Herr Lucke, wieso hört man so wenig von der AfD in den letzten Wochen?
Das liegt nicht an uns. Wir äußern uns täglich zur politischen Lage, doch die Aufmerksamkeit der Medien liegt stark auf der Regierungsbildung. Deswegen werden wir derzeit weniger wahrgenommen als wir das wünschen. Denn mit Blick auf den Koalitionsvertrag der Großen Koalition wäre es dringend geboten, auch kritische Stimmen zu hören.
Was stört Sie an den Plänen der Großen Koalition?
Die grundsätzliche Richtung bereitet mir Sorgen. Die getroffenen Vereinbarungen beruhen auf klassischer sozialdemokratischer Ideologie und sind keine Grundlage für eine vernünftige Wirtschaftspolitik. Das fängt mit den Wohltaten in der Rentenpolitik an, die nicht nachhaltig finanziert sind, und hört mit dem Unsinn eines flächendeckenden, einheitlichen Mindestlohns auf.
Was Ökonomen zum Koalitionsvertrag sagen
"Die Koalitionsvereinbarungen sind geprägt von dem Willen der Parteien, die Lebensverhältnisse in den nächsten vier Jahren zu verbessern. Dazu gehören der Mindestlohn sowie die Erhöhung des Wohngeldes, um Einkommensschwachen angesichts steigender Mieten zu helfen. Wichtig sind auch die neuen Mechanismen bei der Energiewende, um die Kosten zu dämpfen. Was mir fehlt: Gegen die Investitionsschwäche wird zu wenig unternommen. Das gravierende Problem in Deutschland ist die private Investitionsschwäche. Da hätte man ansetzen müssen - etwa durch bessere Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen. Das größte Defizit aber ist die Frage der europäischen Integration. Da gibt es ein Festhalten am Durchwursteln. Die große Koalition hat die historische Chance verpasst, Europa voranzubringen - nämlich in Richtung einer Fiskalunion und einer politischen Integration. Damit hätte sie die EZB aus der undankbaren Rolle des Stabilisators herausnehmen können. Der Status quo ist keine dauerhaft stabile Architektur in Europa. Hier hat die große Koalition eine große Chance verpasst."
"Dieser Koalitionsvertrag bedeutet nicht so furchtbar viel für den Standort Deutschland. Die Dinge, die nach vorne zeigen, wie etwa das Investitionsprogramm, reichen nicht aus. Die 23 Milliarden an Investitionen für vier Jahren sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Fortschritte sehe ich auf dem Arbeitsmarkt und bei der Rente. Die Einführung eines Mindestlohn ist längst überfällig. Die Übergangsfrist ist vertretbar. Positiv ist auch, dass die Altersarmut angegangen werden soll. Bedenklich ist jedoch, dass die Mütterrente aus dem Rentensystem finanziert werden soll. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die aus dem Steuersystem finanziert werden muss. Eine Katastrophe ist, dass die bisherige Europapolitik fortgesetzt wird. Das ist ein schlechtes Signal für den Kontinent. Ich hätte mir gewünscht, dass die Sparpolitik gelockert wird und Alternativen dazu entwickelt werden. Das ist nicht geschehen. Hier bleibt alles in der Hand der Bundeskanzlerin. Die SPD kann hier keinerlei Akzent setzen. Das ist sehr, sehr bedauerlich."
"Das Wichtigste: Sofern die SPD-Basis zustimmt, bekommt Deutschland eine stabile und handlungsfähige Regierung. Das ist positiv. Das Wichtigste für die Finanzmärkte ist, dass die erfolgreiche deutsche Europa-Politik fortgesetzt wird - also Unterstützung für die Krisenstaaten im Gegenzug für Reformen. Der Staat wird zwar etwas mehr ausgeben, dürfte es aber trotzdem schaffen, sowohl den Stabilitätspakt als auch die Schuldenbremse einzuhalten. Die Energiewende dürfte etwas pragmatischer und damit für Haushalte wie für Unternehmen erträglicher gestaltet werden. Negativ ist die Rolle rückwärts am Arbeitsmarkt. Das wird im Aufschwung wohl nicht schaden, aber im nächsten Abschwung. Es schwächt die Glaubwürdigkeit Deutschlands, wenn es Reformen in den Krisenländern fordert, die eigenen aber aufweicht."
"Deutschland wird die Agenda-Reformen massiv zurückrollen. Der Wirtschaftsweisen haben zurecht darauf hingewiesen, dass das langfristig die Rahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft verschlechtert. Trotzdem erwarte ich, dass die deutsche Wirtschaft in den kommenden Jahren schneller wachsen wird als der Rest des Euro-Raums. Denn nach der Einführung der Agenda-Reformen hat es auch viele Jahre gedauert, bis die positiven Effekte wirksam wurden. Das Gleiche gilt mit umgekehrten Vorzeichen für die jetzigen wirtschaftspolitischen Beschlüsse. Außerdem wird das Wachstum in Deutschland zunehmend angefacht für die für uns viel zu niedrigen EZB-Leitzinsen, die beispielsweise die Immobilienpreise und andere zinssensitive Ausgaben steigen lassen."
"Leichten Rückenwind hat der Euro heute Morgen vom Ergebnis der schwarz-roten Koalitionsverhandlungen erhalten. Allerdings haben nicht wirklich viele mit einem Scheitern der Verhandlungen in letzter Minute gerechnet. Nun aber ist auch der letzte Funken Unsicherheit, der nach dem Wahlausgang im September herrschte, verflogen. Deutschland hat zeitnah eine neue Regierung. Ein Restrisiko bleibt noch mit dem SPD-Mitgliedervotum, aber auch dieses dürfte wohl einen positiven Ausgang nehmen."
"Das ist kein Kompromiss. Union und SPD haben sich gegenseitig ihre Wünsche erfüllt. Bei einer Umsetzung der Beschlüsse in dieser Form werden die Sozialversicherungsbeiträge kräftig steigen. Ich gehe aber fest davon aus, dass die SPD-Basis den Vertrag ablehnen wird."
Was ist so schlimm daran, dass alle Menschen von ihrer Arbeit leben können?
Ich bin sehr für den sozialen Ausgleich. Aber der Mindestlohn ist die Entsolidarisierung des Staates gegenüber den geringqualifizierten Arbeitnehmern. Hier lässt der Staat die Unternehmen, die Arbeitsplätze für Geringqualifizierte anbieten, allein und sagt: Den sozialen Ausgleich finanziert nicht etwa der Staat sondern Ihr – durch den Mindestlohn. Der Staat zieht sich aus seiner sozialpolitischen Verantwortung zurück. Die Unternehmen, die keine geringqualifizierten Arbeitnehmer beschäftigen, sind ebenfalls fein raus. Belastet werden gerade die Unternehmen, die Arbeitsplätze für Niedrigqualifizierte anbieten! Da liegt es auf der Hand, dass man darüber nachdenken wird, ob man auf diese Arbeitskräfte verzichten kann. Der Mindestlohn ist wie eine Subvention, die durch eine Steuer auf Arbeitsplätze für Geringqualifizierte finanziert wird. Ein einheitlicher, flächendeckender Mindestlohn ist wirtschaftspolitisch falsch, weil er Arbeitsplätze zerstört, und in sozialpolitischer, familienpolitischer und in bildungspolitischer Hinsicht ist der Mindestlohn eine Kapitulationserklärung des Staates.
Das müssen Sie erklären.
Der Mindestlohn ist das Eingeständnis, dass manche Menschen in Deutschland so schlecht ausgebildet wurden, dass sie nicht für ihren eigenen Lebensunterhalt aufkommen können. Das ist die Schuld von Familien, die sich nicht genug um Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder gekümmert haben und die Schuld des Staates, der dringend das Schul- und Ausbildungssystem verbessern müsste. Übrigens ist ein Mindestlohn auch sozialpolitich nicht sehr sinnvoll, denn es kommt ja nicht auf den Lohn sondern auf das Einkommen eines Menschen an. Was nützt es, wenn der Lohn steigt, die Unternehmen aber die Stundenzahl der Mitarbeiter reduzieren? Viele Geringqualifizierte arbeiten doch jetzt schon nur stundenweise in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Wenn das weniger Arbeitsstunden werden, kann das Einkommen sinken, auch wenn der Stundenlohn steigt.
Wie es jetzt mit der Regierungsbildung weitergeht
In einer gemeinsamen Sitzung in München wollen CSU-Vorstand und -Bundestagsgruppe den Vertrag billigen
Geplante Abstimmung der knapp 475.000 SPD-Mitglieder
Ein kleiner CDU-Parteitag (Bundesausschuss) soll in Berlin über den Vertrag abstimmen
Die Briefe der SPD-Mitglieder werden - von der Post in Urnen versiegelt - aus ganz Deutschland nach Berlin gebracht
Hunderte Helfer zählen die Briefe aus. Bis zum Abend soll das Ergebnis vorliegen
Bei einer Zustimmung könnte Angela Merkel (CDU) im Bundestag zum dritten Mal zur Kanzlerin gewählt werden. Das neue schwarz-rote Kabinett würde am selben Tag die Arbeit aufnehmen.
Haben Sie eine bessere Idee, um Geringverdienern zu helfen?
Einer solidarischen Gesellschaft müsste die Bezieher niedriger Einkommen aus dem allgemeinen Steueraufkommen unterstützen, statt nur die Unternehmen zu belasten, die Arbeitsplätze für Niedrigqualifizierte anbieten. Das würde eine Reform des Steuerrechts erfordern: Wer wenig verdient, erhält Einkommenszuschüsse statt Steuern zahlen zu müssen. Statt nur Freibeträge zu gewähren, die niedrige Einkommen von der Steuer verschonen, würde man im untersten Einkommensbereich Zuschüsse zahlen. Das könnte direkt mit der Lohnabrechnung ausgezahlt werden und mindert die Lohnsteuerschuld des Unternehmens. Ein Vorteil wäre, dass diese Unterstützung unter der Bedingung gezahlt wird, dass die Empfänger arbeiten. Finanziert werden kann sie durch entsprechende Einsparungen bei Hartz IV – eine Unterstützung, die man bekommt unter der Bedingung, dass man nicht (oder jedenfalls nicht viel) arbeitet.
"Die Rentenbeiträge werden dank der Koalition steigen"
Sie haben eingangs bereits deutlich gemacht, dass Sie auch mit den Rentenplänen der Großen Koalition nicht einverstanden sind.
Das kann man auch wahrlich nicht sein. Die Rentenkassen sind derzeit gut gefüllt. Das sagt aber nicht, dass unser Rentenversicherungssystem nachhaltig gut aufgestellt ist. Jeder weiß, dass die Zahl der Beitragsempfänger steigen wird, während die Zahl der Beitragszahler sinkt. Wenn wir jetzt weitere Ansprüche schaffen, die praktisch irreversibel sind, dann verschlimmern wir die Finanzierungsproblematik. Hier wird eine gravierende Fehlentscheidung getroffen. Sie wirkt sich auch nachteilig auf die Wirtschaft aus. Wir haben heute schon erhebliche Lohnnebenkosten, auch durch den Rentenversicherungsbeitrag. Wir bräuchten eine Entlastung. Die kommende Regierung aber legt den Grundstein dafür, dass der Beitragssatz nicht nur nicht gesenkt wird, sondern in der Zukunft weiter erhöht werden muss. Werden all die teuren Versprechen umgesetzt, ist perspektivisch auch die magische Grenze von 20 Prozent als Beitragssatz in der allgemeinen Rentenversicherung nicht zu halten.
Wenigstens sollen die Bürger an anderer Stelle entlastet werden: Eine Mietpreisbremse soll den Trend der steigenden Kosten für Nicht-Immobilienbesitzer stoppen.
Das ist wieder so ein Kurieren am Symptom. Das Problem der Wohnungsknappheit in einigen Ballungsräumen wird damit nicht gelöst. Investitionen in bestehende Immobilien werden gebremst. Man muss an die Ursache ran und die heißt Euro-Krise. Wegen dieser Krise haben die Menschen Angst vor Inflation. Die Menschen sehen historisch niedrige Zinsen. Also verschulden sie sich und kaufen Sachwerte – Immobilien. Wenn die Immobilienpreise steigen, steigen natürlich auch die Mieten. Wir müssen die Euro-Krise lösen, um die Blase auf dem Immobilienmarkt anstechen zu können und so die Preise in den Griff zu bekommen. Das hilft Käufern wie Mietern gleichermaßen.
Fakten zur Anti-Euro-Bewegung „Alternative für Deutschland“ (AfD)
Zum Parteivorstand gehören neben dem Hamburger Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke unter anderem der langjährige FAZ-Feuilletonist Konrad Adam und der ehemalige hessische Staatssekretär Alexander Gauland.
Die AfD fordert die Auflösung des Euro-Währungsgebietes und die Wiedereinführung nationaler Währungen.
Zur Bundestagswahl im September ist die neugegründete Partei erstmals angetreten. Sie erreichte 4,7 Prozent der Zweitstimmen. Zum Einzug ins Parlament fehlten ihr nur rund 130.000 Stimmen.
Bei der Europawahl am 25. Mai 2014 erreicht die AfD in Deutschland 7,0 Prozent der Wählerstimmen. Damit stellt sie zum Beispiel die FDP klar in den Schatten, die lediglich auf 3,4 Prozent der Wählerstimmen kommt.
Von der Europäischen Zentralbank ist keine Hilfe zu erwarten. Sie hat Anfang des Monats die Leitzinsen weiter gesenkt – aus Sorgen vor Deflation in Südeuropa. Ein richtiger Schritt?
Ich kann das Handeln der Notenbank in gewisser Hinsicht nachvollziehen. Ich glaube auch, dass in Spanien, Italien & Co. eine Deflationsgefahr besteht. Die EZB macht sich berechtigte Sorgen. Nur bräuchten die gesunden Euro-Länder eigentlich eine Zinserhöhung, um überschießende Vermögenspreise zu dämpfen und Inflation gar nicht erst entstehen zu lassen. Nun kann die EZB nicht zwei Herren dienen und zur Zeit dient sie eben den Südländern. Eine allgemeine Zinssenkung ist aber für die Eurozone als Ganzes ungeeignet. Das bessere Instrument wäre: Dafür zu sorgen, dass es wieder kräftiges Wachstum in den Krisenstaaten gibt. Das ginge am besten, indem man den Krisenländern erlaubt, aus dem Euro auszutreten und eine eigene Währung einzuführen. Meine alte Rede also. (lacht)
Irland und Spanien wachsen wieder – obwohl sie weiterhin den Euro haben.
Das ist schön, aber lassen Sie uns abwarten, wie nachhaltig das Wachstum sein wird. Spanien wächst derzeit gerade mal um 0,1 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. Im Vergleich zum Vorjahr sind Spanien und Italien um 1%-2% geschrumpft. Wir brauchen langanhaltendes, kräftiges Wachstum, um die hohe Verschuldung der Staaten zu reduzieren, das Problem der hohen Arbeitslosigkeit in Südeuropa in den Griff zu bekommen und genug Geld mit maroden Banken zu verdienen. Denn die eigentlichen Probleme sind noch immer völlig ungelöst: Die Staatsverschuldung ist höher denn je, die Exportpreise sind zu hoch und die Bankenkrise schwelt ungemindert vor sich hin. Nach wie vor sitzen irische und spanische Institute auf einer hohen Zahl von faulen oder zumindest dubiosen Krediten.
"Mit Leuten wie Le Pen kann ich nicht zusammenarbeiten"
Dazu passt, dass die Stimmung in Italien, in Griechenland und auch in Frankreich angespannt bleibt. In Frankreich ist die Rechtspopulistin Marine Le Pen die derzeit populärste Politikerin. Sie will nun ein Bündnis mit Geert Wilders und weiteren Anti-Euro-Parteien schmieden. Wurden Sie auch angesprochen?
Nein, wir wurden nicht angesprochen. Ich hätte eine Gesprächseinladung auch zurückgewiesen.
Warum?
Da gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Der Front National will z. B. aus der NATO austreten und wieder Zollschranken in der EU einrichten. Beides ist mit uns nicht zu machen. Wir stehen für die Westbindung Deutschlands und wollen den europäischen Binnenmarkt stärken. Die Freiheitspartei von Geert Wilders ist eine Partei ohne innerparteiliche Demokratie. Denn die Partei hat nur ein Mitglied, Herrn Wilders selbst. Er allein hat das Sagen und alle anderen folgen. Die AfD hingegen legt viel Wert auf Basisdemokratie. Schließlich sind der Front National von Marine Le Pen und die Freiheitspartei von Geert Wilders sind teils latent, teils offen islamfeindlich. Auch damit kommen sie als Partner nicht in Frage.
Es gilt aber weiterhin, dass Sie für die AfD als Spitzenkandidat zur Europawahl im Mai 2014 antreten wollen – und auch nach Brüssel gehen, sofern ihre Partei die 3-Prozent-Hürde überspringt?
Das habe ich vor, richtig.
Was für Themen wollen sie in Brüssel vorantreiben und mit wem wollen Sie zusammenarbeiten?
Ich würde mich im Europaparlament für den währungspolitischen Ausschuss interessieren. Jenes Gremium, indem die gesamte Euro-Politik diskutiert wird. Ich möchte mich dafür engagieren, dass die überschuldeten Euro-Staaten aus dem Euro aussteigen dürfen. Der gesamten Euro-Zone ginge es besser, wenn wir währungspolitische Flexibilität hätten. Zusammenarbeiten wollen wir mit denen, die unsere Positionen teilen. Das können auch wechselnde Partner sein. Wichtig sind die Positionen, nicht die Partner.
Die Ablehnung der Gemeinschaftswährung ist einer der wenigen Punkte, in dem sich alle AfD-Mitglieder einig sind. In den Landesverbänden tobt ein Richtungsstreit, vielerorts gab es Rücktritte. Kommen Sie bei all den Streitereien noch mit?
Falsch, wir sind uns inhaltlich in allen wesentlichen Fragen sehr einig und Meinungsverschiedenheiten gibt es allenfalls in zweitrangigen Fragen. Es sind auch im personellen Bereich gar nicht so viele Konfliktherde, wie Sie behaupten. Aber es stimmt, dass es in mehreren Landesverbänden Diskussionen über die Führungsmannschaft gab und manche Leute nach den Strapazen des Wahlkampfes auch nicht mehr weitermachen wollten. Das ist aber auch normal. Wenn es jetzt Gerangel um die Nachfolge gibt, ist das ein Zeichen für eine gesunde innerparteiliche Demokratie. Nicht so demokratisch ist es, wenn in den Altparteien meistens nur ein Kandidat kandidiert und dann irgendein Ergebnis zwischen 80 Prozent und 99 Prozent einfährt.
Schillernde AfD-Mitglieder aus NRW
Der Direktor des Instituts für Organisationsökonomik an der Universität Münster war 23 Jahre lang Mitglied der FDP. Doch spätestens mit dem gescheiterten Mitgliederentscheid der FDP gegen die Euro-Rettung war für Dilger klar: Das war’s. Seit April 2013 ist Dilger Landessprecher der AfD in Nordrhein-Westfalen, war Spitzenkandidat der AfD im größten Bundesland bei der Bundestagswahl und Direktkandidat in Dortmund. Im Oktober 2013 erklärte Dilger nach parteiinternen Streitereien seinen Rücktritt vom Landesvorsitz. Möglicherweise tritt er aber zur Wiederwahl auf dem Landesparteitag Ende November/ Anfang Dezember in Arnsberg erneut an.
Der Düsseldorfer ist mittelständischer Unternehmer im Maschinenbau – und kritisiert die Energiepolitik der Regierung. Die Energiewende bedeute eine starke Gefährdung des Wirtschaftsstandortes Deutschland. „Gigantische Investitionen mit zweifelhaftem Nutzen sollen durchgeführt werden. Verbraucher und Unternehmen werden mit erheblichen Energiekostensteigerungen belastet. Die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen und damit viele Arbeitsplätze sind dadurch in Gefahr“, sagt der 54-jährige. Wlecke ist Mitglied des Vorstands des AfD-Stadtverbands Düsseldorf und des Arbeitskreises Steuern und Staatsfinanzen (Landesverband) - sowie Mitglied im Bundesarbeitskreis Energiepolitik.
Der Dortmunder ist Steuerrechtler und Richter am Finanzgericht. Der 59-jährige, in zweiter Ehe verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kinder, erkrankte Anfang des Jahrtausends an einer Leberzirrhose. Eine Teilleber-Transplantation rettete ihm das Leben. Im September trat er als Bundestagskandidat für die AfD an.
Der Bundestags-Direktkandidat für den Wahlkreis Köln 1 hat eine Lehre als Einzelhandelskaufmann bei der Kaufhof AG in Köln abgeschlossen und ist dann als Freiwilliger zur Bundeswehr gegangen. Seit 25 Jahren ist Rottmann nun Soldat, seit 1997 staatlich geprüfter Betriebswirt und Offizier. Der 44-Jährige ist verheiratet und hat einen Sohn
In Nordrhein-Westfalen wird der Vorstand neu gewählt.
Ja, der bisherige Sprecher der AfD-NRW, Alexander Dilger, hat seinen Rücktritt zum Landesparteitag angekündigt. Er setzt sich dafür ein, dass der Landesvorstand neu gewählt wird. Das unterstütze ich. Ähnlich lief es in Rheinland-Pfalz, in Brandenburg und in Niedersachsen ab. Entgegen der Spekulationen in der Presse ging es überall sehr geordnet zu. Da wurde sachlich debattiert und am Ende ein neuer Vorstand gewählt. Nur in Hessen ist es nicht so gut gelaufen. Aber das kriegen wir auch noch hin.
"Nazi-Vergleiche haben mich sehr getroffen"
Sie zeichnen ein sehr positives Bild. Wenn man aber mit Parteimitgliedern spricht, wird deutlich, dass vielen nicht klar ist, in welche Richtung die AfD drängt. Wollen sie die Lücke, die die FDP hinterlassen hat, füllen oder siedeln sie sich rechts der Union an?
Wir sind weder rechts von der Union, noch links und auch keine FDP 2.0. Lasst uns doch mit dem Schubladen-Denken aufhören! Wir versuchen, sachgerechte Lösungen zu finden. Das bedeutet, dass wir uns im Bereich der Wirtschaftspolitik klar zur Kraft des Marktes bekennen und ebenso klar zur Verantwortung gegenüber den Schwächeren in der Gesellschaft – klassische soziale Marktwirtschaft nach Ludwig Erhard also. Daraus folgt auch, dass Banken nicht imstande sein dürfen, den Steuerzahler mit ihrer Systemrelevanz zu erpressen. In der inneren Sicherheit wollen wir einen klaren Kurs der Null-Toleranz gegenüber der Kriminalität. Das ist weder links noch rechts sondern einfach vernünftig. Außerdem wollen wir z. B. die Familien stärken, auch in ihrer Verantwortung für Bildung und Ausbildung ihrer Kinder.
Heißt das, sie lehnen die Homo-Ehe ab?
Die Homo-Ehe ist ja geltendes Recht über eingetragene Lebenspartnerschaften. Die Debatte kreist eher um die Frage des Adoptionsrechts. Aber zu dem ganzen Komplex haben wir noch keinen Beschluss gefasst. Ich halte das auch nicht für nötig, denn das ist für die AfD kein zentrales Thema. Ich glaube, dass wir es als Partei gut verkraften können, wenn es in einigen Randthemen unterschiedliche Meinungen gibt.
Sie wollen sich also nicht festlegen.
Nicht in allen Themen oder jedenfalls nicht sofort. In manchen Fragen werden sich unsere Haltungen im Laufe der Zeit herauskristallisieren. Wir diskutieren bis Dinge entscheidungsreif sind und werden dann auf Bundesparteitagen einen Standpunkt beschließen. Wir haben einen programmatischen Kernbestand rund um die Euro-Rettungspolitik, Europa, Familie, Bildung, Energie etc. und erweitern dieses Spektrum peu à peu. Wir haben nicht den Ehrgeiz schon jetzt ein vollständiges Programm zu bieten, das wächst einfach.
Zum Abschluss noch zwei persönliche Fragen: Wie fällt Ihre Bilanz des sehr ereignisreichen Jahres 2013 aus?
Es war ein aufregendes Jahr, das kann man wohl sagen. Das Highlight war sicherlich der Gründungsprozess der Partei selbst mitsamt dem enormen Zuspruch, den wir bekommen haben. Wir haben mit 15 Menschen im kleinen Kämmerlein die Partei gegründet – und innerhalb kürzester Zeit tausende Mitstreiter gefunden. Das hat dann manchmal auch für organisatorische Schwierigkeiten gesorgt, aber insgesamt hat der Prozess sehr gut geklappt und wir haben dann ja auch ein tolles Ergebnis bei der Bundestagswahl im September erzielt. Es ist schade, dass es nicht ganz für den Einzug ins Parlament gereicht hat. Aber wir haben über zwei Millionen Stimmen geholt und gehen sehr optimistisch und angriffslustig ins Jahr 2014.
Wie sehr haben Sie die Vorwürfe nachdenklich gemacht, die AfD sei eine rechtspopulistische Partei?
Das ist Unfug. Rechtspopulistisch ist eine Partei, die eine PKW-Maut nur für Ausländer fordert. Das sind bekanntlich nicht wir. Aber es ist in der Tat sehr verletzend, wenn unsere Gegner uns in die Nähe des Rechtsradikalismus zu rücken versuchen. Wir setzen uns kritisch mit dem Euro auseinander. Was ist daran rechts? Wir sind für eine geordnete Zuwanderung.
Wer für eine ungeordnete Zuwanderungspolitik ist, soll es bitte laut sagen. Wir sind für mehr Demokratie in Europa und eine bessere EU. Das wird man doch noch sagen dürfen, ohne gleich verunglimpft zu werden. Wer gegen jeden Andersdenkenden gleich die Keule des Rechtsradikalismus zückt, schädigt die Demokratie. Es sollte doch jeder froh sein, dass es mal eine neue Partei gibt. Die Altparteien machen oft genug eine traurige Figur und da schadet es doch nicht, wenn man eine Wahlmöglichkeit mehr hat.
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