AfD-Triumphzug Anti-AfD-Konzept soll Rechtspopulisten stoppen

Der AfD-Wahlerfolg wird zum ernsten Problem für die Union. Immer lauter streiten jetzt CDU und CDU über den Flüchtlingskurs. Auch von außen wächst der Druck, mit Gegenmaßnahmen einen weiteren Rechtsruck zu verhindern.

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AfD-Bundeschefin Frauke Petry (r.) mit den Wahlsiegern: Sorge vor einem weiteren Erstarken der Rechtspopulisten. Quelle: AFP

Berlin Das CDU-Wahldebakel vom Sonntag und der Druck durch die rechtspopulistische AfD haben den Grundsatzstreit der Union in der Flüchtlingskrise neu angefacht. Nach dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer verlangte am Dienstag auch die Vorsitzende der Christsozialen im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, ein Stoppsignal für Flüchtlinge von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Seehofer legte mit seiner Kritik an Berlin noch einmal nach. Führende CDU-Politiker aus Bund und Ländern forderten den bayerischen Regierungschef indes zur Mäßigung und die Unionsparteien zu mehr Geschlossenheit auf. Doch auch von außen wächst der Druck auf die Union, mit Gegenmaßnahmen sich gegen ein weiteres Erstarken der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) zu stemmen.

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, forderte die etablierten Parteien auf, Maßnahmen zu ergreifen, um der AfD das Wasser abzugraben. „Ich erwarte von den demokratischen Parteien jetzt schleunigst ein nachhaltiges Konzept, wie dieser verheerende Trend gestoppt werden kann“, sagte Knobloch dem Handelsblatt. Mit dem Einzug in drei weitere Landtage erhalte die Alternative für Deutschland (AfD) noch mehr Aufmerksamkeit, finanzielle Mittel und eine größere Plattform für ihre „kruden“ Thesen. „Dieser Wahltag war kein guter Tag für unser Land, in dem rassistische, völkisch-nationalistische, rechtsextreme und animistische Töne immer lauter und schriller werden.“

Knobloch führt den AfD-Wahlerfolg in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt auf einen „massiven Rechtsruck“ zurück, „der sich in unserem Land zuletzt abzeichnete“. Rechtsextreme und auch antisemitische Übergriffe hätten zugenommen. Seit Monaten marschierten landauf, landab rechtsextreme durch Deutschlands Straßen – zuletzt am Samstag in Berlin, wo über 3000 Menschen an einer rechtspopulistischen Anti-Flüchtlings-Kundgebung teilgenommen hätten. „Diese Entwicklung ist erschreckend und in höchstem Maße besorgniserregend“, sagte die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden.

In Deutschland sei es bislang gelungen, den „verheerenden Trend“ zu Rechtspopulismus in Europa einzudämmen. Das habe sich aber mit der Flüchtlingskrise geändert. „Die AfD hat sich seither massiv radikalisiert und zu einer Partei der politischen Brandstifter entwickelt, also zum politischen Arm der Pegida-Bewegung, die wiederum der Nährboden für die tatsächlichen Brandstifter ist“, sagte Knobloch.


„Tragisch, wie Dummheit und Blindheit zur Selbstschädigung werden“

Auch Ökonomen sehen die Entwicklung mit Sorge. Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, reagierte insbesondere auf die fremdenfeindlichen Umtriebe in Ostdeutschland und das starke Abschneiden der AfD in Sachsen-Anhalt mit Unverständnis. „Tragisch, wie Dummheit und Blindheit zur Selbstschädigung werden. Wenn es nicht gelingt, über die Schaffung neuer Diskursformen einen konstruktiven Weg aus dieser Verwirrung zu finden, kann es tatsächlich und durch Reputationsverluste zum Schaden für Deutschland als Ganzes werden“, sagte Hüther dem Handelsblatt.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sprach von einem zunehmenden wirtschaftlichen Risiko für Deutschland durch den Erfolg politisch extremer Parteien. „Die Bundesregierung sollte sich nicht durch den politischen Rechtsruck noch weiter von einem pro-europäischen und wirtschaftsfreundlichen Kurs der Wirtschaftspolitik abbringen lassen“, sagte Fratzscher dem Handelsblatt. Mit Blick auf die Flüchtlingspolitik fügte er hinzu: „Eine Grenzschließung oder eine zunehmende Isolierung Deutschlands in Europa könnten signifikanten wirtschaftlichen Schaden für Deutschland verursachen.“

Aus Hüthers Sicht stellt das politische Signal, das insgesamt von den hohen Stimmenanteilen der AfD ausgehe, für die industriellen Kerne in Westdeutschland keine Gefährdung dar, „wenn es gelingt, durch administrative Bewältigung des Flüchtlingszustroms wieder Handlungsfähigkeit zu gewinnen und den Kontrollverlust zu korrigieren“. Das werde bis zur Bundestagswahl möglich sein. Anders sehe es aber grundsätzlich in den neuen Bundesländern aus, wo die Ablehnung des Fremden sich nicht nur stärker in Gewalt äußere, sondern auch in Zustimmungsraten für die AfD von über 20 Prozent.

„Wenn sich das verhärtet, dann klinken sich die neuen Länder aus der Perspektive internationaler Investoren aus“, warnte Hüther. „Das ist für eine Region, die besonders stark von Bevölkerungsschwund und Alterung geprägt ist, verheerend.“ Wie ein „selbstverstärkender Prozess“ schwinde so der Kapitalstock, die Arbeitslosigkeit steige und das Pro-Kopf-Einkommen werde sinken. „Diese schiefe Bahn muss heute korrigiert werden. Sonst werden die Anstrengungen des Aufbaus und der Investitionen seit der Wiedervereinigung nichts mehr bewirken.“

Dessen ungeachtet plädierte Hüther für Augenmaß bei der Bewertung des AfD-Wahlerfolgs hinsichtlich möglicher internationaler Folgen. Neue Parteien brächten zum Ausdruck, dass die existierenden Parteien für bestimmte Themen oder für Sorgen und Ängste keine Antwort böten. So habe die Flüchtlingsmigration wegen der bis vor kurzem geltenden Unkontrollierbarkeit Sorgen und Ängste gerade auch dort ausgelöst, wo es Migranten bisher kaum gegeben habe. „Wer dagegen votieren wollte, konnte nur die AfD wählen“, sagte der IW-Chef. „Das muss man berücksichtigen, wenn man die internationale Wirkung der Wahlergebnisse einschätzen will.“


Außenhandels-Präsident: „AfD entzaubern, statt sie zu verteufeln“

Der Stimmenanteil der AfD, so Hüther weiter, sei „sicher kein Beleg für Weltoffenheit und Fremdenliebe“. Doch im europäischen Vergleich sei die Werte nicht auffällig. „So unschön dieses politische Signal ist, in einer gewissen Weise stellt es im europäischen Bezug eine Normalität dar“, betonte der IW-Chef.

Besorgt äußerte sich dagegen der Präsident des Außen und Großhandelsverbandes BGA, Anton Börner. „Wir sind in Sorge um Europa. Der europaweite Trend gegen Europa und den Euro hat nun auch Deutschland erfasst“, sagte Börner dem Handelsblatt. Im demokratischen Spektrum gebe es nur die FDP als klaren Gewinner. Alle anderen seien Sieger und Verlierer zugleich. Mit Blick auf die AfD fügte er hinzu: „Die AfD gilt es zu entzaubern, statt sie zu verteufeln.“

Doch eine Auseinandersetzung mit der AfD gerät zumindest in der Union derzeit zur Nebensache. CDU und CSU beharken sich vielmehr wegen der umstrittenen Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Kurz vor der Wahl hatte sich CSU-Chef Seehofer mit lauten Wortmeldungen dazu zurückgehalten, doch nach dem AfD-Triumph bringt der Unions-Streit über das Hauptthema der Rechtspopulisten im Wahlkampf mit voller Wucht wieder auf.

So wies Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) Seehofers Forderung nach einem Kurswechsel der Regierung in der Flüchtlingspolitik und nach nationalen Grenzkontrollen zurück. „Es bleibt dabei, dass die Bundesregierung eine europäische Lösung sucht - weil wir in Griechenland sehen, dass nationale Maßnahmen nicht zum gewünschten Erfolg und zu untragbaren Zuständen an den Grenzen führen können“, sagte er in Berlin. Kauder zeigte sich verärgert, dass Union und SPD nicht stärker ihre Gemeinsamkeiten und Leistungen herausstellten. Stattdessen werde erzählt, was noch nicht erledigt sei. „Dass wir ein gemeinsames Ziel haben, geht leider unter.“

Seehofer verteidigte seinen Merkel-kritischen Kurs: Für schlechte Wahlergebnisse seien nicht „diejenigen verantwortlich, die auf den Fehler hinweisen, sondern diejenigen, die den Fehler gemacht haben“, betonte der Ministerpräsident nach einer Kabinettssitzung. Am Vorabend hatte Seehofer in der ARD mit Blick auf die schweren CDU-Verluste in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gesagt: „Dieses Wahlergebnis hat eine ganz zentrale Ursache, das ist die Verunsicherung der Bevölkerung durch die Zuwanderungspolitik von Berlin. Und wir können die AfD am leichtesten überflüssig machen, wenn wir diese Politik verändern und die Bevölkerung ernst nehmen mit ihrem Anliegen.“


Zusätzlicher Streit über SPD-Wunsch nach einem „Solidarprojekt“

Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer mahnte, CDU und CSU seien immer dann am erfolgreichsten gewesen, wenn sie gemeinschaftlich Politik gemacht hätten. Dies sei jetzt erkennbar schwierig. Die Union müsse die zweistelligen Ergebnisse der Alternative für Deutschland (AfD) als Denkzettel begreifen. Saar-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) meinte, das Wahlergebnis sei „ein Ausdruck davon, wie unzufrieden die Menschen mit der Uneinigkeit innerhalb der Regierung und besonders auch zwischen CDU und CSU sind“.

Die CSU-Politikerin Hasselfeldt betonte, in der Flüchtlingskrise sei eine klare Botschaft an die Herkunftsstaaten nötig, dass Europa und insbesondere Deutschland nicht alle Probleme der Welt lösen könne. „Gerade das Wahlergebnis zeigt uns, es ist Handlungsbedarf dringender denn je erforderlich.“ Die Lage für die etablierten Parteien und besonders auch für die konservativen Parteien sei „eine sehr, sehr ernste“. Hasselfeldt gilt eigentlich als Vermittlerin zwischen Merkel und Seehofer. SPD-Chef Sigmar Gabriel warf Seehofer am Dienstag vor, Merkel angesichts der EU-Türkei-Verhandlungen in den Rücken zu fallen.

Für zusätzlichen Streit in der Großen Koalition sorgt der SPD-Wunsch nach einem „Solidarprojekt“. Die Sozialdemokraten reagierten verärgert auf Äußerungen des CDU-Politikers Jens Spahn, der die Forderung scharf zurückgewiesen hatte. „Wer die Probleme von Rentnern mit Mini-Renten, Alleinerziehenden und jungen Familien als „gaga“ abtut, handelt respektlos“, sagte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley der Nachrichtenagentur dpa. Es sei „ärgerlich, dass sich die CDU einer wichtigen Diskussion über soziale Ungleichheit in Deutschland nicht stellt“.

Ohne die von der SPD verlangte Unterstützung einheimischer Bedürftiger parallel zur Flüchtlingshilfe drohe eine Spaltung der Gesellschaft, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Die Koalition müsse hier dringend entgegenwirken. Dabei gehe es unter anderem um eine Begrenzung von Leiharbeit und Werkverträgen, eine Solidarrente für Geringverdiener, ein modernes Teilhabegesetz für Menschen mit Behinderungen oder aber die Erbschaftssteuer. Eine Einigung auf die Eckpunkte für den nächsten Haushalt werde es mit der SPD nur geben, wenn es auch eine Verständigung auf diese Solidarprojekte gebe. Oppermann: „Die Landtagswahlen sind vorbei. Jetzt müssen wir uns wieder aufs Regieren konzentrieren.“

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