In der Affäre um das Gewehr G36 der Bundeswehr zieht Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) erste personelle Konsequenzen. Der frühere Abteilungsleiter für Rüstung, Detlef Selhausen, soll von seinen derzeitigen Aufgaben als Geschäftsführer der Bundeswehr-Fuhrpark GmbH entbunden und baldmöglichst in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Ein Ministeriumssprecher bestätige am Freitag einen entsprechenden Vorabbericht der „Bild am Sonntag“. Die SPD im Bundestag schloss sich zudem der Forderung der Grünen an, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen.
Selhausen hatte in einem am Donnerstag verbreiteten Schreiben vom 6. Dezember 2013 versucht, den Militärischen Abschirmdienst (MAD) auf mögliche Informanten einer kritischen Berichterstattung über den Waffenhersteller Heckler&Koch und die Treffsicherheit des Gewehrs G36 anzusetzen.
Die Debatte um das G36
Das Sturmgewehr G36 ist die Standardwaffe der Bundeswehr. Der Hersteller, das deutsche Rüstungsunternehmen Heckler & Koch, hat nach eigenen Angaben 178.000 Gewehre des Typs G36 an die deutsche Armee verkauft. Der Preis: Mehr als 180 Millionen Euro. Das Gewehr zeichnet sich nach Angabe der Bundeswehr durch „seine einfache Bauweise aus, sämtliche Hauptbaugruppen sind mit nur drei Haltebolzen am Waffengehäuse befestigt.“
Quellen: Bundeswehr, Unternehmen, dpa
Das G36 wiegt 3,63 kg und verfügt über ein Zielfernrohr sowie ein Reflexvisier. Es handelt sich um einen automatischen Gasdrucklader mit Drehkopfverschluss im Kaliber 5,56 x 45 Millimeter. Mit dem Gewehr können sowohl einzelne Schüsse als auch Feuerstöße abgegeben werden.
Das G36 löste das G3 ab, das sich seit 1959 im Einsatz bei der Bundeswehr befindet. Bei dem G3 handelt es sich um eine schwerere Waffe im größeren Kaliber 7,62 x 51 Millimeter.
Ende März 2015 hat die Bundeswehr Probleme bei der Treffsicherheit des G36 eingeräumt. „Das G36 hat offenbar ein Präzisionsproblem bei hohen Temperaturen aber auch im heißgeschossenen Zustand“, erklärte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. In den Jahren zuvor hatte es mehrere widersprüchliche Berichte über die Treffsicherheit des G36 gegeben. Unter anderem war die Munition für Ungenauigkeiten verantwortlichgemacht worden. Daraufhin hatte von der Leyen im Frühsommer 2014 eine Expertenkommission mit Vertretern der Bundeswehr, des Bundesrechnungshofs und des Fraunhofer-Instituts eingesetzt, um Klarheit zu schaffen. Der Abschlussbericht stand zum Zeitpunkt der Äußerungen noch aus.
Das Sturmgewehr G36 von Heckler & Koch wird nicht nur von der Bundeswehr verwendet, sondern auch von Armeen anderer Staaten. In Lettland, Litauen und Spanien ist die Waffe nach Angaben der Bundeswehr ebenfalls als Standardgewehr der Armee im Einsatz. Verwendet wird das G36 zudem von Spezialeinheiten in Jordanien, Norwegen und Mexiko. Aus Bundeswehr-Beständen sind kürzlich G36-Sturmgewehre an die kurdischen Peschmerga-Einheiten im Nord-Irak geliefert worden. Die Kurden sollen damit gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kämpfen.
Im spanischen La Coruña wurde das G36 in Lizenz von General Dynamics Santa Bárbara Sistemas hergestellt. 2008 erteilte die Bundesregierung außerdem eine Genehmigung zur Ausfuhr von Technologie für die Herstellung des Gewehrs in Saudi-Arabien. Diese Genehmigung sieht allerdings nach Angaben der Regierung nur eine Produktion für den Eigenbedarf der saudischen Sicherheitskräfte vor und keine autonome Fertigung ohne Zulieferung von Schlüsselkomponenten aus Deutschland.
Der Geheimdienst der Bundeswehr antwortete jedoch, ein Tätigwerden des MAD in dieser Sache verbiete sich. Selhausen bezog sich in seinem Schreiben auf ein Gespräch der Geschäftsführung von Heckler&Koch mit dem MAD-Präsidenten, das im November stattgefunden habe.
Der Sprecher betonte, von der Leyen selbst habe erst vor wenigen Tagen von der Angelegenheit erfahren. Ein Mitarbeiter im Ministerbüro habe einen Vermerk, in dem der Vorfall erwähnt sei, nach einer „kursorischen Prüfung“ abgezeichnet und zu den Akten gelegt.
Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold sagte der der „Rheinischen Post“ zu einem möglichen Untersuchungsausschuss: „Wir sollten exemplarisch einmal durchchecken, was in diesem Haus eigentlich los ist.“ Die Grünen wollen unter anderem erhellen, weshalb auf kritische Gutachten zur Treffsicherheit des G36 nicht sofort reagiert wurde. Die Union hält einen Untersuchungsausschuss dagegen für „nicht zielführend“. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi befand, von der Leyen sei die Kontrolle entglitten. „Hier tun sich Abgründe im Verteidigungsministerium auf, die nur mit Hilfe eines Untersuchungsausschusses umfassend geklärt werden können“, fügte sie hinzu. Die Ministerin dürfe einer rückhaltlosen Aufklärung „nicht länger im Wege stehen“.
Von der Leyen hatte am Donnerstag gesagt, die Intervention des ehemaligen Abteilungsleiters für Rüstung beim MAD sei „inakzeptabel“ gewesen. Die Ministerin hatte im April im Verteidigungsausschuss erklärt, das G36 habe wegen der von Experten festgestellten Präzisionsprobleme keine Zukunft in der Bundeswehr. Erste Hinweise auf die Präzisionsprobleme gab es schon 2010. Bereits im März 2012 wurden sie von der Rüstungsabteilung des Ministeriums als „erheblicher Mangel“ von „erheblicher Einsatzrelevanz“ eingestuft.