AfD-Aufstieg Die Angst vor Flüchtlingen reicht nicht als Erklärung

Pegida und die AfD provozieren Feindseligkeit gegenüber Flüchtlingen, sagt Hajo Funke. Gerade in Sachsen sieht der Politologe aber auch eine Mitschuld der CDU. Er wirft ihr vor, das eigentliche Problem zu verharmlosen.

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Die AfD-Chefin gibt sich in der Öffentlichkeit moderat. Quelle: Reuters

Berlin Keine andere Partei beschäftigt deutsche Politologen und Sozialforscher zur Zeit so stark wie für die AfD. Der Berliner Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke hat jetzt eine neue Studie zu AfD und Pegida vorgelegt. Sein Buch „Von Wutbürgern und Brandstiftern“ geht allerdings über eine bloße Analyse des rechtspopulistischen Milieus hinaus.

Funke versteht sein Buch auch als Mahnung an die etablierten Parteien. Vor allem die CDU hat aus seiner Sicht in den östlichen Bundesländern versagt, als es in der Flüchtlingskrise darum ging, rechtsextreme Hetzer und Gewalttäter in die Schranken zu weisen.

Als ein Beispiel nennt Funke die Vorfälle im sachsen-anhaltinischen Tröglitz. In dem Ort war der ehrenamtliche Bürgermeister Markus Nierth 2015 nach fremdenfeindlichen Protesten, die von der NPD angeführt wurden, zurückgetreten. Wenig später brannte in Tröglitz eine bezugsfertige Flüchtlingsunterkunft. Nierth, der über seine Erlebnisse ein Buch geschrieben hat, sagt heute, er habe sich damals von den Politikern alleingelassen gefühlt. Funke wirft den Behörden in Sachsen-Anhalt und auch Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) vor, sie hätten „nicht verstanden, worum es geht: dass die Entscheidung darüber, ob Asylbewerber auch in Tröglitz untergebracht werden, nicht der Straße überlassen werden kann“.

In Sachsen, der Heimat der Pegida-Bewegung, konstatiert Funke gar ein „Politikversagen“. In Teilen der sächsischen CDU will er eine „rechtspopulistische Dynamik“ entdeckt haben. Funke zitiert Maximilian Krah, Beisitzer im Dresdner CDU-Kreisvorstand. Krah schrieb im vergangenen März auf seiner Website: „Das Problem der AfD ist nicht ihre Programmatik, die entspricht weitgehend derjenigen der Jungen Union und CDU, in die ich 1991 und 1996 eingetreten bin. Ihr Problem ist, dass sie personell unkonsolidiert und oft einfach unsympathisch ist.“

Funke weist darauf hin, dass die Angst vor noch mehr Flüchtlingen alleine nicht ausreicht, um das AfD-Phänomen zu erklären. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung hängt seiner Ansicht nach auch mit der anhaltenden Euro-Krise zusammen, mit Ohnmachtsgefühlen im globalisierten Kapitalismus, mit „korrupten Erscheinungen“ und der weitreichenden „Entmachtung demokratisch legitimierter Parlamente“.

Den Verantwortlichen der AfD und der islamfeindlichen Pegida-Bewegung wirft er vor, sie mobilisierten durch die „Entfesselung von Ressentiments“ - gewollt oder nicht - neonazistische Gewalttäter. In der AfD hätten seit der Entmachtung von Parteigründer Bernd Lucke im Sommer 2015 radikale Kräfte die Zügel in der Hand, sagt Funke. Er schreibt: „Nichts geht ohne den radikalen „Flügel“. Er ist mächtiger denn je und immer dazu bereit, jene, die die Partei offiziell repräsentieren, vor sich herzutreiben.“ Als wichtigste Repräsentanten der radikalen Strömung innerhalb der AfD identifiziert er den Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke und Bundesvorstandsmitglied André Poggenburg, der bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt für die AfD das beste Ergebnis ihrer Parteigeschichte holte. Immer wichtiger wird nach seiner Einschätzung auch Hans-Thomas Tillschneider.

Der Islamwissenschaftler sitzt im Magdeburger Landtag und leitet die am rechten Parteirand verortete „Patriotische Plattform“ der AfD. Tillschneider hatte mit einem Auftritt als Gastredner bei Pegida im vergangenen Mai den Unmut des AfD-Bundesvorstandes auf sich gezogen. Abgrenzungsprobleme hat die AfD auch gegenüber der rechtsextremen „Identitären Bewegung“, die inzwischen vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Zwei Mitglieder des Vorstandes der Plattform nahmen im Juni in Wien an einer Demonstration der Identitären Bewegung Österreich teil. Einer von ihnen - Dubravko Mandic - gehört dem Schiedsgericht des AfD-Landesverbandes in Baden-Württemberg an.

Der Erfolg der AfD speist sich für Funke vor allem aus ihrer „rechtspopulistischen Taktik“. Er schreibt, die Parteispitze um Jörg Meuthen und Frauke Petry versuche, sich in der Öffentlichkeit moderat zu geben. In der Ausrichtung habe sich die Partei aber „radikal entwickelt“.

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