Heinz-Peter Haustein ist ein FDP-Politiker aus dem Grenzort Deutschneudorf im Erzgebirge, und er schaut nur ein bisschen verdutzt, als der Mann neben ihm beginnt, Hakenkreuze auf die Holzkiste zu sprühen, die er gleich mit sich herumtragen soll. Er kommentiert achselzuckend: „Wenn es unserer Sache dient...“ Man ist geneigt, das als Symbol dafür zu verstehen, dass der siechenden Partei inzwischen jedes Mittel recht ist, um ihr Überleben zu sichern. Doch diese Geschichte ist ein bisschen komplizierter.
2009 war das mittlere Erzgebirge stärkster Wahlkreis der FDP in ganz Sachsen, 14,8 Prozent der Stimmen holte die Partei hier. Bei der Europawahl im Mai reichte es nur zu 2,6 Prozent, stattdessen landete die AfD bei 11,4 Prozent – eines der besten Ergebnisse bundesweit. Können diese Zahlen lügen? In Sachsen wird am kommenden Sonntag gewählt. In Dresden sitzt die letzte Landesregierung mit FDP-Ministern, für die AfD ist es die erste Landtagswahl seit Gründung. In aktuellen Umfragen liegt die FDP bei drei, die AfD bei mindestens sechs Prozent. Ein Wachwechsel wäre wegweisend für die deutsche Parteienlandschaft. Die junge Partei, die sich als die Bewegung des „gesunden Menschenverstands“ preist und mit deren Verortung sich Medien und Konkurrenten schwertun, würde das in die Mitte des Parteienspektrums bugsieren, die siechende FDP könnte es vernichten. Sollte es so kommen, in der einstigen FDP-Hochburg Erzgebirge müsste man es am deutlichsten sehen.
Fakten zur Anti-Euro-Bewegung „Alternative für Deutschland“ (AfD)
Zum Parteivorstand gehören neben dem Hamburger Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke unter anderem der langjährige FAZ-Feuilletonist Konrad Adam und der ehemalige hessische Staatssekretär Alexander Gauland.
Die AfD fordert die Auflösung des Euro-Währungsgebietes und die Wiedereinführung nationaler Währungen.
Zur Bundestagswahl im September ist die neugegründete Partei erstmals angetreten. Sie erreichte 4,7 Prozent der Zweitstimmen. Zum Einzug ins Parlament fehlten ihr nur rund 130.000 Stimmen.
Bei der Europawahl am 25. Mai 2014 erreicht die AfD in Deutschland 7,0 Prozent der Wählerstimmen. Damit stellt sie zum Beispiel die FDP klar in den Schatten, die lediglich auf 3,4 Prozent der Wählerstimmen kommt.
Vorbild FDP
Herr Haustein hält nicht viel von diesem Zusammenhang. Lieber spricht er über die NPD. Die Rechtsradikalen werden in diesem Jahr wohl deutlich schlechter abschneiden als 2009, da sei doch klar, woher die Zuwächse der AfD kämen. Haustein ist nicht nur Bürgermeister in seinem Heimatörtchen Deutschneudorf, er ist auch Unternehmer und anerkannter Tausendsassa in der Region. Wenn die Fußballprofis der Zweitligamannschaft Erzgebirge Aue ins Stadion laufen, prangt auf der Werbebande die Anzeige für „Haustein Aufzüge“. Einen alten Stollen im Ort hat er zum Besucherbergwerk umgebaut, es ist eine Touristenattraktion, sogar das Bernsteinzimmer vermutet er in seinem Stollen. Auf seinem Betriebsgelände im Ort hat er einen Pfosten montiert, an dem in Wegweiser-Optik Holzlatten in verschiedene Richtungen weisen. Darauf eingeritzt sind Hausteins Erfolge. „Bundestagsabgeordneter“ steht da, „Schatzsucher“, „Chef Elektro“ und natürlich „Bürgermeister“.
Seit 1994 ist er das. „Ich denke die Leute hier honorieren, dass ich mich immer voll und ganz für das Dorf eingesetzt habe.“ Haustein ist einer dieser erfolgreichen FDP-Politiker, die selten geworden sind in diesem Land. Er ist der wichtigste, der einzige Arbeitgeber im Ort. Wer Haustein wählt, der wählt den Glauben daran, dass der tüchtige Unternehmer der bessere Politiker ist. Wer seinen eigenen Laden im Griff hat, der kann auch ein Land nach vorne bringen. So haben FDP-Erfolge früher oft funktioniert, in der Vor-Spaßpartei-Zeit. Da war die Partei eine der Vorbilder.
Kein klassischer Liberaler
In Deutschneudorf klappt das immer noch. Bei der jüngsten Bürgermeisterwahl holte Haustein 597 der 607 abgegebenen Stimmen. Dass er seinen Erfolg in die Gegenwart gerettet hat, liegt auch daran, dass er nicht gerade das ist, was man einen klassischen Liberalen nennen würde. Wenn er über Wirtschaftspolitik spricht, ist er schnell bei den ganz einfachen Rezepten. Griechenlands Probleme? „Es kann doch nicht sein, dass die da unten jeden Abend eine Party feiern und von unserem Geld die Wohnungen in Berlin kaufen.“ Lösung? „Man hätte die gleich am Anfang rausschmeißen müssen.“ Auch an der aktuellen Regierung lässt er kein gutes Haar. Die Politik in Deutschland gehe „immer mehr in Richtung Kommunismus“, sagt Haustein. Vielleicht ist das einer der großen Trugschlüsse, den die FDP noch erkennen muss. Nur weil sie sich auf dem Programmpapier eine liberale Partei nennt, heißt das nicht, dass sie auch eine Partei der Liberalen ist. Und genau das wird in diesen Tagen zum Problem. Denn in der Politküche der einfachen Rezepte ist jemand, der die Sache besser kann: die AfD.
Carsten Hütter ist es, der 2014 in Hausteins Territorium jagen will. Hütter ist seit einiger Zeit stellvertretender Landesvorsitzender der AfD, im Erzgebirge ist er Spitzenkandidat. Ansonsten führt er einen Kfz-Ersatzteilhandel in Marienberg, eine halbe Autostunde von Hausteins Dorf entfernt. Auf dem marktplatzgroßen Hof stehen in langen Reihen aufgebockte Autoleichen. Aus denen bauen Hütters Leute brauchbare Ersatzteile aus, der Rest kommt in die Schrottpresse. Die Teile selbst verkauft Hütter im Internet weiter. Besitzer alter Subaru-Modelle kennen den Mann, politisch Interessierte bisher eher nicht.
Kaleidoskop der Ressentiments
Doch das dürfte sich ändern, zumindest im Erzgebirge. Erreicht die Partei sieben, acht Prozent bei der Wahl, dann wird Hütter in einigen Wochen im Dresdner Landtag sitzen. Schon jetzt hat er sein Büro zum AfD-Treffpunkt umgestaltet, die Tischdekoration wird durch eine Deutschlandfahne abgerundet. Wenn er über Wirtschaftspolitik spricht, ähneln seine Sätze denen von Haustein. Die Euro-Rettung? „Wir finanzieren den Südländern, dass sie über ihren Verhältnissen leben.“ Brüssel? „Ein bürokratischer Apparat ohne ausreichende demokratische Legitimation.“ Wenn Hütter sich erst mal in Rage redet, ist er kaum noch zu stoppen. Dann zeigt sich ein entscheidender Unterschied zwischen der FDP, wie sie in Sachsen erfolgreich war, und der AfD. Bei der FDP war mit den einfachen Rezepten jenseits der Steuerpolitik Schluss. Die AfD aber bietet ein Kaleidoskop der Ressentiments: Egal, von welcher Seite man es betrachtet, es glitzert immer.
Zum Pressegespräch hat AfD-Mann Hütter Julien Wiesemann mitgebracht. „Er ist noch ein junger Mann, aber wir wollen ihm die Chance geben, zu lernen“, sagt Hütter. Seit Juni ist Wiesemann Pressesprecher der Landespartei. In seinem Job mag er neu sein, trotzdem steht er bereits für eine ganz spezielle Art von Gratwanderung, die Erfolg und Streitbarkeit der AfD erklären.
Denn Wiesemanns politische Karriere bei der AfD ist bereits seine zweite. Zuvor war er bei der Partei „Die Freiheit“, einer rechten Splittergruppe, aktiv. Auf seinem Facebook-Profil bezeichnet er sich als „rechtskonservativ wie die FPÖ“ und stellt klar: „Moschee & Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Besonders aktiv ist Wiesemann auf den Facebook-Seiten der „Patriotischen Plattform“ einer nationalkonservativen Gruppe, die nicht direkt mit der AfD verbunden ist, aber aus Mitgliedern besteht. Per „Like-Button“ drückt Wiesemann hier seine Zustimmung zu kryptischen Statements wie „Dem Vaterland die ganze Kraft“ aus. Drei seiner Facebook- und Parteifreunde luden jüngst den FPÖ-Politiker Andreas Mölzer zu einer Podiumsdiskussion ein. Der Mann steht selbst in seiner Partei am rechten Rand, die EU hat er einmal als „Negerkonglomerat“ bezeichnet. Die Stellungnahme von Wiesemann ist typisch AfD: „Begriffe wie ‚Negerkonglomerat‘ sind nicht die Wortwahl der AfD.“ Auf die Veranstaltung selbst habe man keinen Einfluss, heißt es zunächst – obwohl die Organisatoren AfD-Kandidaten sind. Als der politische Druck steigt, wird die Veranstaltung dann mit Verweis auf ein „akutes Augenleiden“ des Österreichers abgesagt.
Radikal und Mitte der Gesellschaft
Beispiele wie diese findet man reihenweise in der AfD. Unter dem Label der Meinungsfreiheit finden radikale Gestalten ihre Öffentlichkeit in der Partei, ohne Teil dieser zu sein. So sammelt die AfD extreme Meinungen ein, ohne für die Mitte der Gesellschaft unwählbar zu werden. Das macht es so schwierig, die Wähler im politischen Spektrum zu verorten. Im Sachsen-Wahlkampf zeigt sich aber, dass es zunehmend enttäuschte Konservative sind, die sich hier sammeln. Wie der Neupolitiker Carsten Hütter war auch Uwe Wurlitzer früher in der CDU aktiv, heute ist er Generalsekretär der AfD für Sachsen. Welches Thema hat ihn zur AfD gelockt? „Ganz klar, die Ausländerpolitik!“ Es folgt ein längerer Vortrag, der bei alten CDU-Positionen anfängt und auf dem Grat endet, auf dem auch Pressesprecher Wiesemann balanciert. „Es kann doch nicht sein, dass man schon als rechts gilt, wenn man nur eine Deutschlandfahne hisst.“ Oder: „Die Polizei ist auf dem linken Auge blind.“ Er fordert mehr Beamte an den Grenzen, Volksabstimmungen über Minarette und Familienförderung statt Genderpolitik. Wer unzufrieden mit seiner eigenen Lage und der heutigen Gesellschaft insgesamt ist, der findet bei der AfD ein viel breiteres Angebot, als es die FDP je bieten konnte.
Für Heinz-Peter Haustein ist das nicht mehr von Bedeutung. Seit er im Herbst sein Bundestagsmandat verloren hat, zieht er sich Schritt für Schritt aus der Politik zurück, bei der Landtagswahl tritt er nicht an. Werbung macht Haustein nur noch für sich selber, so auch mit den Hakenkreuz-Kisten. Die trägt er für das amerikanische Fernsehen durch den Stollen. Für eine Bernsteinzimmer-Dokumentation sind die Journalisten des Travel Channel ins Erzgebirge gereist, da mimt Haustein gern den Schatzsucher. Es könnte ja Touristen ins Erzgebirge bringen. Da verbleibt noch mehr Hoffnung als für seine Partei.