AKP sagt Auftritte ab Kneift Erdogan jetzt?

Bis zum Referendum soll kein türkischer Regierungsvertreter mehr Wahlkampf in Deutschland machen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den abgesagten Auftritten.

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Erdogan und die Absage der Ministerauftritte von der UETD. Quelle: Getty Images

Die Exklusivmeldung der WirtschaftsWoche, dass es bis zum Verfassungsreferendum in der Türkei keine weiteren Auftritte türkischer Minister in Deutschland geben wird, sorgt für viel Aufregung. Hier klären wir die wichtigsten Fragen.

Worum geht es?

Die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) plant bis zum Verfassungsreferendum in der Türkei keine weiteren Auftritte von Vertretern Ankaras in Deutschland mehr. Der türkische Präsident Tayyip Erdogan verliert damit eine wichtige Plattform. 

Was ist die UETD für ein Verein?

Die Union Europäisch-Türkischer Demokraten ist ein eingetragener Verein mit Sitz in Köln, Zweigstellen in 14 anderen europäischen Ländern und lokalen Gruppierungen in ganz Deutschland. Der Verein nimmt für sich in Anspruch, die Interessen Türkischstämmiger in Europa zu vertreten, sowohl gegenüber den dortigen Regierungen als auch der türkischen Staatsführung und in der dortigen Öffentlichkeit. Außerdem engagiert sich der Verein im Austausch zwischen den Kulturen der Türkei und Europas. 

Ist das alles?

Der UETD wird eine große Nähe zur türkischen Regierungspartei AKP unterstellt. Formelle Bindungen zwischen der UETD und der AKP existieren zwar nicht. Die persönlichen Überschneidungen sind aber offensichtlich. So arbeitete der heutige Präsident der UETD, Zafer Sirakaya, zuvor zwei Jahre lang im Brüsseler Büro der AKP. In diesem Jahr hat die UETD zudem erstmals eine klare Wahlempfehlung im Sinne des türkischen Staatspräsidenten Tayyip Erdogan herausgegeben. Sie rät den in Deutschland lebenden Türken, dem Referendumsentwurf zuzustimmen. „Die Verfassungsreform stärkt die türkische Demokratie“, sagt Präsident Sirakaya.

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Aber was hat das mit den Auftritten der türkischen Minister zu tun?

Die UETD fungierte bei allen Auftritten, ob in Oberhausen, Köln, Rotterdam oder Gaggenau als Veranstalter. Die Organisation macht daraus auch keinen Hehl, sieht sich aber als reine „Informationsplattform“. „Wäre eine andere Partei an der Regierung, würden wir auch deren Minister anfragen, hier bei uns aufzutreten“, so Sirakaya. Da die UETD erst 2004, als die AKP in der Türkei an die Macht kam, gegründet wurde, lässt sich das nicht überprüfen.

Und was bringt das der AKP?

Die Veranstaltungen der UETD geben Erdogan und seinen Ministern die Möglichkeit, ihre Rolle zu wechseln. Wenn sie in bei Veranstaltungen der türkischen Konsulate aufträten, sprächen sie dort als Repräsentanten des türkischen Staates. Würden die Veranstaltungen von der AKP selbst organisiert, wären sie Vertreter der Partei. Bei den UETD-Treffen aber können sie formell als Privatleute auftreten. Zuständig für die Genehmigung der Treffen ist dann allein die örtliche Behörde, die sich dabei am Versammlungsrecht orientieren muss und die Treffen nur in Ausnahmefällen untersagen darf. Wenn ein türkischer Minister hingegen in der Ausübung seines Amtes in Deutschland sprechen will, braucht er hingegen eine explizite Genehmigung des Bundes.

Das Kalkül des Recep Tayyip Erdogan

Und warum hören die Auftritte jetzt trotzdem auf?

Der UETD-Präsident Sirakaya begründet die Absage einerseits mit den zunehmenden Spannungen innerhalb der deutschtürkischen Gemeinde. „Es hat inzwischen bereits elfmal Angriffe extremistischer Gruppen auf unsere Einrichtungen gegeben“, sagt Sirakaya im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. „Wir fordern deshalb, dass der deutsche Staat sich um unsere Sicherheit kümmert.“ Vor allem aber führt Sirakaya das gesellschaftliche Klima in Deutschland ins Feld, das aus seiner Sicht derzeit keine freie Meinungsäußerung mehr zulasse. „Unser Ziel ist es, den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich über das Referendum zu informieren. Das ist derzeit leider nicht möglich.“

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Menschenrechtsorganisation Amnesty International Quelle: REUTERS

Was steckt wirklich dahinter?

Über die tatsächlichen Beweggründe und ob diese über Sirakayas Aussagen hinausgehen, kann nur spekuliert werden. Wenn man den jüngsten Umfragen aus der Türkei glaubt, dann hat die jüngste Zuspitzung der Auseinandersetzungen zwischen den Regierungen in Ankara, Berlin und Den Haag dem Anliegen des türkischen Präsidenten Erdogan nicht genützt. Gegner und Befürworter der Verfassungsreform liegen demnach gleichauf. Es könnte also sein, dass man sich in Ankara entschieden hat, die Konfrontation zurückzufahren ohne jedoch die rhetorische Kulisse fallen zu lassen, was die Öffentlichkeit in der Türkei als Schwäche auslegen könnte. Oder dass die AKP es inzwischen für wichtiger hält, sich in der Türkei selbst im Wahlkampf zu engagieren. Aber das ist Spekulation. 

Wie passt in diese Strategie die indirekte Kommunikation über die UETD?

Es ist fraglich, inwiefern diese Äußerung tatsächlich einer koordinierten Strategie folgt. Das unterstellt eine sehr enge Abstimmung zwischen UETD und AKP, was nicht auszuschließen, aber eben auch nicht belegbar ist. Möglich, dass es schlicht keine Anfragen für weitere Veranstaltungen gab und man bei der UETD schlicht unterschätzt hat, welche Tragweite Äußerungen zum Terminkalender des Vereins haben würden. 

Also, kneift Erdogan jetzt?

Ja. Schließlich sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu noch vor zwei Wochen, die Regierung plane noch „mindestens 30“ weitere Auftritte in Deutschland. Nun ja. Vielleicht hatte die Regierung in Ankara gehofft, dass der stille Rückzug in Deutschland keinem auffallen würde. Diese Strategie ist seit heute gescheitert.

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