AfD, Front National, Ukip Top-Ökonomen bangen um Europas Wirtschaft

Der AfD-Triumph hat die Politik aufgeschreckt. Was Ökonomen besonders sorgt: Überall in der EU gibt die Flüchtlingskrise Rechtspopulisten Auftrieb. Ihre Konzepte kommen einem Angriff auf Europas Wirtschaft gleich.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Demonstration gegen die Alternative für Deutschland (AfD): Der Rechtsruck in Deutschland ist in Europa kein Einzelfall. Quelle: dpa

Berlin Im vergangenen Herbst liefen Manuel Neuer, Thomas Müller und die weiteren Fußball-Stars des FC Bayern gemeinsam mit Flüchtlingskindern in die Allianz-Arena ein. Flüchtlinge wurden in dieser Zeit in München und anderen deutschen Städten an Bahnhöfen herzlich begrüßt, in vielen Teilen Europas herrschte eine einzigartige Willkommenskultur. Das ist erst rund sechs Monate her.

Heute, in Zeiten, in denen die Alternative für Deutschland (AfD) aus dem Stand große Erfolge bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz erzielt, ist die Lage eine andere. Und das gilt längst nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa: Einwanderungsfeindliche Rechtspopulisten werden im gesamten Kontinent immer stärker.

Ob der Front National in Frankreich, Ukip in Großbritannien oder die AfD – mit teils drastischen Konzepten wollen sie Europa nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich umkrempeln. So fordern die am rechten Rand agierenden Parteien nicht nur eine Schließung der europäischen Binnengrenzen, um das Flüchtlingsproblem unter Kontrolle zu bringen, sie machen sich auch dafür stark, die ökonomische Integration des Kontinents zurückzudrehen. Oder sie verlangen, wie die AfD, eine „geordnete Auflösung der Euro-Zone“.

Führende Ökonomen in Deutschland halten diese Gedankenspiele für hochgefährlich. „Ein Zurückdrehen der wirtschaftlichen Integration in Europa, vor allem die Aufgabe der gemeinsamen Währung würden Europa an den Rand des Zusammenbruchs führen“, warnt etwa der Wirtschaftsweise Lars Feld im Gespräch mit dem Handelsblatt. Denn, so Feld, die Krisenanfälligkeit Europas würde bei einer Rücknahme der Integration „massiv ansteigen“.

Dies gelte insbesondere für eine Abwicklung des Euro. „Ein solches Vorhaben würde schon bei Bekanntwerden massive Turbulenzen auf den Finanzmärkten auslösen, die europäische Wirtschaft würde einbrechen, eine hohe Arbeitslosigkeit weit über das heutige Ausmaß hinaus entstünde“, sagte der Freiburger Ökonom weiter.

Von einem ähnlichen Szenario geht der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding, aus. „Das Zurückdrehen der europäischen Integration‎ wäre ein Rezept für Massenarbeitslosigkeit und Staatsbankrott“, sagte Schmieding dem Handelsblatt. So würden etwa „echte Handelshemmnisse“ Deutschland in eine „lange und tiefe Rezession“ stürzen.

„Unsere offene und auf Investitionsgüter ausgerichtete Industrie hängt vom freien Zugang zu unseren wichtigsten Märkten ab“, gab der Ökonom zu bedenken. Ohne diesen freien Zugang würden Ausfuhr und Investitionen in Deutschland einbrechen.

„Die Folgen“, so Schmieding, „wären Massenarbeitslosigkeit und ein explosionsartiger Anstieg der Staatsschulden.“ Denn bei stark rückläufigen Steuereinnahmen würden gleichzeitig die Sozialausgaben drastisch steigen.


„Europäische Desintegration würde positiven Effekte zunichtemachen“

Europa in seiner heutigen wirtschaftlichen Ausgestaltung zurück zu entwickeln, könnte massive ökonomische Nachteile nach sich ziehen. Gefährdet wären dann positive Effekte in Höhe von 5 bis 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, rechnet Oliver Holtemöller, Konjunkturchef des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH), vor.

„Desintegration würde diese positiven Effekte zunichtemachen“, sagte er dem Handelsblatt. Darüber hinaus hält Holtemöller schon kurzfristig negative konjunkturelle Effekte für möglich, die sich auch auf Deutschland auswirken würden. „Auch ein Wiederaufleben des Handelsprotektionismus wäre wahrscheinlich und würde die Wohlfahrt reduzieren.“

Populistische Parteien gewinnen schon seit einiger Zeit in den Ländern Europas an Bedeutung. Mit sinkender Wahlbeteiligung schwindet der Einfluss großer Volksparteien, und das Parteiengefüge fragmentiert sich. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gingen allerdings mehr Wähler an die Urnen als erwartet. Das ist, so schätzen Experten, vor allem darauf zurückzuführen, dass sich viele Nichtwähler entschlossen haben, der AfD ihre Stimme zu geben.

In den Mittelpunkt der Debatte rückte das Populisten-Thema mit der Wahl zum Europäischen Parlament im Mai 2014 und dem Wahlsieg der griechischen Syriza-Partei. Die populistischen Kräfte in Europa ticken recht unterschiedlich. „Sie unterscheiden sich nicht nur in ihren Botschaften und ihren politischen Verortungen im linken oder rechten, gemäßigten oder harten Spektrum“, heißt es in einer Studie der Deutschen Bank aus dem vergangenen Jahr. „Auch der direkte Einfluss nach Wahlergebnissen und ihr künftiges Einflusspotenzial durch Agenda-Setting unterscheiden sich deutlich.“

Einig seien sie sich jedoch in der Ablehnung des nationalen Polit-Establishments. Der „größte Konsens“ bestehe zudem in der Ablehnung weiterer Schritte der europäischen Integration, konstatieren die Experten von Deutschlands größter Privatbank. Eine große Mehrheit kritisiere die Lage in der Euro-Zone. „Daher findet eine geordnete Auflösung oder Veränderung der Währungsunion parteiübergreifenden Zuspruch – zusammen mit Forderungen nach strengeren Einwanderungsbestimmungen.“

In Deutschland hat die Kritik am Euro letztlich zur Gründung der AfD geführt. In der öffentlichen Wahrnehmung galt sie als Ein-Themen-Partei, die sich vor allem für einen Austritt Deutschlands aus der Euro-Zone starkmachte. Das Thema Euro ist jedoch seit dem Austritt von Parteigründer Lucke im Sommer 2015 in den Hintergrund gerückt. Seit dem Herbst setzt die Partei fast nur noch auf das Flüchtlingsthema. Vom Euro will sie aber nicht lassen.


„AfD-Forderung nach Euro-Auflösung ist blanker Unsinn“

„Die Fragen um den Euro bleiben für uns sehr wichtig. Die AfD nimmt Themen auf, die Menschen bewegen“, hat Parteichefin Frauke Petry einmal den Markenkern ihrer Partei umrissen. Die Auflösung der Euro-Zone bleibt somit auch für die promovierte Chemikerin eine der wichtigsten Forderungen ihrer Partei. „Deutschland braucht den Euro nicht. Anderen Ländern schadet der Euro“, heißt es auf der AfD-Website. Stattdessen will Petry eine Wiedereinführung nationaler Währungen oder die Aufteilung der EU in kleinere Währungsverbünde. Diese Forderung vertritt sie jedoch nicht mehr allzu laut - angesichts einer großen Zustimmung der Deutschen zum Euro erscheint dies plausibel.

IWH-Ökonom Holtemöller ist zwar auch der Auffassung, dass die jetzige Zusammensetzung der Euro-Zone „nicht optimal“ sei. „Allerdings sollte sich niemand der Illusion hingeben, dass eine Auflösung des Euro-Raums in geordneten Bahnen verlaufen würde“, sagte er. „In einem solchen Fall würde ich erhebliche internationale Verwerfungen und einen Konjunktureinbruch in Europa erwarten.“

Noch deutlicher formuliert es Holger Schmieding von der Berenberg Bank. „Die Forderung der ‎AfD nach einem „geordneten Auflösen der Euro-Zone“ ist blanker Unsinn“, sagte der Volkswirt. In der Euro-Zone habe Deutschland heute stabile Preise, Rekordbeschäftigung, einen Überschuss im Staatshaushalt und eine kräftig rückläufige staatliche Schuldenquote. Die „Alternative“ dazu, wie sie AfD und „die weltfremden Professoren der Alfa-Partei“ von Bernd Lucke predigten, liefe hingegen auf Inflation, Arbeitslosigkeit und neue staatliche Schuldenberge hinaus.

Geordnet lasse sich die Euro-Zone ohnehin nicht einfach so auflösen, betonte Schmieding. „Solange uns die Europäische Zentralbank vor Ansteckungsgefahren schützt, könnten wir zwar das Ausscheiden eines kleinen Randlandes wie Griechenland verkraften. Aber ein Auflösen unserer Währung würde Turbulenzen in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten auslösen, die die Katastrophe der großen Rezession nach Lehman in den Schatten stellen könnten.“ Aus Schmiedings sich würde womöglich schon ein „hypothetisches deutsches Ansinnen“, den Euro abzuwickeln, eine politische Krise sondergleichen in Europa auslösen. „Als großes Land in der Mitte Europas wäre gerade Deutschland davon besonders betroffen“, so der Ökonom. „Freuen würde sich nur Putin, zu dem die AfD ja offenbar ihr ganz eigenes Verhältnis hat.“

Henrik Enderlein, Professor an der Hertie School of Governance, nannte es einen „pseudo-nostalgischen Irrglauben“, auf die Sicherheit der „guten alten Nationalökonomie“ zu vertrauen. „Auch Deutschland könnte als alleinstehende Nationalökonomie heute im offenen Weltmarkt nicht mehr bestehen. Die großen Schwierigkeiten der Schweiz mit Währungsaufwertung und Deflation sprechen Bände“, sagte Enderlein dem Handelsblatt. Der Ökonom koordiniert derzeit für das Berliner Jacques Delors Institut und die Bertelsmann-Stiftung ein hochkarätig besetztes Expertengremium, das bis zum Herbst Vorschläge für eine Reform der Europäischen Währungsunion erarbeiten soll.


„Schießen uns ins Knie, wenn wir die Grenzen dauerhaft dicht machen“

Enderlein hält den Befürwortern einer Euro-Abwicklung vor, damit weniger Wachstum und Wohlstand in Kauf zu nehmen. Dabei habe der Binnenmarkt den Wettbewerb gesteigert, Güter günstiger gemacht und die Produktvielfalt erhöht. „Eine geordnete Auflösung der Euro-Zone ist doch gar nicht möglich – das haben die Krisenjahre seit 2010 schmerzhaft deutlich gemacht“, machte Enderlein unmissverständlich klar. Und sei, wie er ergänzte, „mit so vielen juristischen, wirtschaftlichen und geopolitischen Unsicherheiten verbunden, dass Anleger und Investoren schlagartig die Flucht ergreifen würden“. Niemand, so der Ökonom, der Wachstum und Wohlstand wolle, könne das ernsthaft wollen.

Der Geschäftsführer des Jaques-Delors-Instituts hält auch die flüchtlingspolitischen Vorstellungen der Rechtspopulisten für abwegig, etwa die Forderung der AfD nach Grenzschließungen. „Offene Grenzen sind das Geschäftsmodell Deutschland. Wir schießen uns doch ins Knie, wenn wir als Exportweltmeister die Grenzen dauerhaft dicht machen“, sagte Enderlein. Betroffen von einer solchen Maßnahme wären, wie er sagte, alle Gütertransporte, aber auch Tourismus und Grenzpendler. Diese Kosten zu minimieren sei kurzsichtig. „Und: Flüchtlinge würden doch weiter nach Europa kommen, dann aber in Griechenland oder Italien bleiben. Das löst das Problem nicht.“

Der Wirtschaftsweise Feld warnte, eine Schließung der Grenzen würde die europäische Wirtschaft viel kosten. „Deutschland mit seiner engen wirtschaftlichen Verflechtung über die Grenzen hinaus wäre davon besonders betroffen. Dies gilt nicht nur, weil die just-in-time Produktion aufgrund von Grenzkontrollen schwieriger würde“, sagte der Ökonom. Die Rechtspopulisten wollten ja insgesamt eine größere wirtschaftliche Abschottung ihrer Länder. „Diese Einschränkung der Grundfreiheiten zielt in das Herz des europäischen Einigungsprozesses.“

Auch Holtemöller gab zu bedenken, dass Grenzschließungen die internationalen Handelskosten erhöhen und eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bedeuten würden. „Das hätte spürbare Auswirkungen auf die wirtschaftliche Aktivität“, warnte der Ökonom.


„TTIP wird aus guten Gründen von Menschen abgelehnt“

Schmieding glaubt indes nicht, dass zeitweilige Personenkontrollen an den Binnengrenzen des Schengenraums einen größeren gesamtwirtschaftlichen Schaden anrichten können. Etwas höhere Transportkosten, etwas längere Lieferzeiten und damit der Zwang zu etwas vermehrter Lagerhaltung in grenzüberschreitenden Produktionsketten könnten zwar das einzelne Unternehmen „erheblich treffen“. Das gesamtwirtschaftliche Angebot und die Nachfrage würden aber wohl „nicht messbar“ eingeschränkt.

Der AfD ist neben der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und ihrer Weigerung, wie andere EU-Länder mit Abschottung auf die Zuwanderung zu reagieren, auch das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP) ein Dorn im Auge. Freiem Handel steht die AfD zwar generell offen gegenüber. Jedoch lehnt sie TTIP ab, da die Verhandlungen auf europäischer Ebene und nicht national geführt werden.

„TTIP wird aus guten Gründen, nämlich um demokratische Rechte zu wahren, von Menschen abgelehnt, die gleichzeitig zu den entschiedensten Gegnern von Rechtspopulisten gehören“, sagte dazu der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, dem Handelsblatt. Das dürfte für fast alle der 150.000 Menschen gelten, die jüngst in Berlin gegen TTIP demonstriert hätten. Rechtspopulisten gehe es aber „nicht um demokratische Rechte, sondern um nationalistische Ziele“, warnte Horn. Daher werde alles abgelehnt, was supranational sei, TTIP und auch der europäische Binnenmarkt. „Dessen Abschaffung würde erhebliche ökonomische Schäden verursachen.“

Insbesondere, so schätzt Horn, würden sich die Importpreise erhöhen. Insofern Importe durch heimische Güter substituierbar seien, werde dies mit dann höheren Preisen geschehen. „Dies impliziert einen Wohlstandsverlust in dem Ausmaß, in dem heimische Güter teurer als importierte sind.“ Allerdings, gibt Horn zudem zu bedenken, entfalle in den Exportländern auch Produktion, was dort zu einem deutlichen Produktionsrückgang führen dürfte. „Insgesamt würden Länder mit einem Außenhandelsüberschuss stärker geschädigt, da sie in der Summe Nachfrage und Produktion verlieren.“

Anderseits, so der IMK-Chef weiter, könnten Länder mit einem Handelsdefizit sogar Produktion gewinnen. Sie sähen sich dann aber stärkeren Preissteigerungen mit Nachfrageeinbußen gegenüber. Unterm Strich, resümiert Horn, würden also alle verlieren – aber in unterschiedlicher Weise. „Deutschland mit seinen hohen Außenhandelsüberschüssen dürfte zu den Hauptverlierern gehören.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%