Frauke Petry starrt regungslos auf ihren Laptop während Jörg Meuthen ihr nur wenige Meter entfernt am Rednerpult einen Schlag nach dem anderen verpasst. Die Debatte, die Petry mit ihrem Zukunftsantrag ausgelöst habe sei überflüssig und trügerisch, ruft Meuthen in den Saal. Applaus brandet auf. Die AfD werde nicht mit den alten Parteien zusammenarbeiten, sondern das Land aus der Opposition verändern.
Wieder klatschen die 600 Delegierten mit voller Wucht. „So machen wir das – und nicht anders“ brüllt Meuthen. Die Delegierten johlen und pfeifen. Es ist der bislang lauteste Beifall im Saal. Als Meuthen zu seinem Sitz neben Petry zurückschlendert, bleibt Petry sitzen, kein Blick, kein Händeschütteln. Meuthen grinst und genießt. Ein paar Momente später steht Petry auf – und verschwindet wortlos hinter dem Vorhang der Bühne.
Seit Wochen schwelt innerhalb der AfD ein Machtkampf. Auf der einen Seite: das Polit-Pärchen Frauke Petry und Marcus Pretzell. Sie werben für Realpolitik, wollen schnell an die Macht und den Rechtsausleger Björn Höcke aus der Partei werfen. Auf der anderen Seite: das Herren-Quartett Björn Höcke, André Poggenburg, Alexander Gauland und Jörg Meuthen. Sie favorisieren die Rolle der Fundamentalopposition.
Die Gesichter der AfD
Geboren in Dresden, promovierte Chemikerin und Unternehmerin, Bundesvorsitzende der AfD. Mutter von vier Kindern, liiert mit dem AfD-Landeschef von Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell: Das ist Frauke Petry. Sie gilt als pragmatisch und ehrgeizig. Auch wenn sie verbal gerne Gas gibt – inhaltlich steht Petry eher in der Mitte der Partei.
Björn Höcke (45) und Alexander Gauland (76) haben im November 2015 gemeinsam „Fünf Grundsätze für Deutschland“ veröffentlicht. Darin wettern sie gegen die „multikulturelle Gesellschaft“ und behaupten, „die politische Korrektheit liegt wie Mehltau auf unserem Land“.
Meuthen ist geboren in Essen, promovierter Volkswirt, seit 1996 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Kehl (Baden-Württemberg), Bundesvorsitzender der AfD, war Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg und ist seit Mai 2016 Landtagsabgeordneter; er ist verheiratet und hat fünf Kinder. Meuthen gehört zu den wenigen prominenten Vertretern des liberalen Flügels, die nach dem Abgang von Bernd Lucke in der AfD geblieben sind.
Sie ist geboren in Lübeck, Jurastudium in Heidelberg und Lausanne (Schweiz), Rechtsanwältin, stellvertretende Bundesvorsitzende und AfD-Landesvorsitzende in Berlin, seit 2014 im EU-Parlament, verheiratet. Gilt als ultrakonservativ.
Marcus Pretzell (43) ist geboren in Rinteln (Niedersachsen), Jurastudium in Heidelberg, Rechtsanwalt und Projektentwickler, seit 2014 Vorsitzender der AfD in Nordrhein-Westfalen, Vater von vier Kindern, seit 2016 verheiratet mit Frauke Petry. Der Europaabgeordnete hat die AfD als „Pegida-Partei“ bezeichnet. Parteifreunde rechnen ihn aber nicht zum rechtsnationalen Flügel.
Frauke Petry hat diesen Machtkampf vorerst krachend verloren. Beim Parteitag in Köln schmetterten die Delegierten ihren „Zukunftsantrag“ schon nach einer Stunde ganz beiläufig ab. Denn sie stimmen nicht einmal gegen den Antrag selbst, sondern verhindern per Abstimmung, dass er überhaupt auf die Tagesordnung kommt.
Für Petry ist das der erste Schlag ins Gesicht. In ihrem Antrag hatte sie die Partei vor die Wahl gestellt: Wollt ihr mit mir Realpolitik machen? Oder wollt ihr eine Fundamentalopposition á la Gauland und Co.? Um diese Frage geht es. Aber auch darum, ob Parteichefin Petry noch Mehrheiten für sich organisieren kann. Ob sie Rückhalt findet in ihrer zerstrittenen Partei.
Als die Delegierten ihre Abstimmungskarten heben und verhindern, dass Petrys Anliegen auf die Tagesordnung kommt, regt sich keine Mine in ihrem Gesicht. Zu diesem Zeitpunkt ist noch offen, wie die Stimmung im Saal wirklich ist. Denn auch die Abstimmung über den Stopp des Parteiausschlussverfahrens gegen Björn Höcke lehnen die Delegierten mit ihren Stimmen ab. Doch dann tritt Meuthen ans Rednerpult. Ihn hatte Petry lange als Vizechef behandelt, obwohl beide gleichberechtigte Parteivorsitzende sind. Nun aber ist Petry angeschlagen – und Meuthen tritt nach.
Keine 20 Minuten nach ihrem Abgang von der Bühne steht Petry plötzlich im Foyer des Maritim-Hotels. Während die Delegierten drinnen im Saal über Anträge abstimmen, macht hier ein möglicher Rücktritt Petrys die Runde. Es sei eine „folgenschwere“ Entscheidung nicht über ihren Zukunftsantrag abzustimmen, beginnt Petry ihr Statement. Der Parteitag habe „einen Fehler gemacht.“ Sie werde sich die Entwicklung der Partei nun genau anschauen. Führende Rollen im Wahlkampf müssten nun aber die Befürworter der Nicht-Entscheidung über ihren Antrag übernehmen. Es sind frustrierte Worte – aber einen Rücktritt verkündet sie nicht.
Ein paar Meter weiter taucht Alexander Gauland auf. Ihm müssen Journalisten erst einmal vorspielen, was Petry überhaupt verkündet hat. Es ist eine absurde Situation. „Den Graben, den Petry in ihrem Antrag beschwört, hat es nie gegeben“, sagt Gauland. Sicherlich sei das heute kein Sieg für Petry, aber jeder mache mal einen Fehler und müsse dann den Ärger ausbaden. Dann sagt Gauland: „Ich habe keinerlei Interesse daran, dass sich Frauke Petry zurückzieht. Sie sollte auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen.“
Wer könnte Petry nachfolgen?
Ob Petry sich das antuen wird, ist unklar. Für sie ist die Niederlage besonders schmerzlich. Schließlich ist es kaum zwei Jahre her, dass sich Petry selbst als Königsmörderin an die Macht der Partei geputscht hatte. Damals wollte Bernd Lucke den Rechtsaußen Björn Höcke aus der Partei werfen.
Aber Petry paktierte mit Höcke und Gauland gegen den Wirtschaftsliberalen. Zusammen mobbten sie den Gründer der AfD aus seiner eigenen Partei. Für Petry war es der Beginn einer furiosen Parteikarriere.
Nun haben sich ihre Komplizen von damals gegen Petry gewandt – und sie mit ihren eigenen Waffen geschlagen. Zuerst loteten sie auf einem Geheimtreffen in Goslar aus, wie sie Petry als alleinige Spitzenkandidatin für den Bundestagswahlkampf verhindern könnten.
Petry zog ihre Kandidatur daraufhin per Videobotschaft selbst zurück. Einen Tag vor dem Parteitag legte die Anti-Petry-Fraktion nach. Wer nicht als Spitzenkandidatin antrete, könne später auch keine Fraktion im Bundestag leiten.
Genau das, so mutmaßen einige, könnte Petrys letzte Option sein. Wenn die Delegierten am zweiten Tag in Köln über ihre Spitzenkandidaten abstimmen, müsste Petry nach dieser Theorie auf ein möglichst schwaches und unprominentes Gespann hoffen. Dann – so die letzte Hoffnung im Petry-Lager – könnte sich die Parteichefin bis nach den Wahlen im September rehabilitieren und am Ende doch vielleicht doch die Fraktionsspitze übernehmen.
Wirklich realistisch erscheint dieses Szenario nach der Kölner Demütigung nicht. Alexander Gauland und Ex-Unternehmensberaterin Alice Weidel könnten ein Spitzenteam bilden, heißt es. Auch Beatrix von Storch ist im Gespräch. Der Rechtsaußen Björn Höcke gilt als heimlicher Strippenzieher im Hintergrund. Mit ihm müsste sich auch Weidel arrangieren – obwohl sie eigentlich zu seinen Gegnern zählt.
Die Sprüche der AfD
Ob Flüchtlingspolitik oder Fußball - mit markigen Sprüchen sorgen führende AfD-Politiker immer wieder für Kopfschütteln und Empörung, wie jetzt die stellvertretende Bundesvorsitzende Beatrix von Storch. Einige Zitate.
Quelle: dpa
„Das ist ungefähr so, als würden Sie mit Plastikeimern einen Tsunami stoppen wollen.“ (Der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen am 24. Oktober 2015 bei einem Landesparteitag in Baden-Württemberg über die Maßnahmen der Bundesregierung zur Bewältigung der Flüchtlingskrise)
„Im 21. Jahrhundert trifft der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp auf den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp.“ (Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke am 21. November 2015 in einem Vortrag über Asylbewerber aus Afrika)
„Wer das HALT an unserer Grenze nicht akzeptiert, der ist ein Angreifer. Und gegen Angriffe müssen wir uns verteidigen. (...) Es gibt keinen Grund, mit Gewalt unsere Grenze zu überqueren.“ (Die stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende Beatrix von Storch Ende Januar 2016 auf ihrer Facebook-Seite über Flüchtlinge)
„Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt.“ (Die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry in einem Interview des „Mannheimer Morgen“ vom 30. Januar 2016. Angesichts des Flüchtlingszustroms forderte sie im Notfall auch den Einsatz von Schusswaffen.)
„Wir müssen die Grenzen dichtmachen und dann die grausamen Bilder aushalten. Wir können uns nicht von Kinderaugen erpressen lassen.“ (Gauland am 24. Februar 2016 im Magazin der Wochenzeitung „Die Zeit“ über Flüchtlinge)
„Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ (Gauland in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 29. Mai 2016 über Fußball-Nationalspieler Jérôme Boateng)
„Eine deutsche oder eine englische Fußballnationalmannschaft sind schon lange nicht mehr deutsch oder englisch im klassischen Sinne.“ (Der AfD-Bundesvize Alexander Gauland am 3. Juni 2016 im „Spiegel“)
Für die AfD wäre ein Wahlkampf ohne Petry ein großes Risiko. Sie ist das bekannteste Gesicht ihrer Partei, hat die meisten Fans in den sozialen Medien und steht für einen gemäßigten Kurs. Rückt die AfD noch mehr nach rechts, könne sie ein zweistelliges Ergebnis vergessen, warnen Wahlforscher bereits. Selbst der längst sicher geglaubte Einzug in den Bundestag sei dann in Gefahr.
Eine Stunde nach ihrer Erklärung im Foyer huscht Frauke Petry plötzlich noch einmal auf die Bühne. Schwarze Ringe umrunden die Augen der AfD-Chefin, sie sieht angeschlagen aus. Es ginge das Gerücht um, dass sie den Parteitag verlassen habe, sagt Petry. „Das ist nicht so.“ Es ist ein Auftritt, der wie eine Kampfansage wirken soll. Aber so wie Petry ihre Worte spricht, klingen sie müde und schwach.