Die Bundesparteispitze der Alternative für Deutschland (AfD) hat mit einer deutlichen Warnung auf jüngste provokante Äußerungen des Thüringer AfD-Fraktionschefs Björn Höcke reagiert. „Ich empfehle Björn Höcke dringend, in sich zu gehen und sich in seinen öffentlichen Auftritten künftig deutlich zu mäßigen. Seine Äußerungen sind dem Erscheinungsbild unserer Partei in der Öffentlichkeit alles andere als dienlich“, erklärte der Co-Parteichef Jörg Meuthen in einer am Montagmorgen verbreiteten Erklärung.
„Es schadet dem Ansehen unserer Partei, mit solchen Aussagen in Verbindung gebracht zu werden. Zugleich gefährdet es die nach dem Essener Parteitag im Juli zurückgewonnene Einheit der Partei“, sagte Meuthen weiter. „Beides kann und darf nicht in seinem noch in irgendeines anderen Parteimitglieds Interesse liegen und kann nicht immer weiter hingenommen werden.“
Höcke hatte Ende November in einem Vortrag zur Asylpolitik erklärt, der „lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp“ treffe in Europa auf den „selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp“. Zudem hatte Höcke gemeinsamen mit dem AfD-Bundesvorstandsmitglied André Poggenburg dem rechtsextremen französischen Front National (FN) zu seinem Erfolg im ersten Wahlgang bei den Regionalwahlen am vergangenen Sonntag gratuliert.
Die AfD – neue Volkspartei oder kurze Protestepisode?
Es steckt einiges von der Union früherer Zeiten in der Alternative für Deutschland (AfD). Nur in der Europapolitik grenzt sich die AfD klar von dem ab, was Helmut Kohl zu seinen Kanzlerzeiten wichtig war. Die AfD besetzt aber andere zentrale Themen der Union wie Familie, Kriminalität und Zuwanderung - Themen, wie sie die früheren Vorsitzenden von CDU und CSU, Helmut Kohl und Franz Josef Strauß, verkörperten: starke Polizeipräsenz, begrenzte Zuwanderung und ein Familienbild mit Vater, Mutter und Kindern. Die Warnungen der AfD vor einer Überlastung der Sozialsysteme durch Asylbewerber erinnern an die aufgeheizte Das-Boot-ist-voll-Debatte Anfang der 90er Jahre. Die AfD knüpft zudem an die konservative Gedankenwelt von Bundesministern wie Manfred Kanther (CDU) und Theo Waigel (CSU) an.
Doch. Auch heute sind das Schwerpunkte der Union. Doch die CSU war im Europa-Wahlkampf mit ihrer auf Ausländer gemünzten Parole „Wer betrügt, der fliegt“ und dem Herziehen über die EU-Kommission nicht erfolgreich. Und CDU und CSU bekamen unter Angela Merkel und Horst Seehofer bei der Bundestagswahl 41,5 Prozent - mit einer liberaleren Einstellung zu Homosexuellen, mit einer neuen Definition von Familie, aber ohne einen Law-and-Order-Mann als Bundesinnenminister. So machte die Union die Erfahrung, dass ein Kurs der Mitte mehr Stimmen bringt als das Beharren auf konservativen Positionen.
Die AfD setzt sich für mehr Basisdemokratie ein – und steht damit im Kontrast zur CDU. Einige ihrer Mitglieder stammen außerdem aus der Konkursmasse kleinerer rechter, liberaler und konservativer Parteien. Ehemalige Angehörige von NPD und DVU können dagegen nicht Mitglied der AfD werden. Im Osten wirbt die Partei um DDR-Nostalgiker, die zwar den Sozialismus nicht zurückhaben wollen, aber zum Beispiel Elemente des alten Bildungssystems gut finden.
Ja - auch wenn die CDU in Brandenburg und Thüringen trotz Stimmenverlusten an die AfD zulegen konnte. Erstens hat die Union durch ihren Wandel hin zu einer modernen, urbanen Partei eine Flanke an ihrem rechten Rand aufgemacht und könnte weiter Konservative, die in der Union keine Heimat mehr sehen, verlieren. Und zweitens wirbelt die AfD die Parteienlandschaft so durcheinander, dass die Machtoptionen für die Union schwinden. Eine Koalition mit der AfD schließt die CDU genauso aus wie mit der Linken, und auf die FDP kann sie nicht mehr zählen. Unabhängig davon, dass Schwarz-Grün im Bund ein Novum wäre, könnte es mit den Grünen knapp werden - wenn die AfD denn 2017 in den Bundestag einzöge. Bliebe ein Bündnis mit der SPD - das sollte aber aus Sicht beider Parteien kein Dauerzustand sein.
Nicht einheitlich. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagt: „Wir wollen die Wähler zurückgewinnen.“ Fraktionschef Volker Kauder (CDU) will die AfD ignorieren und sich mit ihren Politikern nicht einmal in eine Talkshow setzen. Wolfgang Bosbach vom konservativen „Berliner Kreis“ der CDU hält das für falsch. Viele Unionspolitiker raten inzwischen, sich intensiv mit der AfD auseinanderzusetzen. Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel ging im Brandenburger Wahlkampf deutlich auf die Grenzkriminalität ein, nachdem die AfD bei der Sachsen-Wahl damit punktete. Koalitionen mit der AfD schließt sie aber aus.
Die AfD stellt sich als Partei der braven Sparer und Steuerzahler dar, deren Wohlstand durch die Rettung maroder Banken und überschuldeter Euro-Länder gefährdet ist. Sie fordert, dass außer Flüchtlingen nur noch „qualifizierte und integrationswillige“ Ausländer nach Deutschland kommen dürfen und bemüht dafür gerne das Beispiel des Einwanderungslandes Kanada. Die AfD, die sich seit ihrem guten Abschneiden bei drei Landtagswahlen als „kleine Volkspartei„ bezeichnet, wettert gegen die in Deutschland inzwischen weit verbreitete Kultur der „politischen Korrektheit“. Ihrer Führungsriege gehören etliche Ex-Mitglieder von CDU und FDP an. Deshalb finden einige wertkonservative Wähler die Strategie der CDU, die AfD wie eine nicht-salonfähige Randgruppe zu behandeln, wenig glaubwürdig.
Nein. „Eintagsfliege“, „Protestpartei“ – diese Etiketten wurden der AfD in den ersten Monaten oft aufgeklebt. Doch im Gegensatz zu den Piraten, die sich lange vor allem der Selbstzerfleischung widmeten, halten sich die internen Streitereien noch im Rahmen. Außerdem hat sich die AfD rasch von einer Ein-Thema-Partei (Eurorettung) zu einer gemausert, die verschiedene Politikfelder besetzt.
Meuthen nannte die Höcke-Reaktion zum FN falsch und unangemessen. Die französischen Regionalwahlen seien ein rein innerfranzösischer Vorgang und die AfD unterhalte weder im Europäischen Parlament noch an anderer Stelle Beziehungen zum FN.
Zudem seien die jetzt bekannt gewordenen Äußerungen Höckes in einem Vortrag in dem der „Neuen Rechten“ zugehörigen „Institut für Staatspolitik“ indiskutabel. „Seine Ausführungen sind sachlich unsinnig, entbehren wissenschaftlicher Substanz und laden zu Fehldeutungen als rassistische Aussagen geradezu ein“, sagte Meuthen. „Die Äußerungen sind eine inhaltliche wie politische Torheit.“
Die Stellungnahme Meuthens ist bemerkenswert und dürfte wohl eine letzte Warnung an Höcke sein. Zumal zwischen der Parteispitze und dem Thüringer AfD-Hardliner bis vor kurzem ohnehin nur ein Burgfrieden herrschte. Vorausgegangen war da schon ein scharfer Rüffel von Meuthen und der Mitvorsitzenden Frauke Petry gegen Höcke, nachdem dieser im ARD-Talk von Günther Jauch eine Deutschlandfahne über seinen Stuhl legte und mit derber Rhetorik gegen Flüchtlinge zu Felde zog.
Nach dem Ordnungsruf der Parteispitze hielt sich Höcke zurück. Beim Parteitag Ende November drehte er dann aber wieder auf: „Wenn wir den Asylorkan jetzt nicht kontrollieren, dann werden wir in eine Phase des Staatsverfalls einmünden“, donnerte er in die Mikrofone der Journalisten. Mit seinem Auftritt in Hannover bestätigte Höcke einmal mehr seinen Anspruch, Wortführer einer Gruppe rechter AfD-Mitglieder zu sein. Dazu zählen die Landeschefs von Brandenburg und Sachsen-Anhalt, Alexander Gauland und André Poggenburg. Beide gehören dem Bundesvorstand der Partei an – Gauland als Parteivize, Poggenburg als Beisitzer.
Scharfe Kritik an Höcke äußerte auch der NRW-Landeschef Marcus Pretzell. „Man muss nicht jeden Unfug unkommentiert lassen; schon gar nicht rassische Ideologie. Das hat nichts mit AfD zu tun“, schrieb Pretzell bei Twitter. Ein weiteres kritisches Statement auf seiner Facebook-Seite löschte Pretzell wieder, nachdem Höcke seine Äußerungen in einer Mitteilung vom Sonntagabend bedauerte.
Der Thüringer AfD-Chef nahm aber keine Passage aus seiner umstrittenen Rede zurück. Er sprach vielmehr von Fehldeutungen. „Ich habe Achtung vor jedem Menschen und seiner unveräußerlichen Würde“, teilte Höcke mit. Er erklärte dann jedoch auch: „Unabhängig davon muss es einen offenen politischen Diskurs um die richtige Asylpolitik geben können. Ich habe niemals meine Meinung absolut gesetzt, nehme mir aber das Recht, Diskussionen anzustoßen und fordere eine offene Debatte über alle relevanten Politikfelder.“
Pretzell nennt Höckes Rede "rassische Ideologie"
In seiner Rede, so Höcke weiter, sei es ihm darum gegangen, deutlich zu machen, „dass sich Europa meiner Meinung nach vor einer Einwanderung, die es selbst überfordern würde, durch geschlossene Grenzen schützen muss“. Er verwies zugleich auf eine Prognose der Stiftung Weltbevölkerung, wonach sich die Zahl der Menschen in Afrika von heute 1,2 Milliarden auf 4,4 Milliarden im Jahr 2100 vervierfachen werde.
Wird die AfD langfristig erfolgreich sein?
Die Forschungsgruppe Wahlen hat zwischen September 2014 und Mai 2015 in Deutschland Wahlberechtigte befragt, ob sie glauben, die AfD werde langfristig erfolgreich sein.
Quelle: ZDF Politbarometer, Statista
Im September 2014, also ungefähr ein Jahr nach dem knapp verpassten Einzug in den Bundestag, glaubten nur 56 Prozent der Befragten, die AfD werde langfristig nicht erfolgreich sein.
Zwei Monate später stieg der Anteil derer, die der AfD keinen langfristigen Erfolg zutrauten, auf 63 Prozent.
Im Januar 2015 glaubten 69 Prozent nicht an den langfristigen Erfolg der Euro-Kritiker um Bernd Lucke.
Im Februar 2015 prognostizierten 64 Prozent der AfD keinen langfristigen Erfolg.
Im Mai 2015 stieg (unter dem Eindruck der internen Personaldebatte?) der Anteil derjenigen, die der Alternative für Deutschland keinen Erfolg auf lange Sicht hin zutrauen, auf den in der Umfrage bisher höchsten Stand von 76 Prozent.
Seine Schlussfolgerungen hatte Höcke in seiner Rede mit der Asylpolitik in einen Zusammenhang gestellt. So sprach er auch von einem „Bevölkerungsüberschuss Afrikas“. Und er fügte hinzu: „Solange wir bereit sind, diesen Bevölkerungsüberschuss aufzunehmen, wird sich am Reproduktionsverhalten der Afrikaner nichts ändern.“
Linken-Ministerpräsident Ramelow macht sich über Höcke lustig
Gegen die Aussagen Höckes hatte es auch in Thüringen massive Kritik gegeben. So zeigte sich Thüringens Landtagspräsident Christian Carius (CDU) fassungslos. Höcke habe sich in eine „gefährliche Nähe zur Argumentation der Nationalsozialisten“ begeben. Jeder Kleintierzüchterverein spreche verantwortungsvoller über das Paarungsverhalten von Kaninchen oder Meerschweinchen als der AfD-Landeschef über Menschen auf dem afrikanischen Kontinent.
Der Vorsitzende der Thüringer Jungen Union und Landtagsabgeordnete Stefan Gruhner hatte sich zuvor auf Twitter ähnlich geäußert. Höcke sei damit nicht mehr würdig, dem Thüringer Landtag anzugehören.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow machte sich am Sonntag bei Twitter über Höcke lustig. Ramelow verwies darauf, dass Höcke und die AfD-Chefin Frauke Petry mit ihren Partnern jeweils vier Kinder hätten, die Thüringer AfD-Landestagsabgeordnete Wiebke Muhsal drei. „Genetisch Afrikaner?“, fragte Ramelow rhetorisch.
Unterstützung erhielt Höcke von AfD-Bundesvorstandsmitglied Poggenburg. Bei Twitter wandte sich der Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt gegen den Rassismus-Vorwurf seines Parteikollegen Pretzell und erklärte, „aber wir gehen bei @Höcke doch jetzt nicht von „rassischer Ideologie“ aus, oder!?“ Poggenburg bestritt zudem eine Distanzierung der Parteispitze von Höcke. Ebenfalls bei Twitter betonte Poggenburg, „dass es überhaupt keine Rüge vom Bundesvorstand gibt“.
Auch die „Patriotische Plattform“, ein nationalkonservatives Netzwerk von AfD-Mitgliedern, stellte sich hinter Höcke. In einer mit der Überschrift „Björn Höcke ist unser Mann“ betitelten Mitteilung griff die nach eigenen Angaben parteiunabhängige Organisation die Parteispitze scharf an. „Nicht Björn Höckes Aussagen sind das Problem, sondern die Art und Weise, wie das gesamte politisch-mediale Establishment und Teile der eigenen Partei darauf reagieren. Wer einen Parteifreund, der für seine aufrichtige patriotische Politik medial im Feuer steht, in den Rücken fällt, der ist keine Alternative für, der ist eine Alternative gegen Deutschland.“
Selbsternannte AfD-Patrioten attackieren Parteispitze
Die selbsternannten AfD-Patrioten lobten auch wie Höcke und Poggenburg den Front National. In einer gemeinsam verfassten Mitteilung ihrer parteiinternen Gruppierung „Der Flügel“ hatten Höcke und Poggenburg erklärt: „Für unsere Vaterländer, für unser gemeinsames europäisches Haus geht es in dieser historischen Wendezeit um Sein oder Nichtsein. Die in- und ausländischen Altparteien stehen auf der Seite des Nichtseins. Unsere Verbündeten stehen auf der Seite des Seins. Wir gratulieren Marine Le Pen zu ihrem überragenden Wahlerfolg. Frankreich und Europa dürfen noch hoffen!“
Die „Patriotische Plattform“ in der AfD ging noch weiter und erklärte: „Marine Le Pens Kampf ist unser Kampf; ihr Sieg ist unser Sieg!“ Mit „Unverständnis und Befremden“ reagierte der Vorstand der Organisation auf den Pressesprecher der AfD, Christian Lüth, der erklärt hatte, der Front National sei wegen seines „fremdenfeindlichen Kurses“ kein Partner für die AfD – „ein Satz“, so die selbsternannten AfD-Patrioten, „der so auch von Bernd Lucke hätte stammen können“.
Die „Patriotische Plattform“, heißt es in der Erklärung weiter, betrachte die FPÖ in Österreich, den Front National in Frankreich und die UKIP in Großbritannien „als unsere Verbündeten im Kampf gegen die Politik der EU, gegen linken Zeitgeist und Masseneinwanderung“. Der AfD empfahl die Plattform Marine le Pen als Vorbild, um Wahlen zu gewinnen. „Wer dagegen den Front National in der Sprache des Imperiums als „fremdenfeindlich“ abkanzelt, der zeigt, dass er bei den etablierten Parteien besser aufgehoben wäre.“ Auf den Wahlsieg der FPÖ habe der Bundesvorstand noch mit Glückwünschen reagiert. „Er möge diesen Kurs bitte auch gegenüber dem Front National fortsetzen.“