AfD nach dem Wahlerfolg Die Angst-Partei

Mit wehenden Fahnen und einer Truppe von Politik-Anfängern stürmt die AfD in drei neue Landtage. Auch die Zahnärztin Christina Baum zieht ins Parlament in Stuttgart ein. Sie treibt vor allem ein Motiv an.

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Die stellvertretende AfD-Sprecherin in Baden-Württemberg und neue Landtagsabgeordnete ist besorgt um Deutschland.

Stuttgart Der AfD-Geschäftsstelle Baden-Württemberg, ein Büroturm in einem Stuttgarter Gewerbegebiet, fehlt ein Parteischild. Nur ein unauffälliger Briefkasten trägt die Aufschrift „Alternative für Deutschland.“ Man habe sich die Tafeln gespart wegen der Vandalen, sagt eine junge Mitarbeiterin. Sie führt zur stellvertretenden AfD-Sprecherin in Baden-Württemberg und neuen Landtagsabgeordneten Christina Baum. Baum ist promovierte Zahnärztin und eine von drei Frauen, die für die Protestpartei ins Stuttgarter Parlament zieht. In ihrem Wahlkreis Main-Tauber, rund 40 Kilometer südlich von Würzburg, hat sie 17,2 Prozent der Stimmen geholt.

Baum sagt, sie sei von ihrem Erfolg „völlig überrascht“. Dabei kannten die Menschen in der Region die bald 60-Jährige schon vor dem Wahlkampf: Von ihren Leserbriefen in der Lokalpresse. Darin warnte sie etwa davor, angesichts der Flüchtlingsströme in eine übertriebene Willkommens-Euphorie zu verfallen.

Bundesweit verschaffte sich Baum schon im Januar 2015 Aufmerksamkeit. Auf ihrer Bewerbungsrede um den Posten der Landessprecherin sprach sie vor „einem schleichenden Genozid am deutschen Volk“. Die Empörung in den Medien war groß. Das würde sie heute nicht mehr so sagen, meint Baum. Die Deutschen entschieden sich ja selbst dafür, weniger Nachwuchs zu bekommen, während kinderreiche Nationalitäten ins Land drängten.

Dass die Deutschen verschwinden könnten und mit ihnen Werte wie Ordnung, Sauberkeit und Pflichtbewusstsein, bereitet Christina Baum eine Heidenangst. Denn für sie ist Deutschland mehr als nur ein Staatsgebilde. Es bedeutet für Baum Heimat, Sicherheit und Identität. Deutschland ist der Nährboden, auf dem ihr Selbstwert wächst, ihr das wegzunehmen, indem man es verändert, lässt die Furcht wuchern. Es ist Angst, die sie und viele ihrer AfD-Mitstreiter auf Bühnen und Marktplätze treibt. Angst vor Verlust, Angst, abgehängt zu werden, Angst, nicht mehr in diese Welt zu passen, Angst vor Europa. Und: Angst steckt an. Die Sorgen der anderen spülen die Furchtsamen seit 2014 in die Länderparlamente Deutschlands.

„Wenn Menschen ihr Land nicht lieben, sollen sie gehen“, sagt Baumann. Schockiert habe es sie, als Gegendemonstranten auf einer AfD-Veranstaltung „Deutschland ist scheiße, Deutschland verrecke“ skandierten. Sie sei fassungslos gewesen. „Wenn man Deutschland beschmutzt, verleugnet man sich selbst und verletzt Menschen wie mich.“ Menschen, denen das Land teuer ist und die sich sicher fühlen wollen. Seit den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht ist das für Baumann auch vorbei. Auf einer Veranstaltung sagt sie: „Als blonde Frau traue ich mich nachts nicht mehr auf die Straße.“


Baum sieht „diktatorische Tendenzen“

Angst ist gierig, sie sucht sich immer neue Tatorte. Masseneinwanderung, die Frühsexualisierung der Kinder, Gender. Rote Flecken kriechen über Baums Wangen und Hals. „Für einen normalen Menschen ist es nicht zu verstehen, das dieses Gender das soziale Geschlecht vom biologischen trennen soll.“ Klar beeinflussen Erziehung und Sozialisierung die Persönlichkeit. „Aber wir sind biologische Wesen, das zu leugnen finde ich schrecklich und arrogant.“ Und gewiss, die Menschen, die an Europas Türen kratzen, tun ihr leid. Aber es sind einfach zu viele. Und so richtig traumatisiert kommen ihr die jungen Männer gar nicht vor. Ob sie von der Zuwanderung profitieren könnte? Nein, sagt sie. „Ich kenne die Verhältnisse in anderen Ländern.“

Besonders schlimm aber findet Baum die „diktatorischen Tendenzen“, die sie beobachtet. Sie sind der Grund, warum sie im April 2015 als Mitglied bei der AfD unterschrieben hat. Baum kommt aus Thüringen, sie hat in der DDR gelebt. „In Deutschland herrschen inzwischen ähnliche Zustände, die Leute haben Angst, ihre Meinung zu sagen.“

Sofort stehe man am Pranger, werde als Nazi oder Ausländerfeind beschimpft. Ob der Wahlerfolg der AfD ihre These nicht widerlege? „Nein, denn die Leute haben ihre Stimmen geheim abgegeben. Dieser soziale Druck unter dem unsere Anhänger leiden, hat einen ähnlichen Effekt wie damals. Sie werden schweigsam.“

Ihr Parteifreund Bernd Gögel, Landtagsnovize und ebenfalls wenig politikerfahren, bezeichnet Baum als Patriotin. Andere sehen in ihr eine rechte Hardlinerin. Gögel verortet sie an einem Ende des AfD-Spektrums. Am anderen Ende bewege sich der AfD-Fraktionschef Jörg Meuthen, der sei „eher liberal“. Baum sagt über sich selbst, sie habe keine Vorurteile. Weder gegenüber Rasse, noch Hautfarbe. Sie hat schließlich ein Patenkind in Kenia. Als sie es besuchte, sah sie, unter welchen Umständen die Menschen dort leben. So soll es in Deutschland nie zugehen.

Dafür kämpft sie. Denn sie ist Mutter und Oma. Sie sorgt sich um die Zukunft ihrer Enkel. Was sie in der Landespolitik anpacken will, weiß Baum noch nicht. Sie interessiert sich für die Bereiche Gesundheit und Familie. Ein Familiengehalt, das junge Menschen ermutigt, Kinder zu kriegen, könnte ihr gefallen. Das könnte auch gegen den Genozid helfen.

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