AfD-Parteitag Mit allen Mitteln der Geschäftsordnung

Der AfD-Parteitag verläuft wider Erwarten ruhig. Die Führung nutzt die basisdemokratischen Methoden zur Demobilisierung der eigenen Mitglieder.

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AfD: Mit allen Mitteln der Geschäftsordnung Quelle: dpa

Irgendwann hatten die AfD-Mitglieder vielleicht einfach den Überblick verloren vor lauter Abstimmungen. Blaue Karte, Rote Karte, Enthaltung? Geschäftsordnungsantrag, Nichtbehandlung, sofortige Abstimmung, Verlängerung der Diskussionszeit? ¨Ich fordere, dass wir hier die Debatte zum Islam wiederholen¨, sprach da einer geradezu verzweifelt ins Mikrofon. "Es kann nicht sein, dass eine der wichtigsten Themen unseres Programms hier im Eilverfahren durchgewunken wird!"

Doch am Ende ist es genau so gekommen auf dem Parteitag der AfD in Stuttgart. Im örtlichen Kongresszentrum hatte sich die Partei verabredet, um zwei Tage lang über das Grundsatzprogramm debattieren. Bislang hat die Partei keines, mit offenen Flügelkämpfen, zumindest aber wilden Debatten war im Vorfeld gerechnet worden.

Und dann das: Bei den drei von der Basis am Anfang der Veranstaltung als zentral definierten Themen Euro, Zuwanderung und Kultur - also vor allem die Rolle des Islams - blieben die grundsätzlichen Konflikte aus. Man kann das als Zeichen der Einigkeit verstehen, manche Mitglieder tun das auch. Für viele AfD-Anhänger aber bleibt ein fader Beigeschmack. Gab es wirklich nicht mehr Diskussionsbedarf? Oder wurden die einfachen Mitglieder, auf deren ausgeprägte Mitspracherechte man bei der AfD solchen Wert legt, am Ende von der Führung mit eben diesen Methoden ausgetrickst?

Vor dem Parteitag hatten sich die Fachkommissionen der Partei auf einen Leitantrag geeinigt, zu dem es aus den Reihen der Mitglieder viele hundert Änderungswünsche gegeben hatte. Auf 1425 Seiten summieren sich die Änderungsanträge zum Schluss, mehr als 2000 stimmberechtigte Mitglieder nach Stuttgart gereist, um sich mit diesen auseinanderzusetzen. Um mit all dem fertig zu werden, hatte sich die Parteiführung ein komplexes Prozedere einfallen lassen.

Wird die AfD langfristig erfolgreich sein?

Zunächst sollten sich die Mitglieder darauf einigen, welche drei Themenbereiche ihnen besonders wichtig wären, über die würde dann jeweils eine Stunde diskutiert werden. Fünf weitere Bereiche sollten 45 Minuten Zeit bekommen, die restlichen jeweils eine halbe Stunde. Die Diskussion der einzelnen Themen wurde dann jeweils von einem Vertreter der zuständigen Fachkommission geleitet, der aus den Anträgen "diejenigen mit dem größten Diskussionsbedarf heraussucht", so das formulierte Ziel der Tagungsleitung. Davon gab es genug, wie schon ein flüchtiger Blick in die Änderungsanträge vorab verraten konnte.

In den Diskussionen auf dem Parteitag aber spiegelte sich das nicht wider. Die drei zentralen Themen wurden von den Debattenleitern jeweils so oder so ähnlich eingeleitet: "Besonders strittige Punkte finden sich dazu bei den Änderungsanträgen nicht, die meisten Anträge sind vor allem Verfeinerungen des Leitantrags", hieß es sogar, als das besonders heikle Unterthema Islam aufgerufen wurde. Es folgte ein sich bald regelmäßig wiederholender Ablauf: An die Saalmikrofone treten Antragsteller, die darauf hinweisen, dass sie das durchaus anders sähen und ihre Anträge behandelt sehen wollten. Kurze Debatte, bis ein paar der immer gleichen Mitglieder die Arme hochreißt: Gegenrede, wir müssen vorwärts kommen im Programm, sonst schaffen wir das niemals alles. Antrag auf Vorziehen des Punktes abgelehnt, weiter im Programm. Der rein redaktionelle Antrag wird dann abgestimmt, weiter geht es.

Petrys Anträge landete selbstverständlich auf der Tagesordnung

So verbrachten die Mitglieder Stunde um Stunde damit, Anträge zur Geschäftsordnung zu stellen, zuzulassen, abzustimmen und das Prozedere zu beschleunigen. Wenn nach einer Stunde die Debattenzeit für einen Punkt beendet war, hatten die Mitglieder höchstens 15 der 60 Minuten inhaltlich diskutiert. Über wirklich strittige Aspekte abgestimmt wurde dabei fast gar nicht. Beispiel Islam: Anstatt sich damit auseinanderzusetzen, wie das Verbot von Minaretten und ausländischer Finanzierung von Moscheegemeinden wirklich zur grundgesetzlichen Religionsfreiheit passen, sprach man kurz darüber, ob die "Vollverschleierung" zu erläutern sei oder für sich stehe.

Lediglich die Streichung der Passagen zu der Möglichkeit der Entwicklung eines aufgeklärten Islams wurde inhaltlich diskutiert. Die wirklich grundsätzlichen Änderungsanträge wie der, die Kapitelüberschrift "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" durch die Konkretisierung ¨der politische Islam¨ zu ersetzen, scheiterten schon am Sprung auf die Tagesordnung.

Die Zustimmung zum Leitantrag erfolgte dann nahezu einstimmig. In den Raucherbereichen vor der Tür sammelten sich derweil mehr und mehr Unzufriedene. "Und dafür bin ich jetzt durch die ganze Republik gefahren?" beschwerte sich ein Mitglied aus Sachsen, ¨ich dachte wir sprechen hier über Inhalte, nicht nur über die Geschäftsordnung."

Zentralrat der Muslime vergleicht AfD mit NSDAP
Aiman MazyekDer Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland hat die rechtspopulistische AfD mit der NSDAP verglichen. "Es ist das erste Mal seit Hitler-Deutschland, dass es eine Partei gibt, die erneut eine ganze Religionsgemeinschaft diskreditiert und sie existenziell bedroht", sagte Aiman Mazyek am Montag im NDR. Die Alternative für Deutschland (AfD) schwimme auf einer Welle der Islamfeindlichkeit, die in Deutschland in den vergangenen Jahren zugenommen habe und in Teilen salonfähig geworden sei. Diese Stimmung versuche die AfD weiter anzuheizen. "Das ist kein Anti-Islam-Kurs, das ist ein Anti-Demokratie-Kurs", sagte Mazyek. Was die AfD will, lesen Sie hier. Quelle: dapd
Julia KlöcknerDie stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner hat Äußerungen von AfD-Politikern scharf kritisiert, der Islam sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. „Das beschließt keine Partei, wer hier verfassungskonform ist, wir haben Gewaltenteilung und das machen unabhängige Gerichte“, sagte Klöckner vor einer CDU-Präsidiumssitzung am Montag in Berlin. Die AfD schüre mit ihren Thesen Ängste. Quelle: dpa
Boris Pistorius Als billigsten Populismus hat Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) Äußerungen von AfD-Politikern bezeichnet, der Islam sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. „Das, was die AfD da macht, ist ausgrenzend und diskriminierend und ist ein Spaltpilz in der Gesellschaft“, sagte Pistorius am Montag in Hannover. „Das ist an Plattheit kaum zu überbieten, bedient Vorurteile und diskreditiert Muslime.“ Quelle: dpa
Carsten SielingDer Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Bremens Bürgermeister Carsten Sieling (SPD), hat die jüngsten Äußerungen von AfD-Politikern zum Islam als „brandgefährlich“ kritisiert. Die AfD schüre damit auf ganz primitive Art und Weise Vorurteile und versuche so die Gesellschaft in Deutschland zu spalten, sagte Sieling am Montag der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Bremen. „Sie (die AfD) fügt unserem Land damit großen Schaden zu. Alle Demokraten sind aufgefordert, sich offensiv gegen die fremdenfeindliche Hetze dieser Partei zu stellen“, betonte Sieling. Quelle: dpa
Armin LaschetDer stellvertretende CDU-Vorsitzende Armin Laschet sagte der „Rhein-Neckar-Zeitung“ und der „Passauer Neuen Presse“ (Montag), Wahlkämpfe gegen Religionen und die religiösen Gefühle von Menschen, die hier leben, wären etwas Neues. „Damit würde unser Land gespalten.“ Das würde auch gegen die Religions- und Glaubensfreiheit verstoßen, die das Grundgesetz garantiere. „Die AfD hetzt die Menschen auf, sie will provozieren. Der Verfassungsschutz wird dies im Blick haben. Wenn eine Partei zunehmend aggressiv Grundrechte in Frage stellt und missachtet, werden die Dienste dies sehr genau bewerten“, sagte Laschet. Quelle: dpa
Christine BuchholzDie religionspolitische Sprecherin der Linken, Christine Buchholz, hat der AfD Islamhass und eine Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas vorgeworfen. Führende Politiker der rechtspopulistischen AfD hatten den Islam pauschal als unvereinbar mit einer freiheitlichen Grundordnung bezeichnet. Der Islam gehöre nicht zu Deutschland, sagte AfD-Vize Beatrix von Storch der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Buchholz warnte vor den Folgen solcher Äußerungen. „Die AfD wirft geistige Brandsätze und ist so mitverantwortlich für die steigende Zahl von islamfeindlichen Übergriffen und Anschlägen auf Flüchtlingsheime“, sagte sie. Mit den aktuellen Aussagen schüre die AfD Rassismus gegen Muslime und vergifte das gesellschaftliche Klima. Quelle: dpa
Martin SchulzDer Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, hat mit Empörung auf islamfeindliche Äußerungen führender AfD-Politiker reagiert. „Die Einlassungen der AfD zum Thema Islam sind abstoßend. Eine ganze Religionsgemeinschaft unter Generalverdacht zu stellen, ist unanständig“, sagte der SPD-Politiker am Montag. Spaltung, Krawall, die Diffamierung ganzer Gruppen und das Schüren von Ängsten seien das Programm der AfD. Nachdem die AfD zunächst gegen die EU und dann gegen Flüchtlinge zu Felde gezogen sei, nehme sie nun den Islam ins Visier. „Damit ist sie keine Alternative sondern eine Schande für Deutschland“, sagte Schulz in einer Mitteilung. Die Partei giere nach Aufmerksamkeit, und kein Populismus sei ihr dafür billig genug. „Die AfD zündelt und nimmt dabei bewusst in Kauf, dass Millionen Muslime, die ein friedlicher und wichtiger Teil Deutschlands und Europas sind, diffamiert werden.“ Quelle: dpa

Dass all das durchaus im Sinne der Parteiführung war, wenn nicht gar ein Stück weit sogar gelenkt, das zeigte sich vor allem an den Beiträgen der Vorsitzenden Frauke Petry. Die hatte noch kurz vor Sitzungsbeginn eine Handvoll Anträge zu Kulturthemen eingereicht - meist mit völlig trivialem Inhalt. Mal sollte sich die Partei für die Förderung der Orchesterlandschaft aussprechen, mal einfach nur die generelle Bedeutung von Kultur betonen.

Anders als all die Mitgliederanträge, deren Behandlung nach dem Muster Geschäftsordnungsantrag - Gegenrede - Ende der Debatte - Abstimmung abgelehnt wurde, landeten Petrys Anträge selbstverständlich auf der Tagesordnung. So ging die Zeit für eine Islamdebatte noch schneller vorbei und als dann plötzlich der Leitantrag beschlossen war, blieb bei vielen Besuchern das Gefühl, die Diskussion darüber habe nie angefangen. Denn über kurze Statements, Buhen, Jubeln und Zwischenrufe war man nicht hinausgekommen.

Die AfD nimmt für sich in Anspruch, basisdemokratischer zu sein als alle anderen Parteien. Bei denen mag es zwar tatsächlich eine akkurat fixierte Tagesordnung und eine Dominanz der Parteiführung gehen. Trotzdem bleibt nach diesem Wochenende bei vielen AfD-Mitgliedern das schale Gefühl: Offener diskutiert wird vielleicht sogar bei den Altparteien.

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