AfD-Chef Meuthen Der Rechts-Verteidiger

Jörg Meuthen ist das bürgerlich-liberale Gesicht der AfD. Davon profitieren offenbar auch Parteirechte. Mehrere Parteiordnungsverfahren kamen nicht zustande, weil der AfD-Bundesvorsitzende sein Veto einlegte.

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AfD-Bundeschef Jörg Meuthen: Ein Schattenboxer in der Auseinandersetzung mit Parteirechten? Quelle: Reuters

Berlin Hans-Olaf Henkel ist sauer. „Innerparteilich hängt Jörg Meuthen seine Fahne in den Wind wie kaum ein anderer, und seine Drohung mit Parteiausschlüssen von Rechtsauslegern, Hetzern oder Pöblern vor Bussen mit Flüchtlingen ist völlig unglaubwürdig“, sagt Henkel, ehemals Mitglied des AfD-Bundesvorstandes, dem Handelsblatt.

Auslöser für Henkels Wut sind jüngste Äußerungen des Co-Bundesvorsitzenden der Alternative für Deutschland (AfD), Jörg Meuthen, zur politischen Ausrichtung seiner Partei. Nachdem harsche Kritik an Überlegungen der AfD laut wurde, die Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, war Meuthen in die Offensive gegangen.

Es sei „wirklich nichts Verwerfliches“ darin, die deutsche Erinnerungskultur „auch auf die nicht wenigen positiven und identitätsstiftenden Phasen deutscher Geschichte auszuweiten“, hatte Meuthen den Kritikern im Handelsblatt entgegengehalten. Das Ziel sei zu einer „differenzierteren und umfassenderen Betrachtung unserer eigenen Geschichte“ zu gelangen, „die ihre großen Leistungen aus anderen Zeiten ebenso beleuchtet wie ihre unvorstellbar grauenhaften Taten in Zeiten des Nationalsozialismus“.

„Das Wissen um beides“, so Meuthen, „um die Verdienste wie um die Gräueltaten, ist Voraussetzung eines guten, zugleich souveränen und selbstkritischen weltoffenen deutschen Patriotismus und eben nicht Nationalismus.“ Damit sei die AfD „nicht etwa rückwärtsgewandt, sondern meines Erachtens im Gegenteil einen Schritt weiter als diejenigen, die diese Souveränität noch nicht aufbringen“.

Henkel, der heute für Alfa, der neuen Partei des einstigen AfD-Gründers Bernd Lucke, im Europäischen Parlament sitzt, nimmt Meuthen die Darstellung nicht ab. Und er hat, so scheint es, gute Gründe dafür. Für ihn steht außer Frage, dass der Wirtschaftsprofessor, der inzwischen auch die AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag anführt, ein eher schillerndes Verhältnis zu rechtsnationalen Positionen in seiner Partei hat. Henkel nennt mehrere Fälle, wo Meuthen aktiv Parteiordnungsverfahren gegen problematische Mitglieder verhindert hat.


„Herr Meuthen ist für mich ein klassischer Schattenboxer“

Beispiel: Björn Höcke. Meuthen soll sich demnach im vergangenen Jahr vehement gegen die Absicht des damaligen AfD-Chefs Lucke gestellt haben, den Chef der Thüringer AfD, Höcke, seines Amtes zu entheben. „Herr Meuthen ist für mich ein klassischer Schattenboxer“, sagt Henkel. Nach außen tue er so, als würde er sich gegen den rechtsnationalen Höcke-Flügel stellen, nach innen sei er es gewesen, der die Einstellung des Amtsenthebungsverfahrens gegen Höcke mit betrieben habe. „Er tanzt auf allen Hochzeiten“, sagte Henkel über Meuthen.

Meuthen stellte sich auch quer, nachdem seine Mit-Parteivorsitzende Frauke Petry jüngst ein Parteiausschlussverfahren gegen Höcke nach dessen rassistischer Rede auf einer Veranstaltung des neurechten Instituts für Staatspolitik vorgeschlagen hatte. In der „Stuttgarter Zeitung“ verteidigte er seine Haltung damit, dass auf die Höcke-Rede als erster aus dem Bundesvorstand „scharf reagiert“ habe. „Ich meldete mich mit einer Pressemitteilung – die kam von mir, nicht vom Bundesvorstand –, dass das indiskutabel sei und dass diese Äußerungen ohne weiteres als rassistisch interpretiert werden können – wobei man darüber diskutieren kann, ob sie es tatsächlich sind.“

Außerdem, so Meuthen, habe der Bundesvorstand Höcke mit seiner Unterstützung aufgefordert, seine Positionen zu überdenken. „Wenn er solche Auffassungen weiterhin vertreten wolle, müsse er sich überlegen, ob die AfD noch seine Partei sei. Damit haben wir das geklärt und nun abgehakt.“

Höcke bleibt allerdings sich und seinen Stammtischparolen treu. Anfang Januar forderte er bei einer Kundgebung, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) solle „in der Zwangsjacke aus dem Bundeskanzleramt abgeführt werden“. Und erst kürzlich kritisierte er offen die Entscheidung des Bundesvorstands, den NPD-nahen saarländischen Landesverband aufzulösen. „Eine Partei, die einen Landesverband auflöst, scheint mir den Kinderschuhen doch noch nicht ganz entwachsen zu sein“, hatte Höcke auf der Facebook-Seite seiner von ihm mitgegründeten Plattform „Der Flügel“ mitgeteilt.


„Zähneknirschend bereit, die Sache zu den Akten zu legen“

Beispiel: Dubravko Mandic. Nachdem der Jurist, der heute Mitglied des Schiedsgerichts der AfD in Baden-Württemberg ist, den US-Präsidenten Barack Obama als „Quotenneger“ beschimpft hatte, wollte Meuthen ihn aus der Partei werfen. Mandic gab sich aber einsichtig, räumte ein, überzogen zu haben. „Darauf habe ich ihm gesagt, ich sei zähneknirschend bereit, die Sache zu den Akten zu legen. Aber nochmals dürfe eine solche Äußerung nicht mehr kommen. Kam auch nicht mehr“, begründete Meuthen in der „Stuttgarter Zeitung“ seinen Rückzieher.

Was Meuthen aber offenbar übersieht, ist, dass Mandic dem Vorstand der „Patriotischen Plattform“ in der AfD angehört. Die Rechtsaußengruppierung stellt sich regelmäßig gegen Entscheidungen der Bundesparteispitze. So äußerte kürzlich der Vorstand der als parteiunabhängig firmierenden Organisation Zweifel, ob die beschlossene Auflösung der NPD-Nahen Saar-AfD „gut begründet“ sei.

Die selbst ernannten AfD-Patrioten stoßen sich vor allem daran, dass die Bundesparteispitze sich auf einen Bericht des „linksliberalen“ Wochenmagazins „Stern“ beziehe, in dem der AfD Saarland Kontakte ins „rechtsradikale Milieu“ unterstellt würden. „Es kann nicht sein, dass der Bundesvorstand auf Zuruf durch die linksliberale Mainstreampresse reagiert.“ Bei dem besagten Artikel handle es sich um „das übliche Gewebe aus Unterstellungen, Verzerrungen und Kaskaden des Verdachts“, kritisierte der Vorstand der Plattform.

Meuthen wandte sich in der „Thüringer Allgemeinen“ an die Kritiker des rechten Parteiflügels und erklärte: „Wir wissen als Bundesvorstand schon, warum und auf Basis welcher konkreten Vorgänge wir in diesem Fall so handeln.“


„Totalitäre Umtriebe: die BRD auf dem Weg zu einer DDR 2.0“

Beispiel: Heinrich Fiechtner. Der Stuttgarter Stadtrat hatte unter anderem nach dem Anschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo den Koran mit Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“ verglichen sowie in der Auseinandersetzung um eine Pegida-Demo Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) als „miesen faschistoid-populistischen Scharfmacher“ bezeichnet. Für diese Beleidigung hat er sich zwar bei Kuhn entschuldigt, trotzdem wurde im Januar vor einem Jahr ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn eingeleitet. Als Meuthen wenige Monate später zum Co-Vorsitzenden der Bundes-AfD gewählt wurde, legte er sein Veto ein.

„Ich habe das Verfahren gegen Herrn Fiechtner von Anfang an nicht mitgetragen“, sagte Meuthen damals den „Stuttgarter Nachrichten“. Zwar neige Fiechtner dazu, verbal auch mal über das Ziel hinauszuschießen. „Gleichzeitig schätze ich ihn aber für vieles, was er tut, und wer ihn etwas besser kennt, der weiß, dass das eigentlich ein ganz lieber Mensch ist“, sagte Meuthen. Er sei zuversichtlich, dass sich Fiechtner künftig „deutlich gemäßigter im Ton“ artikulieren werde.

Meuthens Hoffnung hat sich jedoch nicht erfüllt. Als in diesen Tagen der Fall einer Frau in Thüringen bekannt wurde, die wegen nicht bezahlter Rundfunkgebühren 61 Tage in Haft saß, schrieb Fiechtner, der inzwischen Landtagsabgeordneter ist, auf seiner Facebook-Seite: „Totalitäre Umtriebe: die BRD auf dem Weg zu einer DDR 2.0“.

Beispiel: Markus Frohnmaier. Auch den Vorsitzenden der Parteijugend „Junge Alternative“, den eine TV-Sendung im Kontext der Kölner Silvestervorfälle mit den Worten zitierte „Meiner Meinung nach haben Leute wie Claudia Roth hier mittelbar mitvergewaltigt“, lässt Meuthen gewähren. Andere brachial-rechtspopulistische Ausfälle Frohnmaiers, der auch Mitglied des Landesvorstands im von Meuthen geführten baden-württembergischen Landesverband ist, bleiben ebenfalls folgenlos.

In Erfurt, wo der Wortführer des rechten AfD-Flügels Höcke regelmäßig Anti-Asyl- Kundgebungen abhält, wetterte Frohnmaier schon gegen „linke Gesinnungsterroristen“ und den „Parteienfilz“ und drohte: „Wenn wir kommen, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk und nur für das Volk gemacht“. Darauf von der „Stuttgarter Zeitung“ angesprochen, erklärt Meuthen lediglich: „Was Markus Frohnmaier angeht: Er ist noch sehr jung und schießt manchmal übers Ziel hinaus.“


AfD-Landesvize mit „schrillen Tönen und rabiaten Positionen“

Frohnmaier und Fiechtner sind nicht die einzigen AfD-Akteure in Meuthens Landesverband, die aus der Reihe fallen. Eine Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung hat etliche Unterstützer des rechten Höcke-Flügels ausgemacht, die dessen „Erfurter Resolution“ gutheißen.

In dem im Frühjahr 2015 veröffentlichten Strategiepapier von Höcke und dem Chef der AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, wurde die AfD als patriotische „Widerstandsbewegung“ gegen die Aushöhlung der deutschen Identität durch „Gesellschaftsexperimente“ positioniert. Mit der „Erfurter Resolution“, die auch vom Brandeburger AfD-Chef Alexander Gauland unterzeichnete wurde, leiteten Höcke und Poggenburg einen Rechtsruck ihrer Partei ein, in dessen Folge es im Sommer 2015 zur Spaltung der AfD durch den Austritt neoliberaler und gemäßigter Kräfte und zur Gründung der Partei Alfa durch den ehemaligen AfD-Vorsitzenden Lucke kam.

Die Göttinger Wissenschaftler sprechen in ihrer Studie von mindestens sechs der 14 Vorstandsmitglieder, die hinter Höckes „Erfurter Resolution“ stehen. Dazu zählt Joachim Kuhs, der auch in den Vorständen der Patriotischen Plattform und der Bundesvereinigung „Christen in der AfD“ aktiv ist.

Als Hardlinerin haben die Experten auch die stellvertretende Landessprecherin Christina Baum ausgemacht, die für „schrille Töne und rabiate Positionen“ sei. So habe sie in ihrer Bewerbungsrede um den Posten der Landessprecherin im Januar 2015 vor einer „immer stärkeren Zurückdrängung des deutschen Bevölkerungsanteils“ und einem „schleichenden Genozid“ an den Deutschen gewarnt.

Als eine der Ersten ihres Landesverbandes habe sie im Frühjahr 2015 die „Erfurter Resolution“ unterzeichnet und mit ihrem Kreisverband entgegen der offiziellen Linie des Landeschefs Meuthen den Thüringer AfD-Chef Höcke zu einem Wahlkampfauftritt eingeladen.


„Meuthen steht immer dort, wo er gerade die Mehrheit vermutet“

Ex-AfD-Mann Henkel hat eine einfache Erklärung, warum Meuthen bestimmten Akteuren nicht in die Parade fährt. „Bei den Höckes, Poggenburgs, Gaulands & Co. weiß man, wo sie stehen: auf Rechtsaußen. Meuthen steht dagegen immer dort, wo er gerade die Mehrheit vermutet, also steht er jetzt auch auf Rechtsaußen.“

Henkel macht keinen Hehl daraus, dass er von Meuthen tief enttäuscht ist. „Er hätte sich an unserem Kollegen Starbatty ein Beispiel nehmen müssen, der das Angebot Petrys, mit ihr zusammen Sprecher der Partei zu werden, auf dem Parteitag in Essen aus gutem Grund dankend ablehnte“, sagte Henkel. Das Meuthen anders gehandelt hat, ist für Henkel ein Beleg dafür, dass er ein „Opportunist“ sei, der „alles, für das wir einmal gemeinsam standen, im Stich gelassen“ habe, nur um als zweite Wahl Petrys ihr Co-Vorsitzender werden zu können.

Henkel ist überzeugt, dass sich die AfD weiter radikalisieren werde. Zumal, wie er sagt, wichtige Positionen der Schiedsgerichte der Partei inzwischen von Rechtsaußen besetzt seien. „Die Höckes können sagen, tun und lassen was sie wollen: man bekommt sie aus der Partei nicht mehr heraus“, sagte Henkel. Dass zudem Dubravko Mandic als Mitglied des Schiedsgerichts der Südwest-AfD „ungestraft verkünden darf, dass sich die Inhalte von AfD und NPD inhaltlich nicht viel unterscheiden, dann sagt das alles über die AfD und über Meuthen“, so Henkel.

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