Bernd Lucke hat aufregende Tage hinter sich. Der Streit in der AfD-Spitze über die künftige Führungsstruktur hat die Partei belastet. Und ihr verheerende Schlagzeilen beschert. Am Ende hatte Lucke die Nase vorn. Im Interview redet er die Querelen klein. Es sei ja nun nicht gerade von „eminenter politischer Bedeutung“, wenn es unterschiedliche Meinungen darüber gebe, ob man künftig einen oder drei Vorsitzende habe, sagt er. „Inhaltlich sind wir über die Ziele, die wir erreichen wollen, außerordentlich einig.“ Darüber werde aber leider viel zu wenig berichtet. Lucke lässt sich davon nicht beirren. Er schaut nach vorn - auf die Hamburg-Wahl. Vielleicht triumphiert die AfD auch hier. Lucke ist sich dessen ganz sicher.
Herr Lucke, bisher kannte man die AfD als nur eurokritische Partei, jetzt kommen mit den Erfolgen in den Ländern weitere Themen dazu. Am Ende des Jahres soll es erstmals auch ein Parteiprogramm geben. Welche inhaltliche Ausrichtung schwebt Ihnen schwerpunktmäßig vor?
Die AfD war nie eine reine Anti-Euro-Partei. Gegen dieses Etikett haben wir uns von Anfang an gewehrt. Sie müssen nur unser Programm zur Bundestagswahl anschauen. Da haben wir einen großen Bogen gespannt von der Euro-Rettungspolitik bis hin zu den vielen Politikfeldern, die von den Altparteien vernachlässigt worden sind: Sozialversicherungen, Steuerrecht, Bildung, Familie, Zuwanderung usw. Entlang dieser Themen werden wir auch unser Parteiprogramm aufstellen. Und damit beginnen wir nicht bei null: Unsere Wahlprogramme und unsere politischen Leitlinien liegen ja vor und werden uns leiten.
Wird das Parteiprogramm am Ende eher wirtschafliberal oder bürgerlich-konservativ gefärbt sein?
Das ist doch kein Widerspruch. Das Programm wird sicherlich ein klares Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft enthalten. Wir wollen eine liberale Wirtschaftspolitik, die Leistung fördert und die Bedürftigen absichert. In den Bereichen Innere Sicherheit und Familienpolitik wird das Programm eher wertkonservative Züge tragen. In der Energiepolitik werden wir sicher eine klare Distanzierung von grün-ideologischen Zielvorstellungen festschreiben.
Wird die Euro-Politik einen Schwerpunkt einnehmen – und welche Stoßrichtung schwebt Ihnen vor?
Selbstverständlich bleiben wir uns in dieser Frage treu. Wir wollen den Euro in deutlich kleinere Verbünde aufbrechen oder völlig zu nationalen Währungen zurückkehren. Wir nehmen kein Jota zurück von dem, was wir in der Euro-Frage gesagt haben.
Die AfD – neue Volkspartei oder kurze Protestepisode?
Es steckt einiges von der Union früherer Zeiten in der Alternative für Deutschland (AfD). Nur in der Europapolitik grenzt sich die AfD klar von dem ab, was Helmut Kohl zu seinen Kanzlerzeiten wichtig war. Die AfD besetzt aber andere zentrale Themen der Union wie Familie, Kriminalität und Zuwanderung - Themen, wie sie die früheren Vorsitzenden von CDU und CSU, Helmut Kohl und Franz Josef Strauß, verkörperten: starke Polizeipräsenz, begrenzte Zuwanderung und ein Familienbild mit Vater, Mutter und Kindern. Die Warnungen der AfD vor einer Überlastung der Sozialsysteme durch Asylbewerber erinnern an die aufgeheizte Das-Boot-ist-voll-Debatte Anfang der 90er Jahre. Die AfD knüpft zudem an die konservative Gedankenwelt von Bundesministern wie Manfred Kanther (CDU) und Theo Waigel (CSU) an.
Doch. Auch heute sind das Schwerpunkte der Union. Doch die CSU war im Europa-Wahlkampf mit ihrer auf Ausländer gemünzten Parole „Wer betrügt, der fliegt“ und dem Herziehen über die EU-Kommission nicht erfolgreich. Und CDU und CSU bekamen unter Angela Merkel und Horst Seehofer bei der Bundestagswahl 41,5 Prozent - mit einer liberaleren Einstellung zu Homosexuellen, mit einer neuen Definition von Familie, aber ohne einen Law-and-Order-Mann als Bundesinnenminister. So machte die Union die Erfahrung, dass ein Kurs der Mitte mehr Stimmen bringt als das Beharren auf konservativen Positionen.
Die AfD setzt sich für mehr Basisdemokratie ein – und steht damit im Kontrast zur CDU. Einige ihrer Mitglieder stammen außerdem aus der Konkursmasse kleinerer rechter, liberaler und konservativer Parteien. Ehemalige Angehörige von NPD und DVU können dagegen nicht Mitglied der AfD werden. Im Osten wirbt die Partei um DDR-Nostalgiker, die zwar den Sozialismus nicht zurückhaben wollen, aber zum Beispiel Elemente des alten Bildungssystems gut finden.
Ja - auch wenn die CDU in Brandenburg und Thüringen trotz Stimmenverlusten an die AfD zulegen konnte. Erstens hat die Union durch ihren Wandel hin zu einer modernen, urbanen Partei eine Flanke an ihrem rechten Rand aufgemacht und könnte weiter Konservative, die in der Union keine Heimat mehr sehen, verlieren. Und zweitens wirbelt die AfD die Parteienlandschaft so durcheinander, dass die Machtoptionen für die Union schwinden. Eine Koalition mit der AfD schließt die CDU genauso aus wie mit der Linken, und auf die FDP kann sie nicht mehr zählen. Unabhängig davon, dass Schwarz-Grün im Bund ein Novum wäre, könnte es mit den Grünen knapp werden - wenn die AfD denn 2017 in den Bundestag einzöge. Bliebe ein Bündnis mit der SPD - das sollte aber aus Sicht beider Parteien kein Dauerzustand sein.
Nicht einheitlich. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagt: „Wir wollen die Wähler zurückgewinnen.“ Fraktionschef Volker Kauder (CDU) will die AfD ignorieren und sich mit ihren Politikern nicht einmal in eine Talkshow setzen. Wolfgang Bosbach vom konservativen „Berliner Kreis“ der CDU hält das für falsch. Viele Unionspolitiker raten inzwischen, sich intensiv mit der AfD auseinanderzusetzen. Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel ging im Brandenburger Wahlkampf deutlich auf die Grenzkriminalität ein, nachdem die AfD bei der Sachsen-Wahl damit punktete. Koalitionen mit der AfD schließt sie aber aus.
Die AfD stellt sich als Partei der braven Sparer und Steuerzahler dar, deren Wohlstand durch die Rettung maroder Banken und überschuldeter Euro-Länder gefährdet ist. Sie fordert, dass außer Flüchtlingen nur noch „qualifizierte und integrationswillige“ Ausländer nach Deutschland kommen dürfen und bemüht dafür gerne das Beispiel des Einwanderungslandes Kanada. Die AfD, die sich seit ihrem guten Abschneiden bei drei Landtagswahlen als „kleine Volkspartei„ bezeichnet, wettert gegen die in Deutschland inzwischen weit verbreitete Kultur der „politischen Korrektheit“. Ihrer Führungsriege gehören etliche Ex-Mitglieder von CDU und FDP an. Deshalb finden einige wertkonservative Wähler die Strategie der CDU, die AfD wie eine nicht-salonfähige Randgruppe zu behandeln, wenig glaubwürdig.
Nein. „Eintagsfliege“, „Protestpartei“ – diese Etiketten wurden der AfD in den ersten Monaten oft aufgeklebt. Doch im Gegensatz zu den Piraten, die sich lange vor allem der Selbstzerfleischung widmeten, halten sich die internen Streitereien noch im Rahmen. Außerdem hat sich die AfD rasch von einer Ein-Thema-Partei (Eurorettung) zu einer gemausert, die verschiedene Politikfelder besetzt.
Sehen Sie denn, abgesehen von der Euro-Politik, inhaltliche Überschneidungen mit anderen Parteien?
Demokratische Parteien müssen immer miteinander gesprächsbereit sein. Egal ob Zuwanderung, Bildung, Familienpolitik oder innere Sicherheit: Es gibt immer Felder, wo sich eine politische Zusammenarbeit lohnen kann. Die AfD will politisch gestalten und konstruktiv mitwirken, aber sie wird nicht ihre Seele verkaufen, um irgendwo in die Regierung zu kommen.
Am 15. Februar wird in Hamburg eine neue Bürgerschaft gewählt – wie schätzen Sie die Erfolgschancen Ihrer Partei ein?
Sehr gut. Wir werden mit einem guten Wahlergebnis in die Hamburger Bürgerschaft einziehen. Ich erwarte ein Ergebnis von zumindest 7 bis 8 Prozent.
Profitiert Ihre Partei möglicherweise von den aktuellen Debatten um Pegida und schärfere Sicherheitsgesetze?
Die Pegida-Bewegung scheint mir ein lokal begrenztes Phänomen zu sein, das andernorts in Deutschland wenig Zuspruch findet – auch nicht in Hamburg. Deshalb glaube ich nicht, dass Pegida wahlentscheidend sein wird. Ich denke eher, unser Wählerpotenzial speist sich aus Leuten, die eine SPD-Alleinherrschaft fürchten. Und aus solchen Bürgern, die eine wirtschaftsliberale Politik für ihre Stadt wollen. Bürger, die beispielsweise auch Wert darauf legen, dass bei der Olympia-Bewerbung die Kosten nicht aus dem Ruder laufen.
Zum Wahlkampfauftakt nahm ihr Spitzenkandidat Jörn Kruse aber zu einem anderen, wenig lokalen Thema Stellung. Er forderte handfestere Reaktionen auf die Terroranschläge in Frankreich.
Das ist doch auch richtig. Im Übrigen kann Jörn Kruse natürlich kurz nach den Anschlägen eine Wahlkampfveranstaltung nicht eröffnen, ohne zu den erschütternden Ereignissen etwas zu sagen.
Wie wichtig ist für die AfD ein Wahlerfolg in Hamburg?
Wir sind eine neue Partei. Deshalb ist für uns jede Wahl wichtig. Jede Wahl ist für uns eine neue Messlatte, um zu zeigen, dass die Wähler nach einer Partei wie der AfD dürsten.