AfD-Chaos und die Folgen Die doppelte Petry

Es ist ein politisches Schauspiel der besonderen Art – mit Frauke Petry und Marcus Pretzell in Doppelrollen. Die AfD-Abtrünnigen wollen jeweils zwei Mandate behalten. Das bedeutet auch mehr Geld für sie. Doch ist das rechtens?

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Die AfD-Abtrünnigen Frauke Petry will Mandate behalten Quelle: dpa

Berlin Über die AfD fanden sie politisch zusammen – und dann auch privat. Doch mit ihrer Partei liegen die Noch-Parteichefin Frauke Petry und Marcus Pretzell, zuletzt NRW-Fraktionschef, nun in Scheidung. Beide wollen die AfD verlassen. Ihre Mandate wollen sie aber behalten. Warum auch nicht, könnte man jetzt meinen. Doch der Teufel steckt im Detail.

Es kommt zwar immer wieder vor, dass Politiker plötzlich mit ihrer Partei über Kreuz liegen, schließlich austreten, aber ihr Mandat behalten. Jüngstes Beispiel ist Erika Steinbach. Noch vor Beginn des Bundestagswahlkampfs verließ die hessische Bundestagsabgeordnete die CDU, blieb dann aber als Einzelparlamentarierin dem Parlament erhalten. Außerparlamentarisch engagiert sie sich seitdem für die AfD.

Die Besonderheit bei Petry und Pretzell liegt nun aber darin, dass beide mehrere Mandate innehaben. Petry war bis vor kurzem noch Fraktionschefin der AfD im Dresdner Landtag. Nach ihrem Austritt aus der Fraktion ist sie dort einfache Abgeordnete. Als Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl gewann sie in ihrem Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge zusätzlich das Direktmandat und ist nun auch Abgeordnete im Bundestag. Allerdings fraktionslos, nachdem sie erklärt hatte, nicht der neuen AfD-Bundestagsfraktion angehören zu wollen.

Petrys Ehemann Marcus Pretzell hat ein ebenfalls ein Landtagsmandat – im Düsseldorfer Landtag. Auch er ist fraktionslos, nachdem er seinen Rückzug aus der AfD-Fraktion erklärt hat. Zusätzlich hat Pretzell ein Mandat im EU-Parlament. Dieses hat er auf AfD-Ticket bei der Europawahl 2014 errungen. Doch obwohl er seit Anfang Juni Abgeordneter im nordrhein-westfälischen Landtag ist, will er das Europamandat nicht niederlegen. Anders als beispielsweise der CDU-Politiker Herbert Reul, der zuvor auch Europaparlamentarier war und jetzt Innenminister in NRW ist.

Das Vorgehen von Petry und Pretzell ist zwar rechtlich nicht zu beanstanden, hat aber einen faden Beigeschmack. Als aktive AfD-Politiker schimpften sie noch über die politische Konkurrenz, sprachen verächtlich von „Parteienkartell“. Und im Wahlprogramm der AfD findet sich die Formulierung: „Die ungebrochene Tendenz zum Berufspolitikertum hat der Monopolisierung der Macht Vorschub geleistet. Vetternwirtschaft, Filz, korruptionsfördernde Strukturen und Lobbyismus waren und sind die Folge.“ Die Partei fordert daher eine Mandatszeitbegrenzung, um „unser Ideal des Bürgerabgeordneten herzustellen“.

Von alldem wollen Petry und Pretzell offenbar nichts mehr wissen. Pretzell etwa erklärte in der „Jungen Freiheit“, an seinem Europamandat deshalb festhalten zu wollen, um auf diese Weise zu verhindern, dass ein Abgeordneter für die AfD nachrücke, der eine politische Richtung vertrete, die er ablehne. Petry versicherte, sie könne sowohl ihr Landtags- als auch ihr Bundestagsmandat wahrnehmen. Da sie im Bundestag keine Aufgaben in der Fraktion habe, sei dies zeitlich miteinander vereinbar. Ein finanzieller Vorteil entstehe für sie dadurch nicht, da die Diäten vollständig miteinander verrechnet würden. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit.

Im sächsischen Landtag beträgt die sogenannte Grundentschädigung für Abgeordnete 5.668,16 Euro. Hinzu kommt, je nachdem, wo der Parlamentarier seinen Hauptwohnsitz hat, eine steuerfreie Kostenpauschale zwischen 3.163,28 und 4.135,97 Euro. Bundestagsabgeordnete erhalten monatlich 9541,74 Euro und eine ebenfalls steuerfreie Pauschale von derzeit monatlich 4318,38 Euro. Damit bestreiten die Parlamentarier alle Ausgaben, die bei der Ausübung des Mandats anfallen, wie Kosten für Mitarbeiter in den Wahlkreisbüros oder für einen etwaigen Zweitwohnsitz in Berlin.

Was Petry in ihrer Rechnung nicht erwähnt: die nicht steuerpflichtigen Kostenpauschalen werden nicht verrechnet. Zudem muss Petry von ihren Bezügen nicht ihre Mitarbeiter bezahlen. Abgeordnete können vielmehr bis zu 20.870 Euro derzeit monatlich für ihre Büroleiter, Referenten, Wissenschaftler, Sekretäre, Sachbearbeiter oder Hilfskräfte ausgeben. Das Geld geht direkt von der Bundestagsverwaltung an die Mitarbeiter.

Abgeordnete haben zudem einen Anspruch auf ein komplett eingerichtetes Büro im Bundestag – für Material, Telefone, Laptops und andere Geräte gibt es jährlich noch einmal bis zu 12.000 Euro extra, Neu-Parlamentarier erhalten im ersten Jahr zusätzlich 255,65 Euro. Zudem können die Volksvertreter Dienstfahrzeuge nutzen, haben freie Fahrt bei der Deutschen Bahn und bekommen Inlandsflüge zur Ausübung ihres Mandats bezahlt.


Pretzell taucht im EU-Parlament nicht mehr auf

Bei Pretzell stieß dessen selbst gewählte Doppelrolle im EU-Parlament auf wenig Verständnis. Die Vorsitzende des Haushalts-Kontrollausschusses im EU-Parlament, Ingeborg Gräßle (CDU), forderte Pretzell auf, sein EU-Mandat aufzugeben oder darzulegen, wie er sein Doppelmandat wahrnehmen wolle. Sie verwies darauf, dass Pretzell seit dem 6. April im EU-Parlament an keiner Abstimmung teilgenommen habe.

Gräßle räumte zwar ein, dass die Diäten miteinander verrechnet würden. Für Funktionszulagen gelte das aber nicht. Pretzell profitiere deshalb „entgegen seiner öffentlichen Beteuerungen ganz erheblich finanziell von seinem Doppelmandat“. Neben einer steuerfreien Kostenpauschale in Höhe von 4.342 Euro monatlich verfüge er über 24.164 Euro monatlich zur Beschäftigung von Mitarbeitern.

„Das Europäische Parlament ist kein Selbstbedienungsladen zur finanziellen Unterstützung von Landtagsabgeordneten“, sagte Gräßle. Pretzell hatte nach seiner Wahl zum AfD-Fraktionsvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen erklärt, er wolle seinen Sitz im EU-Parlament erst nach der Bundestagswahl abgeben. Auch er wies seinerzeit darauf hin, dass die Diäten aus Europaparlament und Landtag verrechnet würden.

EU-Abgeordnete erhalten monatlich eine Diät von rund 9.500 Euro. Nach Auskunft des nordrhein-westfälischen Landtags verdient ein Abgeordneter einschließlich des Zuschusses zur Altersvorsorge rund 10.700 Euro. Davon würden nach dem NRW-Abgeordnetengesetz bei einem Doppelmandat 71,5 Prozent abgezogen. Damit bleibt aber immer noch ein Teil anrechnungsfrei. Finanziell stelle er sich nicht besser, versicherte Pretzell seinerzeit.

Doppelmandate sind zwar grundsätzlich mit dem geltenden Recht vereinbar. Werden aber von Juristen durchaus kritisch gesehen. „Doppelmandate entstehen, weil Abgeordnete der Landesparlamente ihr Mandat häufig als Karrieresprungbrett nutzen und sich in den Bundestag wählen lassen“, heißt es in einem jüngst veröffentlichten Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Die Rückkehr vom Bundestag in ein Landesparlament sei dagegen eher selten. Gleichwohl seien Doppelmandate in der Praxis „wegen der zeitlichen Belastung problematisch“. Insgesamt bilde die Gruppe der Doppelmandatsträger im Bundestag daher die Ausnahme.

Laut dem Gutachten entscheiden sich die meisten Doppelmandatsträger innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach der Wahl in das zweite Parlament für eines der beiden Mandate. Doppelmandate von drei Monaten Dauer oder länger seien hingegen „äußerst selten“: Zwischen 1990 und 2012 habe die Zahl jeweils zwischen null und drei Abgeordneten gelegen. „Dabei lag die Dauer des Doppelmandats meist deutlich unter einem Jahr.“

Zu prominenten Doppelmandatsträgern zählt etwa Willy Brandt (SPD). Der hatte von 1969 bis 1971 eine Doppelmitgliedschaft in Bundestag und Berliner Landtag. Ebenso 1979 der CDU-Politiker und spätere Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der acht Monate lang ein Mandat auf Bundes- und Landesebene innehatte. Eine Doppelmandats-Rolle nahmen auch der frühere FDP-Politiker Jürgen W. Möllemann (acht Monate) und der Linken-Politiker Oskar Lafontaine (vier Monate) schon wahr.


Staatsrechtler bringt Verfassungsänderung ins Spiel

Solche Doppelmandate seien freilich rechtlich „nicht in Stein gemeißelt“, sagt der Rektor der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, Joachim Wieland. „Bisher war das in der Praxis kein großes Problem, weil die Parteien kein Interesse an Doppelmandaten haben und solche Konstellationen deshalb vermeiden“, sagte Wieland dem Handelsblatt. „Wegen der zeitlichen Ansprüche, die ein Mandat an einen Abgeordneten stellt, entspricht eine verfassungsrechtliche Regelung, die Doppelmandate ausschließt, aber schon lange wesentlich besser dem Prinzip der parlamentarischen Demokratie.“

Aus Sicht von Wieland wäre daher eine Verfassungsänderung „nicht nur möglich, sondern sachgerecht“. Denn solange das Grundgesetz oder die jeweilige Landesverfassung nicht geändert werden, könne das Volk Repräsentanten sowohl in den Bundestag als auch in einen Landtag oder in das Europaparlament schicken.

Der Gesetzgeber könne allerdings schon jetzt aktiv werden, fügte Wieland hinzu. Ohne eine Grundgesetzänderung könne etwa eine Anrechnungsregelung für die steuerfreien Kostenpauschalen getroffen werden. Denn Doppelmandate brächten es mit sich, „dass ein Teil des mit einem Mandat verbundenen Aufwands entfällt“. Die Parteien selbst können ihren Mitglieder indes Doppelmandate nicht eigenständig verbieten. „Das Prinzip des freien Mandats schließt Regelungen in Parteisatzungen aus, die verfassungsrechtliche Vorgaben nicht zu ändern vermögen“, erläuterte Wieland.

Auch der Steuerzahlerbund sieht Handlungsbedarf. „Wir brauchen ein einheitliches Vorgehen auf Bundes- und Landesebene. Problematisch ist, dass ein Doppelmandat in einem Bundesland gestattet wird, aber in einem anderen nicht“, sagte Verbandspräsident Reiner Holznagel dem Handelsblatt. In Thüringen ist etwa nicht erlaubt, gleichzeitig ein Mandat im Landtag und im Bundestag zu haben. „Zwingend notwendig ist zudem eine einheitliche Regelung, wie die einzelnen Bezüge inklusive Kostenpauschale und weiterer Erstattungen so verrechnet werden, dass eine Anhäufung von Ämtern nicht eine Anhäufung von Einkommen bedeutet – und dies auch noch auf Kosten der Steuerzahler.“

Petry und Pretzell dürfte eine Debatte über etwaige neue Regeln zu Doppelmandaten wenig beeindrucken. Die beiden sind derzeit mit ganz anderen Fragen beschäftigt. Dem Vernehmen nach basteln sie derzeit an ihrer neuen politischen Zukunft. So hat die aus der AfD scheidende Petry eine Internetadresse „dieblauen.de“ angemeldet.

Eine Partei stecke aber nicht dahinter, sagt sie. Das „Blau“ verkörpere vielmehr eine Idee, sei aber kein Parteiname. Sie werde sich zu gegebener Zeit dazu äußern. Es sei noch zu früh, um über Details zu sprechen: „Mehr möchte ich zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht darüber sagen.“ Petry bekräftigte, dass sie politisch aktiv bleiben wolle.

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