationaler Handelsgerichtshof.

Das Netzwerk der Hass-Unternehmer

Mit dem Aufstieg des Rechtspopulismus gewinnen auch die rechten Medien an Einfluss. Wer hinter den wichtigsten Organen der Szene steckt, wie sie sich gegenseitig unterstützen und wie sie die Agenda der AfD beeinflussen. Eine Erzählung als Netzwerkgrafik.

Im Europawahlprogramm, freut sich der Hamburger Meyer, habe die Arbeit des Beirats „deutliche Spuren hinterlassen“. Auch der Unternehmensberater Gustav Greve, der im Bundesvorstand die Formulierung des Parteiprogramms koordiniert, verweist darauf, dass in Bund und Ländern noch eine ganze Reihe Professoren aktiv seien. „Wir haben uns nicht komplett gewandelt von einer analytischen Partei zu einer Partei des schrillen Wortes.“ Allerdings: Just als die Euro-Krise mit den Neuwahlen in Griechenland wieder aufkeimte, war die AfD wegen der internen Machtkämpfe bei ihrem Kernthema verstummt.

Der phänomenale Aufstieg der AfD
AfD Bundesparteitag in Erfurt Quelle: dpa
AfD im Europaparlament Quelle: dpa
AfD Zeiungsabonnements Quelle: dpa
Bernd Lucke Europaparlament Quelle: dpa
AfD Bernd Lucke Europaparlament Quelle: dpa
DMark
Frauke Petry Quelle: dpa

Zudem hat sich durch den starken Zulauf die Zusammensetzung der Mitglieder verändert. Ehemalige Funktionäre der rechtslastigen Republikaner, der Partei Die Freiheit und anderer Splittergruppen sind eingesickert, obwohl die AfD sie eigentlich nicht aufnehmen wollte. Zudem schockieren Einzelfälle wie ein baden-württembergisches AfD-Mitglied, das den Massenmord an den Juden im Internet seine „Erfüllung“ nannte. Dem Parteiausschluss kam es durch Austritt zuvor.

Zum Krach in der Führung kam es zudem, weil Bundessprecher Gauland der Pegida-Bewegung Avancen machten. Henkel dagegen warnt auch in Parteiversammlungen: „Wir wollen uns nicht mit denen zusammentun, da laufen NPD-Leute mit.“ Und: „Es gibt auch in unserer Partei Unvernünftige, Unanständige. Die versuchen wir loszuwerden.“ Freunde macht er sich damit in der AfD nicht überall.

Nach der Einigung auf einen Solo-Chef ab Dezember sieht Ökonom Vaubel die AfD auf einem „sehr guten Weg“. Bei der dann fälligen Neuwahl könne er sich „nicht vorstellen, dass Frau Petry eine Chance hätte“. Schließlich habe sie mit ihrem Kurs in der Pegida-Debatte „keine Punkte gemacht“.

Der Einfluss der Professoren sei immer noch groß. Vaubel ist froh, dass die Parteiführung beschlossen habe, sich nicht an den Pegida-Aufmärschen zu beteiligen. „Einen Religionskrieg zu führen ist nicht unsere Sache. Ich halte Pegida für einen Versuch der NPD, die AfD zu zerlegen“, mutmaßt der Mannheimer Volkswirt.

Wie sehr die Haltungen in der AfD auseinanderklaffen, zeigt auch die Planung des Parteitags. Eigentlich soll die Satzung beraten werden, Lucke hat aber vier Vorträge von externen Professoren und Experten angesetzt, um weiße Flecken in der Programmatik schneller füllen zu können: Demografiepapst Herwig Birg spricht über die alternde Gesellschaft, zur Gesundheitspolitik Carl-Christian von Weizsäcker, der schon bei der FDP in der Grundsatzkommission saß.

Sozialrichter Jürgen Borchert, der die aufsehenerregenden Familien-Urteile vor dem Bundesverfassungsgericht erstritt, bringt Vorschläge für die Sozialversicherungen, Finanzwissenschaftler Stefan Homburg entwirft eine Steuerreform. Daraufhin stellten etliche Mitglieder Anträge auf „Streichung aller Vorträge zu irrelevanten Themen“.

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