AfD im Ruhrgebiet Guido Reils Rachefeldzug gegen die SPD

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Wie Reil umschwenkte

Es ist ein heikler Moment für Reil. Er ist kein Ausländerhasser, das betont er immer wieder. Seine Frau ist Russin, unter Tage arbeitet er seit Jahrzehnten mit Türken, Italienern, Polen zusammen. Das seien alles gute Jungs, sagt er. Aber Reil spürt, was die Menschen umtreibt. „Ich weiß, ich weiß“, sagt er zu der Frau. Ein paar Minuten wütet sie auf ihn ein. Dann geht es um Flüchtlinge, die angeblich vor dem Essener Allee-Center onanieren. Jeder wisse das, sagt die Frau. Reil sagt: „Ja, nur traut sich wieder keiner, das auszusprechen."

Vor einem Jahr trat Guido Reil aus der SPD aus. Monatelang waren damals Tausende Menschen nach Deutschland geflüchtet. Reil spürte, dass das alles zu viel wurde für ihn, all diese Menschen, wo sollten die denn hin?

Die Stadt Essen entschied zu dieser Zeit, Hunderte Flüchtlinge in Karnap unterzubringen. Reil schäumte. Wieso ausgerechnet Karnap? Seine Heimat, in der doch ohnehin schon jeder Dritte der 8.000 Einwohner Migrationshintergrund hatte? Warum schon wieder der Essener Norden, der ohnehin mit Armut und sozialen Spannungen kämpft? Zusammen mit anderen SPD-Leuten organisierte er eine Demo gegen die Unterbringung der Flüchtlinge im Essener Norden. Die SPD-Landesregierung aus Düsseldorf pfiff die SPD-Querulanten zurück.

Diese Geschichte ist oft erzählt worden, sie gilt als Erklärung, warum Reil seine Sozialdemokraten nach mehr als einem Vierteljahrhundert verließ. Seit einem Jahr zieht Reil mit ihr durch die Medien. Markus Lanz, Hart aber Fair, die ZEIT: "Herr Reil schwenkt um". Es ist keine falsche Geschichte, aber sie ist nur ein Teil der Wahrheit. Der andere Teil hat mit Thomas Kutschaty zu tun.

Anfang 2016. Reil gibt der größten Regionalzeitung WAZ ein Interview. Er teilt kräftig aus: gegen die Libanesen in Karnap, gegen gescheiterte Integration, gegen die eigene Partei. Ein paar Tage später ist er bundesweit bekannt. Schnell wendet sich die Essener SPD-Spitze von ihm ab. Das stachelt Reil nur noch mehr an, er hat viele Unterstützer an der Basis, die Spaltung der Essener SPD droht. In dieser Gemengelage kandidiert er für den Vize-Vorsitz der Essener SPD.

Am 7. Mai 2016 kommt es zum Showdown auf dem SPD-Parteitag. Reil ist angespannt, er hat ein Interview nachgeschoben, in dem er seine Vorwürfe erneuert – und Thomas Kutschaty persönlich angreift. Kutschaty sei weichgespült, keine Führungsfigur. Am Morgen des Parteitages kursiert das Interview, viele finden, dass Reil zu weit gegangen ist. Noch vor Beginn des Parteitages entschuldigt sich Reil bei Kutschaty. Aber Kutschaty will nun die Machtprobe – und gewinnt. Die Delegierten strafen Reil ab, nur 21,5 Prozent stimmen für ihn.

Diese Polit-Promis mussten ihre Partei verlassen
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Bis heute nagt diese Niederlage an Reil. Vor allem Kutschaty kann er nicht verzeihen. Reil interpretiert dessen Sieg als Triumph des Establishments über einfache Parteikämpfer wie ihn. Als Sieg der Political Correctness über Tatsachen, die man aussprechen muss. Als Metapher auf das, was seiner Meinung nach schief läuft in der Gesellschaft: "Die Leute an der Basis", sagt er, "die sollen schön malochen - und sonst die Fresse halten." Im Rückblick, erzählt Reil, habe er sich in der SPD zuletzt wie ein eingesperrter Tiger gefühlt. In seinen Reden laufe er deswegen noch immer wie in einem Käfig hin und her. "Jetzt aber ist der Tiger frei", sagt Reil. "Jetzt will der Tiger Sozis jagen."

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