Berlin Politik ist ein wechselhaftes Geschäft. Das verkörpert derzeit niemand besser als Bernd Lucke. „Wir nehmen in der Euro-Frage kein Jota zurück“, versicherte Lucke noch Anfang des Jahres im Handelsblatt-Interview. Damals war der Hamburger Ökonom noch Chef der Alternative für Deutschland (AfD). Ein halbes Jahr später ist er das nicht mehr. Nachdem die nationalkonservativen Kräfte in der AfD die Oberhand gewannen, trat Lucke aus. Sein politisches Comeback wagt er jetzt mit einer neuen Partei. Zusammen mit rund 70 früheren AfD-Anhängern gründete er am Sonntag in Kassel die „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“ (Alfa). Lucke, der zum Vorsitzenden gewählt wurde, vertritt nun plötzlich deutlich gemäßigtere Euro-Positionen. Die AfD-Forderung nach einem Euro-Austritt Deutschlands hält er für „nicht verantwortbar“, wie er im Interview sagt.
Herr Lucke, ist Alfa ein AfD-Klon?
Ganz gewiss kein Klon der heutigen AfD. Aber Alfa greift die Gründungsideen der AfD auf und verschafft ihnen erneut Geltung. Außerdem setzen wir auch neue Akzente, zum Beispiel mit einer klar fortschrittsfreundlichen Orientierung. Unter dem Einfluss der Grünen hat sich in Deutschland ja gerade bei neuen Technologien eine ausgesprochene Fortschrittsskepsis ausgebreitet. Damit legen wir uns selbst Fesseln an, die uns im Wettbewerb mit anderen Staaten zurückfallen lässt. Alfa setzt sich für eine positive Grundeinstellung zu wissenschaftlich-technischem Fortschritt ein und ist die einzige Partei, die offensiv gegen die latente Verbotskultur in diesem Bereich vorgehen will.
Die AfD-Chefin Frauke Petry beharrt allerdings darauf, dass die AfD heute immer noch inhaltlich da stehe, wo sie bei ihrer Gründung 2013 gestanden habe.
Das ist natürlich Quatsch. Petry und Pretzell haben die AfD in Essen ja ausdrücklich zur Pegida-Partei ausgerufen. Pretzell will auch das ganze Geldsystem in Frage stellen. Bizarre Verschwörungstheorien feiern fröhliche Urstände in der AfD. Das alles hat mit den AfD-Gründungsgedanken überhaupt nichts zu tun. Glauben Sie mir: Ich kenne die AfD wie kaum ein anderer und ich wäre wirklich nicht ausgetreten, wenn es nicht dramatische Veränderungen in ihrer politischen Ausrichtung gegeben hätte.
Die AfD – neue Volkspartei oder kurze Protestepisode?
Es steckt einiges von der Union früherer Zeiten in der Alternative für Deutschland (AfD). Nur in der Europapolitik grenzt sich die AfD klar von dem ab, was Helmut Kohl zu seinen Kanzlerzeiten wichtig war. Die AfD besetzt aber andere zentrale Themen der Union wie Familie, Kriminalität und Zuwanderung - Themen, wie sie die früheren Vorsitzenden von CDU und CSU, Helmut Kohl und Franz Josef Strauß, verkörperten: starke Polizeipräsenz, begrenzte Zuwanderung und ein Familienbild mit Vater, Mutter und Kindern. Die Warnungen der AfD vor einer Überlastung der Sozialsysteme durch Asylbewerber erinnern an die aufgeheizte Das-Boot-ist-voll-Debatte Anfang der 90er Jahre. Die AfD knüpft zudem an die konservative Gedankenwelt von Bundesministern wie Manfred Kanther (CDU) und Theo Waigel (CSU) an.
Doch. Auch heute sind das Schwerpunkte der Union. Doch die CSU war im Europa-Wahlkampf mit ihrer auf Ausländer gemünzten Parole „Wer betrügt, der fliegt“ und dem Herziehen über die EU-Kommission nicht erfolgreich. Und CDU und CSU bekamen unter Angela Merkel und Horst Seehofer bei der Bundestagswahl 41,5 Prozent - mit einer liberaleren Einstellung zu Homosexuellen, mit einer neuen Definition von Familie, aber ohne einen Law-and-Order-Mann als Bundesinnenminister. So machte die Union die Erfahrung, dass ein Kurs der Mitte mehr Stimmen bringt als das Beharren auf konservativen Positionen.
Die AfD setzt sich für mehr Basisdemokratie ein – und steht damit im Kontrast zur CDU. Einige ihrer Mitglieder stammen außerdem aus der Konkursmasse kleinerer rechter, liberaler und konservativer Parteien. Ehemalige Angehörige von NPD und DVU können dagegen nicht Mitglied der AfD werden. Im Osten wirbt die Partei um DDR-Nostalgiker, die zwar den Sozialismus nicht zurückhaben wollen, aber zum Beispiel Elemente des alten Bildungssystems gut finden.
Ja - auch wenn die CDU in Brandenburg und Thüringen trotz Stimmenverlusten an die AfD zulegen konnte. Erstens hat die Union durch ihren Wandel hin zu einer modernen, urbanen Partei eine Flanke an ihrem rechten Rand aufgemacht und könnte weiter Konservative, die in der Union keine Heimat mehr sehen, verlieren. Und zweitens wirbelt die AfD die Parteienlandschaft so durcheinander, dass die Machtoptionen für die Union schwinden. Eine Koalition mit der AfD schließt die CDU genauso aus wie mit der Linken, und auf die FDP kann sie nicht mehr zählen. Unabhängig davon, dass Schwarz-Grün im Bund ein Novum wäre, könnte es mit den Grünen knapp werden - wenn die AfD denn 2017 in den Bundestag einzöge. Bliebe ein Bündnis mit der SPD - das sollte aber aus Sicht beider Parteien kein Dauerzustand sein.
Nicht einheitlich. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagt: „Wir wollen die Wähler zurückgewinnen.“ Fraktionschef Volker Kauder (CDU) will die AfD ignorieren und sich mit ihren Politikern nicht einmal in eine Talkshow setzen. Wolfgang Bosbach vom konservativen „Berliner Kreis“ der CDU hält das für falsch. Viele Unionspolitiker raten inzwischen, sich intensiv mit der AfD auseinanderzusetzen. Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel ging im Brandenburger Wahlkampf deutlich auf die Grenzkriminalität ein, nachdem die AfD bei der Sachsen-Wahl damit punktete. Koalitionen mit der AfD schließt sie aber aus.
Die AfD stellt sich als Partei der braven Sparer und Steuerzahler dar, deren Wohlstand durch die Rettung maroder Banken und überschuldeter Euro-Länder gefährdet ist. Sie fordert, dass außer Flüchtlingen nur noch „qualifizierte und integrationswillige“ Ausländer nach Deutschland kommen dürfen und bemüht dafür gerne das Beispiel des Einwanderungslandes Kanada. Die AfD, die sich seit ihrem guten Abschneiden bei drei Landtagswahlen als „kleine Volkspartei„ bezeichnet, wettert gegen die in Deutschland inzwischen weit verbreitete Kultur der „politischen Korrektheit“. Ihrer Führungsriege gehören etliche Ex-Mitglieder von CDU und FDP an. Deshalb finden einige wertkonservative Wähler die Strategie der CDU, die AfD wie eine nicht-salonfähige Randgruppe zu behandeln, wenig glaubwürdig.
Nein. „Eintagsfliege“, „Protestpartei“ – diese Etiketten wurden der AfD in den ersten Monaten oft aufgeklebt. Doch im Gegensatz zu den Piraten, die sich lange vor allem der Selbstzerfleischung widmeten, halten sich die internen Streitereien noch im Rahmen. Außerdem hat sich die AfD rasch von einer Ein-Thema-Partei (Eurorettung) zu einer gemausert, die verschiedene Politikfelder besetzt.
Bei einem Vergleich der Programme fällt auf, dass die AfD in der Euro-Frage ihre Forderungen strikter formuliert; Alfa dagegen scheint erst einmal eine Anti-Griechenland-Partei zu sein. Warum so zurückhaltend?
An diesem Punkt zeigt sich, dass der AfD die wissenschaftliche Kompetenz fehlt. Frau Petry will ja den sofortigen Ausstieg Deutschlands aus dem Euro. Nur muss man sehen, dass dies europaweit zu einer Bankenkrise führen würde. Denn die D-Mark würde ja gegenüber dem Euro aufwerten. Das hätte die Konsequenz, dass jeder in der Rest-Euro-Zone sein Geld abheben würde, um es dann in D-Mark umzutauschen, gegebenenfalls durch deutsche Strohmänner. Einen solchen Aufwertungsgewinn von schätzungsweise 30 Prozent wird sich ja niemand entgehen lassen wollen. Das kann zum Kollaps des Finanzsystems in Europa führen. Deshalb ist es nicht verantwortbar, leichtfertig einen Euro-Austritt Deutschlands zu fordern, ohne zu wissen, wie es geht.
Sie schließen es aber auch nicht aus. In Ihrem Programm fordern Sie einen Grexit. Aber wenn das weiter verhindert wird, sind Sie auch für eine Rückkehr zur D-Mark beziehungsweise dafür, den gesamten Währungsraum aufzulösen.
Wir fordern, den Euro-Rettungsfonds ESM zu blockieren, um dann das Drohpotenzial zu haben, den Währungsraum insgesamt aufzulösen. Eine Euro-Auflösung wäre die optimale Lösung, aber es ist der schwierigste Weg. Technisch am einfachsten wäre es, wenn die Südländer aus dem Euro ausscheiden. Abwertungskandidaten profitieren schließlich auch von einem solchen Schritt.
„Es wäre konsequent, Schäuble würde zurücktreten“
Warum steht dann die Rückkehr zur D-Mark in Ihrem Programm, dann könnten Sie doch diese Forderung ganz fallen lassen.
Das ist für uns die letzte Option. Sie erfordert Kapitalverkehrskontrollen und eine Einschränkung des Bargeldumtauschs. Aber wir können nicht ganz auf sie verzichten, weil das Gebot zu respektieren ist, dass der Euro eine Stabilitätsgemeinschaft sein soll. Wenn das nicht der Fall ist und der Euro zur Weichwährung wird, hat schon das Bundesverfassungsgericht eindeutig festgestellt, dass Deutschland dann das Recht hat, den Euro zu verlassen. Es ist aber technisch ein sehr schwieriger Schritt und ich würde ihn gerne vermeiden. Es sollen die gehen, die das Problem mit dem Euro haben.