Neuerdings finden Finanzminister Wolfgang Schäuble, Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) und CDU-General Peter Tauber Vokabeln wie „Dumpfbacke“, „Pack“ und „Drecksnazi“ angemessen, um AfD-Wähler zu beschreiben. Sie stabilisieren damit das narzisstische Selbstbild „besorgter Bürger“, die sich von „denen da oben“ im Stich gelassen fühlen. Und sie helfen der Partei, schleichend als Argument in Anspruch zu nehmen, was sie als böse Unterstellung in Umlauf gebracht hat: dass „Gutmenschen“ in Politik und „Mainstream“-Medien ein „Meinungskartell“ bilden, um die „schweigende Mehrheit“ linksgrün zu pädagogisieren. Dass das „Politbüro“ in Berlin deutsche Interessen auf dem Altar der „EudSSR“ in Brüssel opfert. Dass sich die „Altparteien“ um die Abgehängten in Deutschland weniger scheren als um Migranten und Flüchtlinge. Dass Merkel „weg“ muss, weil sie das Recht mit Füßen tritt und den Nationalautoritären in Russland, Ungarn, Polen Vorschriften macht.
Offenbar haben Union und SPD noch immer nicht verstanden, dass die AfD nicht nur einen Beutezug auf der Basis von Xenophobie und Ressentiment, sondern auch von Selbstviktimisierung und Desinformation, von Wertnihilismus und verhetzendem Anti-Merkel-Protest unternimmt – und dass viele AfD-Wähler jede Beschimpfung mit Dankbarkeit auf sich beziehen, um mit der Kraft ihres (Selbst-)Hasses besser denn je dem Bild entsprechen zu können, das sich „das System“ ihrer Meinung nach von ihnen macht. Dass nun auch noch der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) autoritäre Regime indirekt verharmlost, indem er Merkel zum demokratischen Systemfehler erklärt („Herrschaft des Unrechts“), macht den Etappensieg der AfD komplett. Einerseits dämonisiert als „rechtspopulistische“ Partei, die vom Verfassungsschutz beobachtet gehört, adeln die etablierten Parteien die AfD andererseits mit jeder weiteren Formlosigkeit zum Trendsetter des Ressentiments.
Das Vokabular von Pegida
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhundert geläufig, erlebte das Wort um 1940 eine Renaissance. Dahinter standen laut GfdS immer völkische und nationalistische Anliegen, die die staatlich gelenkte „Lügenpresse“ angeblich zu verschleiern versuchte. Aus Sicht der Protestierenden herrscht auch heute keine wirkliche Meinungsvielfalt oder Meinungsfreiheit. Aus ihrer Sicht bestimmen vielmehr Regierung oder System darüber, was veröffentlicht werden darf.
Der Volksverrat findet sich als Straftatbestand erstmals im Nationalsozialismus. Der heutige Gebrauch von „Volksverräter“ zielt nach Angaben der Gesellschaft darauf ab, die gewählten Volksvertreter eben als Verräter an „ihrem“ (sprich: dem deutschen) Volk zu bezeichnen. Vor der Zeit des Nationalsozialismus habe es den Straftatbestand des Hoch- und Landesverrats gegeben. Erst mit dem Wort Volksverrat habe die Straftat aber einen klaren Bezug zur Nationalität erhalten, da mit den bis dahin üblichen Bezeichnungen nicht auf eine völkische oder ethnische Zugehörigkeit Bezug genommen wurde.
Laut Wörterbuch Grimm ist die Bedeutung „westlich gelegenes Land“, zunächst also rein geografisch und ohne Bezug zu einer bestimmten Nation, Kultur oder Religion. Ideologisch besetzt ist das Wort jedoch nach Angaben der Sprachforscher durch das Hauptwerk des Geschichtsphilosophen Oswald Spengler „Der Untergang des Abendlandes“, das klare antidemokratische Züge aufweist. Spengler sah die abendländische Kultur im Untergang begriffen und hielt die freiheitliche Demokratie für ein (unausweichliches) Stadium zum Niedergang.
Im Duden bereits 1929 verzeichnet, 1993 Unwort des Jahres. Auch hier gibt es laut GfdS einen klaren Bezug zur Sprache des Nationalsozialismus. So sprach Joseph Goebbels 1933 von „Überfremdung des deutschen Geisteslebens durch das Judentum“. Heutzutage seien eher andere Gruppen gemeint, das Wort habe sich hartnäckig gehalten.
Ruf bei den Montagsdemonstrationen in der DDR, später abgewandelt zu „Wir sind ein Volk“ - im Hinblick auf die Wiedervereinigung nach dem Mauerfall. Heute von Pegida aufgenommen - genau wie die Tradition der Montagsdemos - zur Abgrenzung gegenüber Zuwanderern, vor allem solchen muslimischen Glaubens.
Gibt es einen Weg zurück zum Konservatismus?
Gibt es einen Weg zurück vom gepflegten Hass auf gutmenschelnde Volkspädagogen zum skeptischen Konservativismus – zurück in eine Welt, in der man das Fremde und Andere für seine Fremdheit und Andersartigkeit schätzt? Nicht, wenn es nach Marc Jongen geht, inoffizieller Parteiphilosoph und AfD-Vize in Baden-Württemberg. Jongen, ein Schüler, nein: eine Parodie des deutschen Lieblingsintellektuellen Peter Sloterdijk, diagnostiziert eine thymotische Unterversorgung in Deutschland, einen Mangel an Zorn und Wut. Es ist ihm daher daran gelegen, seine Landsleute psychopolitisch zu kräftigen, sie in Sachen Wehrhaftigkeit gegenüber anderen Kulturen zu ertüchtigen. Er möchte das kernlose Helfer-Wir der Gutmenschen und das schwarzverbunkerte Volks-Wir der Fremdenfeinde einschmelzen in ein avantgarde-konservatives Programm zur Erhaltung Deutschlands. Kurz, Jongen gibt den rechten Volkspädagogen, den Kerngesundnationalen. Er möchte sichern, was deutsch ist. Und Zustände schaffen, deren Erhaltung sich lohnt.
Alexander Gauland lächelt. Die AfD ist nicht intellektuell, sagt er, und ich bin deshalb auch nicht traurig: Wir sind eine Partei, die an den Problemen wächst, die die Menschen als Problem empfinden, das ist alles. Das Beste an der AfD wäre demnach, dass sie Deutschland mal wieder mit seiner national-kleinbürgerlichen Kehrseite vertraut macht? Mit den Enttäuschten, Abgehängten, Unsichtbaren, die endlich mal wieder zur Wahl gehen? Mag sein, dass Gauland diese Menschen letztlich fremd bleiben. Dass sie ihm zu grob, zu rau, zu hölzern sind. Aber er braucht sie, weil er mit dem irisch-britischen Staatsphilosophen Edmund Burke buchstäblich immer nur das ihm nächstliegende denken möchte: deutsch.