AKW-Abschaltung Röttgen fährt Mappus in die Parade

Der Stuttgarter Regierungschef Mappus klammert sich an das Atom-Moratorium, von einem dauerhaften AKW-Aus will er aber nichts wissen. Das ruft seinen härtesten CDU-internen Kritiker auf den Plan: Umweltminister Röttgen.

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Norbert Röttgen. Quelle: handelsblatt.com

Der schwere Atomunfall von Fukushima hat für einen radikalen Stimmungsumschwung in Deutschland gesorgt. Und könnte die fast 60 Jahre andauernde CDU-Herrschaft in Baden-Württemberg beenden. Die Signale, die infolge des Japan-Desasters auch hierzulande unüberhörbar sind, haben denn auch den Stuttgarter Regierungschef Stefan Mappus (CDU) erfasst. Er, der Atomkraft-Befürworter schlechthin, versucht jetzt nicht gänzlich unterzugehen und geht stattdessen - angedockt an das von Kanzlerin Angela Merkel verkündete Atom-Moratorium - in die Offensive. Deutschlands zweitältester noch laufender Atommeiler Neckarwestheim 1 werde nun so schnell wie möglich abgeschaltet, sagte Mappus. Dies sei die Folge des Moratoriums. Doch einen Zeitrahmen nannte der CDU-Politiker nicht. Auch will sich Mappus nicht festlegen, ob der Meiler stillgelegt bleibe. Ob sich ein Wiederanfahren nach den Gesprächen mit der Regierung lohne, müsse zu einem späteren Zeitpunkt geklärt werden.

Dass Mappus in der Atomfrage weiter herumlaviert ruft seinen härtesten Kritiker auf den Plan: Norbert Röttgen. Die beiden Christdemokraten sind sich nicht grün, seit Mappus die AKW-Laufzeitverlängerung energisch eingefordert und in diesem Zusammenhang den atomkritischen Röttgen sogar zum Rücktritt aufgefordert hatte. Zu der aktuellen Abschaltfrage sagte Röttgen, er gehe davon aus, dass diejenigen Atomkraftwerke, die während des Moratoriums vom Netz genommen würden, auch dauerhaft stillgelegt werden. "Das kann ja nicht anders sein." Deutschland müsse jetzt möglichst schnell aus der Kernenergie herauskommen.

Röttgen warb überdies für einen breiten gesellschaftlichen Konsens in der Energiepolitik. Die schwarz-gelbe Regierung müsse jetzt alle gesellschaftlich relevanten Gruppen wie Kirchen, Gewerkschaften und Unternehmen einladen, "dieses Thema aus der Kampfzone herauszubringen", sagte der auch für Reaktorsicherheit zuständige Minister. Der Beschluss der Bundesregierung, die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken auszusetzen, habe nichts mit Wahlkampftaktik zu tun, sagte Röttgen. "Diese Frage ist viel zu fundamental."

Röttgen liegt mit seiner Analyse auf einer Linie mit der Haltung der Bundesbürger. Eine Mehrheit von 53 Prozent ist nach einer Infratest-dimap-Umfrage für den ARD-"Deutschlandtrend" jetzt der Ansicht, alle deutschen Atomkraftwerke sollten so rasch wie möglich stillgelegt werden (43 Prozent dagegen). Nach ZDF-"Politbarometer" sind sogar 60 Prozent für einen Atom-Ausstieg so schnell wie möglich. Laut Infratest hält die große Mehrheit der Deutschen (70 Prozent) einen AKW-Unfall wie in Japan auch in Deutschland für denkbar.

Schavan: Atom-Ausstieg beschleunigen

Bundeskanzlerin Angela Merkel will heute (Dienstag) in Berlin mit den fünf Ministerpräsidenten, in deren Ländern Atomkraftwerke stehen, über die Zukunft der Anlagen sprechen. Die CDU-Vorsitzende hatte gestern (Montag) eine dreimonatige Aussetzung der von Union und FDP beschlossenen Laufzeitverlängerung angekündigt. Als Sofortmaßnahme sollen die als unsicher kritisierten Atomkraftwerke Isar I (Bayern) und Neckarwestheim I (Baden-Württemberg) rasch vom Netz gehen. Möglicherweise muss auch das älteste AKW Biblis A abgeschaltet werden, zunächst ist dort aber nur eine Revision geplant. Die Atomkraftwerke sollen als Reaktion auf die Katastrophe im japanischen Fukushima sofort einem Sicherheitscheck unterzogen werden. Es ist durchaus möglich, dass weitere Anlagen vom Netz genommen werden.

Der Betreiber von Neckarwestheim 1, EnBW, lehnte Stellungnahme dazu ab. Zuvor hatte EnBW, dessen Großaktionär das Land Baden-Württemberg ist, erklärt, bis zu einem Gespräch mit Merkel bleibe der Meiler am Netz.

Die Kanzlerin setzte am Montag gemeinsam mit Außenminister Guido Westerwelle (FDP) die im vorigen Jahr beschlossene Verlängerung der Laufzeiten aller 17 Atomkraftwerke für drei Monate außer Kraft. Eine Folge sei, dass Atommeiler sofort vom Netz müssten, die ihre im rot-grünen Ausstiegsbeschluss von 2000 erlaubten Reststrommengen bereits produziert haben. Röttgen sagte später, dies treffe nach seinem Kenntnisstand für Neckarwestheim I zu.

Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) will "den Ausstieg aus der Kernenergie zugunsten der erneuerbaren Energien" mit Unterstützung durch die Wissenschaft vorantreiben. Sie sagte der "Rheinischen Post": "Wir wollen alle wissenschaftliche Kompetenz einsetzen, um diesen Prozess zu beschleunigen. Die drei Monate Moratorium können genutzt werden, um aus dem Kreis der Wissenschaft dazu Vorschläge für die weitere Forschung und Entwicklung zu bekommen." Sie habe die Nationale Akademie Leopoldina beauftragt, einen Stab an Wissenschaftlern zusammenzustellen, und wolle sich "mit den Wissenschaftlern noch in diesem Monat treffen".

Union: Strompreise bleiben stabil

Die Atombranche hält nach dem Aussetzen der Laufzeitverlängerung (Moratorium) auch das endgültige Aus für Meiler in Deutschland für möglich. "Wir werden jetzt Anlage für Anlage im Sinne der Risikobeherrschung prüfen müssen, welche Konsequenzen zu ziehen sind", sagte der Präsident des Deutschen Atomforums, Ralf Güldner, der "Süddeutschen Zeitung". "Das Stilllegen einzelner Anlagen kann derzeit nicht ausgeschlossen werden." Eine generelle Rücknahme der Laufzeitverlängerung und einen beschleunigten Atomausstieg in Deutschland lehnt die Branche jedoch ab. Güldner kündigte Nachbesserungen bei der Sicherheit in deutschen AKW an.

Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, sah im Interview der "Passauer Neuen Presse" keinen Grund für Panik. "Die Sicherheitsstandards der Atomanlagen in Deutschland haben konkrete Risikobewertungen als Grundlage" - jetzt werde es eine Neubewertung geben. König: "In Japan sind alle davon ausgegangen, dass es nie ein Erdbeben mit einer Stärke von 9,0 geben würde. Doch die Natur hat sich nicht daran gehalten."

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) unterstützte die Entscheidung der Regierung für ein dreimonatiges Moratorium in der Atompolitik. In der "Neuen Osnabrücker Zeitung" mahnte DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann aber zugleich Besonnenheit und Transparenz an. "Wegen der grundlegenden Bedeutung der Energieversorgung von Privathaushalten, öffentlichen Einrichtungen und der Unternehmen dürfen wir uns Schnellschüsse nicht leisten."

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Peter Altmaier, rechnet nicht mit höheren Strompreisen durch die Abschaltung von Atomkraftwerken. Er sagte am Montagabend in der SWR-Talkshow "2+Leif": "Ich glaube, dass diese Ausfälle bewältigt werden können. Ich hoffe, dass die Energieversorgungsunternehmen nicht der Versuchung erliegen, an dieser Stelle jetzt an irgendwelchen Schrauben zu drehen."

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