Glaubt man den gängigen Berichterstattungen, ist die „Alternative für Deutschland“ eine Rentnerpartei. Mal werden deren Mitglieder als „Protest-Professoren“ und „Ewiggestrige“ belächelt, mal ihre Wähler als „D-Mark-Nostalgiker“ bezeichnet. Es sind Sprachbilder, die mit der Realität nur wenig zu tun haben. So sind 3566 der insgesamt 14.441 AfD-Mitglieder (Stand Februar) 65 Jahre und älter. 3048 Parteigenossen sind aber auch 35 Jahre und jünger. Ein deutlich höheres Durchschnittsalter als Union oder SPD dürfte das gemeine Mitglied der Euro-Kritiker also nicht haben.
Noch erstaunlicher ist ein Blick auf die Statistiken zur Bundestagswahl 2013. Dort haben sechs Prozent der 18- bis 29-Jährigen die „Alternative“ gewählt, fünf Prozent der 30- bis 44-Jährigen, aber nur vier Prozent aus der Altersgruppe „60 Jahre und älter“. Sprich: Ginge es nur nach den Jungwählern, die Partei hätte locker den Sprung in den Bundestag geschafft. Der Zuspruch für die AfD geht nun offenbar weit über die Bundestagswahl hinaus. Die „Junge Alternative“ (JA), die Jugendorganisation der Partei, erfreut sich nach eigenen Angaben über „enormen Zulauf“ und stellt sich breiter auf. Im Februar wurde ein neuer Vorstandsvorsitzender gewählt – und der hat große Ziele.
„Wir wollen eine eigene Handschrift entwickeln, ohne meilenweit von der AfD abzudriften“, sagt Philipp Ritz. Die „JA“ wolle junge Menschen an die Politik ranführen, ihr Interesse für die Demokratie wecken – und „natürlich auch programmatisch arbeiten und die AfD thematisch unterstützen“. Dabei will die Jugendorganisation „mutiger sein beim Formulieren von Thesen“, als Bernd Lucke, Hans-Olaf Henkel & Co., so der 32-jährige Ritz, der auf einem Bundeskongress vor vier Wochen zum neuen Chef der Jugendorganisation gewählt wurde.
Das ist die JA
Die Junge Alternative ist die Jugendorganisation der Alternative für Deutschland und steht jungen Menschen im Alter von 14 bis 35 Jahren offen. Sie wurde im Juni 2013 gegründet und ist in Deutschland inzwischen mit acht Landesverbänden aktiv.
Vorsitzender Philipp Ritz (Nordrhein-Westfalen)
1. Stellvertreter Damian Lohr (Rheinland-Pflaz)
2. Stellvertreter Benjamin Nolte (Bayern)
Die JA versteht sich als programmatischer Innovationsmotor der Alternative für Deutschland. Sie möchte "mutiger in der Formulierung von Thesen" sein als die AfD und Themen bearbeiten, die bei den Euro-Kritikern zu kurz kommen, etwa Bildung.
Der Slogan der Jungen Alternative lautet "Verstand statt Ideologie"
Das klingt dann etwa so: „Die Europäische Union soll zurückgebaut werden“, fordert Ritz. Das Postulat von „mehr Europa“ werde der Vielfalt in Europa nicht gerecht. Viele der „JA“-Mitglieder seien große Europa-Fans, beteuert Ritz. Nicht wenige hätten in Spanien, den Niederlanden oder Italien ein Auslandssemester verbracht und viele Freundschaften geschlossen. Ritz und seine Kollegen finden daher, „Erasmus ist ein größeres Friedensprojekt als der Euro“. Während das Studentenprogramm den Dialog fördere, treibe die Gemeinschaftswährung einen Keil zwischen die Nationalstaaten.
Neue Währungsverbünde müssten her, Parallelwährungen in der Übergangsphase den Rückbau ermöglichen. Eine Aufwertung der D-Mark nach einem Euro-Aus könnte Deutschland nach Meinung von Ritz durchaus verkraften. Schließlich habe Deutschland auch schon vor der Währungsunion „kräftig exportiert“, so der Diplom-Kaufmann, der in der Pharmabranche tätig ist. Das sehen viele deutsche Mittelständler und Großkonzerne und auch die AfD-Spitze, die von der Rückkehr zur D-Mark inzwischen abgerückt ist, freilich anders.
"Volksentscheide in allen relevanten EU-Fragen"
Statt einer Europäischen Union, oder gar den Vereinigten Staaten von Europa, solle Europa zurückgebaut werden zu einer Wirtschaftsgemeinschaft, findet die „JA“. Mit allen Staaten könnten dann bilaterale Verträge abgeschlossen werden. So könnte auch das Schengener Abkommen neu austariert werden. Wichtig sei dabei, dass die Kontrolle der Außengrenzen gelänge. "Das klappt bislang nicht. Wir brauchen mehr mobile Kontrollen", sagt Ritz. Es gehe aber nicht darum, unbescholtenen Bürgern die Reise ins Nachbarland zu erschweren.
Sofern ein Rückbau der EU nicht vollzogen werden kann, politische Mehrheiten gibt es dafür weit und breit nicht, sollten doch bitte alle weiteren EU-Entscheidungen – von der Aufnahme neuer Mitglieder bis hin zu Verträgen mit Drittstaaten wie das Freihandelsabkommen mit der USA – stets vom Volk getragen werden. „Wir wollen in allen relevanten Fragen Volksentscheide, wir wollen mehr Demokratie“, unterstreicht Ritz. In diesem Punkt sei man sich mit der AfD einig.
Dass mehr Demokratie in diesem Fall auch mehr Bürokratie bedeute – Volksentscheide sind bei 82 Millionen Einwohnern nicht nur eine logistische Herausforderung, sondern auch teuer –, müsse man hinnehmen. Unausgesprochen bleibt, ob es „JA“ und AFD wirklich um die Stärkung der Demokratie geht – oder ob taktisches Kalkül hinter den Aussagen steht. Zwar betont Ritz: "Volksabstimmungen können auch vereinzelt zu (mir) unliebsamen Entscheidungen führen. Aber wenn es der Bürgerwille ist, muss man dies akzeptieren." Fakt ist aber auch: Viel zu befürchten, hätte die AfD nicht. Schließlich ist nicht erst seit dem Schweizer Votum gegen ungebremste Zuwanderung die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch in Deutschland EU-Vorhaben eher abgelehnt werden dürften. Forderungen der EU-Kritiker, das Volk zu diesen Themen zu befragen, dürften folglich der Partei neue Sympathisanten bescheren. Vor allem unter den jungen Leuten.
Während die Bundesbürger über 30 Jahre vor allem den etablierten Parteien bei Wahlen ihre Stimmen anvertrauen, ist der Mut zum Andersdenken bei den Jüngeren größer. Der Anteil der Deutschen unter 30 Jahre, die für eine nicht im Bundestag vertretene Partei votierten, ist von sieben Prozent (2005) auf 20 Prozent (2013) gestiegen. Davon profitierte bei der Bundestagswahl eben auch die AfD.
In deren Jugendorganisation sind derzeit 350 Mitglieder aktiv. Rund um die Bundestagswahl lag die Zahl noch bei 150. "Seit dem Bundeskongress in Fulda erhalten wir jeden Tag zahlreiche Mitgliedsanträge. Wir lehnen aber durchaus auch Anträge ab. Wir prüfen – ähnlich wie die AfD – die Interessenten vor der Aufnahme. Dies ist sehr zeitintensiv", so Ritz. Viele der neuen Mitglieder hätten einen wirtschaftlichen Hintergrund, die Zahl der BWL- und VWL-Studenten sei recht hoch, berichtet deren Vorsitzende, Philipp Ritz. Die Hälfte der „JA“-Mitglieder sei zum ersten Mal in einer parteinahen Organisation (die „JA“ ist ein Verein, keine Partei), jeder Zweite käme von einer anderen Jugendorganisation wie der „Jungen Union“ oder den „Jungen Liberalen“.
Neben der Europa- und der Euro-Frage, an der sich ja auch die AfD detailliert abarbeitet, kümmert sich die „JA“ vor allem um die Themen Bildung und Kriminalität. „Wir wollen das Land zukunftsfähig machen, das kommt bei der AfD bislang deutlich zu kurz“, kritisiert Ritz. Bildungspolitik gehöre nicht zu den Top-3-Themen in der Partei. Dabei gäbe es genug zu tun: Die Ausstattung der Schulen sei schlecht, dort müsste viel mehr Geld in die Hand genommen werden, findet die „JA“. Auch an der Lernstruktur müsse man arbeiten.
Schluss mit "Kuschelpädagogik"
„Ich sehe eine Abkehr vom Leistungsprinzip. Das kann nicht sein“, findet Ritz. Schulen sollten mehr Freiheiten bekommen, die Länder in einen „Wettbewerb der Ideen treten“. So sollte man nicht eine Schulform festlegen, verschiedene System (Gemeinschaftsschule vs. dreigliedriges Schulsystem) sollten um die Schüler konkurrieren. Und: Die Verbeamtung von Lehrern sollte gestoppt werden, findet die „JA“. „Wir haben da kontrovers drüber diskutiert. Auch mit Mitgliedern der AfD, die das anders sehen. Uns geht es nicht um pauschale Kritik an Lehrern, sondern um die Frage, ob wir nicht mehr Leistungsanreize brauchen“, sagt Ritz. Es gebe zahlreiche gute Pädagogen, die gute Arbeit leisten und hart arbeiten würden. Doch es gebe eben auch unmotivierte Lehrer, die mit Ende 20 Jahren verbeamtet werden. Dabei sei der Bildungsbereich kein hoheitlicher Dienst.
„Um den Wohlstand zu erhalten, müssen wir gute Bildungsmöglichkeiten schaffen. Wir brauchen qualitativ gute, hoch bezahlte Jobs. Die gibt es nur für gut und hoch Qualifizierte“, sagt Ritz. Da Bildung nicht umsonst zu haben sei, könne er sich persönlich auch die Wiedereinführung von Studiengebühren vorstellen. „Ich fände es besser, wenn wir den Kindergarten beitragsfrei machen würden, als Studenten zu subventionieren“, so der Bundesvorsitzende der „JA“. Die Gebühren müssten natürlich bei Bedarf mit Studentenkrediten finanziert werden können.
Die wichtigsten Köpfe in der AfD
Professor, Gründer des Plenums der Ökonomen
Der 51-Jährige wurde bei Gründung der AfD ihr Sprecher. Der Vater von fünf Kindern lehrt Makroökonomie an der Universität Hamburg. Über 300 Wissenschaftler schlossen sich seinem „Plenum der Ökonomen“ an, das als Netzplattform Wirtschaft erklärt. Nach 33 Jahren trat Lucke Ende 2011 aus der CDU aus. Er trat als Spitzendkandidat der AfD für die Europawahlen an und wechselte im Sommer 2014 nach Brüssel.
Anwältin, Gründerin der Zivilen Koalition
Die Juristin, die zunächst 2012 Mitglied der FDP war, ist seit 2013 Mitglied der AfD. Sie wird dem rechtskonservativen Flügel der Partei zugerechnet. Sie engagiert sich neben der Euro-Rettung vor allem für eine christlich-konservative Familienpolitik. Am 25. Januar 2014 wurde von Storch vom Bundesparteitag der AfD in Aschaffenburg mit 142 von 282 Stimmen auf Platz vier der Liste zur Europawahl gewählt - und zog anschließend ins Europaparlament ein.
Emeritierter Professor für Volkswirtschaft
Im Kampf gegen den Euro hat er die größte Erfahrung: 1998 klagte er gegen dessen Einführung vor dem Bundesverfassungsgericht, 2011 gegen die Rettungsmaßnahmen. Der 72-Jährige, einst Assistent von Alfred Müller-Armack, führt den wissenschaftlichen Beirat der AfD – so etwas hat keine andere Partei.
Promovierte Chemikerin und Unternehmerin
Nach dem Studium gründete die Mutter von vier Kindern 2007 ihr eigenes Chemieunternehmen Purinvent in Leipzig – mit dem Patent auf ein umweltfreundliches Dichtmittel für Reifen. Sie fürchtet, ihre demokratischen Ideale würden „auf einem ideologisierten EU-Altar geopfert“. Seit 2013 ist sie eine von drei Parteisprechern und Vorsitzende der AfD Sachsen
Journalist, Publizist, Altsprachler und Historiker
Bei den bürgerlichen Blättern – 21 Jahre im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen“, sieben Jahre als politischer Chefkorrespondent der „Welt“ – erwarb er sich den Ruf als konservativer Vordenker. Sozial-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik sind auch im Sprecheramt der AfD seine Schwerpunkte.
Beamter, Politiker, Herausgeber, Publizist
Der promovierte Jurist leitete die hessische Staatskanzlei unter CDU-Ministerpräsident Walter Wallmann. Dann Geschäftsführer und Herausgeber der „Märkischen Allgemeinen“ in Potsdam. Führte die brandenburgische AfD bei den Landtagswahlen zu einem überraschend starken Ergebnis und führt nun die Fraktion im Landtag an.
Das dritte wichtige Thema aus Sicht der jungen AfD-Sympathisanten ist die innere Sicherheit. Dafür seien junge Leute besonders empfänglich. Schließlich würden sie oft Kriminalität erleben, in der Disko, in der Straßenbahn, sagt Ritz. Die Forderung der „JA“ sei unter anderem, dass die Justiz schneller handelt. „Wir brauchen zeitnah zum Verbrechen eine Verurteilung“, so Ritz. Es könne nicht sein, dass zwischen Straftat und Verurteilung ein Jahr liege. Und: Kriminalität müsse früh bekämpft werden, „Kuschelpädagogik“ helfe nicht. Einbrüche würden nur noch abgewickelt, und wie ein Versicherungsfall bewertet. Echte Strafverfolgung gäbe es kaum noch.
Auch die AfD versuchte, kurz vor der Bundestagswahl 2013 mit „Law & Order“ zu punkten. „Wir sind eine Partei, die Wert auf Recht und Ordnung legt", konkretisierte Lucke im September in Düsseldorf. Die Zahl der Einbrüche sei „viel zu hoch“, hier müsse endlich „was passieren“. Die etablierten Parteien seien taub geworden für die Probleme und Sorgen der Bürger." Die AfD stehe für eine "Null-Toleranz-Politik" gegenüber Serientätern. Selbst mit Rockerbanden wollte sich Lucke damals anlegen. Es gäbe, so der AfD-Chef, viele Banden, „die sich nicht an bestimmte Regeln im Alltag halten“. „Gruppen, die auffällig werden, müssen verboten oder zerschlagen werden“, befand Lucke. „Die Hells Angels sind ein gutes Beispiel.“
Unmittelbar nach der Wahl ist das Thema von der Tagesordnung der Euro-Kritiker verschwunden. Die „JA“ will dafür sorgen, dass die AfD in Bewegung bleibt, nicht nur beim Thema Innere Sicherheit.
.