Alternative für Deutschland Die AfD muss auf schlechte Nachrichten hoffen

Die Alternative für Deutschland darf zu den Bundestagswahlen antreten. Parteichef Lucke will jetzt ihren Bekanntheitsgrad steigern, um die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen. Doch der Erfolg ist vor allem von äußeren Umständen abhängig.

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Bernd Lucke, Quelle: REUTERS

Bernd Lucke darf ein wenig aufatmen. Das schlimmste anzunehmende Unglück für seine „Alternative für Deutschland“ ist nicht eingetreten. Der Bundeswahlausschuss hat am Donnerstag die AfD als Partei anerkannt. Sie kann also zu den Bundestagswahlen am 22. September antreten, wenn sie bis zum 15. Juli in den Bundesländern jeweils 2000 Unterstützungsunterschriften oder die von einem Tausendstel der Wahlberechtigen vorlegt. Wie Lucke - seit dem Gründungsparteitag am 14. April Vorsitzender - sagt, wird es daran nicht scheitern.

Die Chancen der neuen Partei, in den Bundestag einzuziehen, scheinen derzeit allerdings geringer als die Zuversicht, die Lucke verbreiten möchte. In den Wahlumfragen der letzten Wochen pendelt die AfD ziemlich konstant zwischen zwei und drei Prozent, jedenfalls unterhalb der entscheidenden Fünf-Prozent-Hürde. Die anfängliche Euphorie der Eurorettungskritiker, die im März bei der ersten Versammlung in Oberursel und dem Gründungsparteitag in Berlin spürbar war und ein sehr großes Echo in allen Medien erfuhr, scheint nicht bis in die Breite der Gesellschaft vorgedrungen zu sein.

„Unser Bekanntheitsgrad ist noch unzureichend“, sagt Lucke. „Uns kennt vielleicht ein Fünftel der Bevölkerung.“ Dieses Manko allerdings ist für Lucke zugleich auch ein Grund für berechtigte Hoffnungen. Denn die Parteigründung hat zwar in renommierten Medien Aufmerksamkeit erfahren, aber ein öffentlichkeitswirksamer Wahlkampf fand bisher noch überhaupt nicht statt. „In den vergangenen zwei Monaten waren wir vor allem damit beschäftigt, die Landesverbände zu gründen und die Wahllisten aufzustellen“, sagt Lucke. Aber damit sei man nun fertig. „Wir müssen jetzt unseren Bekanntheitsgrad verdoppeln oder verdreifachen. Und wenn man dann die zwei bis drei Prozent der Umfragen verdoppelt oder verdreifacht, sind wir im Bundestag.“

Die Rechnung könnte durchaus aufgehen. Sie ist allerdings von Unsicherheitsfaktoren abhängig. Zunächst einmal davon, dass klassische Methoden des Wahlkampfes – Kundgebungen, Stände in Fußgängerzonen, Plakate – immer weniger Einfluss auf die Wähler haben. Außerdem ist das Risiko, sich bei diesen Aktivitäten zu blamieren oder unbeachtet zu bleiben für neue Parteien ohne Erfahrung sehr groß.

Neue Parteien haben es in Deutschland ohnehin besonders schwer. Das liegt einerseits am Parteiengesetz, das den etablierten sehr große Vorteile verschafft: Wahlkampfkostenerstattung erhalten nur Parteien, die in der Gesellschaft „verwurzelt“ sind, also bereits in Parlamenten vertreten sind. Neulinge müssen allein mit Mitgliedsbeiträgen und Spenden auskommen. Sie können sich also allenfalls einen sehr kleinen Stab von hauptamtlichen Mitarbeitern leisten. „Eines unserer großen Probleme ist die mangelnde Professionalität“, gibt auch Lucke zu. „Die Organisation eines Wahlkampfes kann man als Neuling nur mit ehrenamtlichen Helfern einfach nicht optimal bewältigen.“ Entscheidend wird sein, ob die Amateure der AfD gegenüber den Profis der etablierten Parteien gerade deswegen sympathisch oder eher unbeholfen und peinlich erscheinen.

Zu den strukturellen Nachteilen der Neulinge kommt ein vielleicht noch entscheidenderes Handicap. Neue Parteien stehen in Deutschland generell unter Verdacht mangelnder Verantwortungsfähigkeit. Das übergroße Misstrauen gerade bürgerlicher Wähler gegen vorgebliche Populisten in Deutschland, fraglos ein historisches Erbe der Erfahrungen mit den Meistern der Volksverblendung vor 1945, hat schon zahlreiche politische Neugründungen nach erstaunlichen Anfangserfolgen im Orkus der Parteiengeschichte verschwinden lassen. Wer erinnert sich noch an die Statt-Partei?

Nachteile für neue Parteien in Deutschland

Die größten Euro-Gegner
Hans-Olaf Henkel war Industrie-Chef und sieht Europa durch den Euro bedroht. Die aktuelle Krisenbewältigung schränke die Demokratie in den Eurostaaten erheblich ein. Henkel hofft auf ein Einlenken der Bundeskanzlerin. "Die Bereitschaft der Deutschen, weitere Griechenland-Rettungspakete und demnächst Portugal und Italien zu finanzieren, ist weniger verbreitet als die Bereitschaft, die Kernenergie zu unterstützen. Das heißt: Wenn Angela Merkel beim Euro eine Art Fukushima-Effekt erlebt, dann traue ich ihr zu, blitzschnell den Kurs zu ändern", sagte Henkel im Interview mit der WirtschaftsWoche. Quelle: AP
Der Ökonom und Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Hans-Werner Sinn hält viele Euro-Mitgliedsländer für nicht wettbewerbsfähig. Er plädiert für einen Ausschluss Griechenlands aus der Währungsunion und warnt eindringlich vor einer Bankenunion und Eurobonds. Im vergangenen Jahr hat er einen Brandbrief von rund 200 deutschen Ökonomen mitunterzeichnet. Innerhalb der Bundesregierung hat er sich damit keine Freunde gemacht. Doch das wird Sinn nicht stören. Einer, der den ifo-Chef gut kennt sagte, "Sinn würde zu seinen Thesen stehen, auch wenn andere daran zweifeln". Bevor Sinn sich und seine Thesen präsentiert, bereitet er sich stundenlang vor und feilt an seinen Formulierungen. Quelle: dapd
Alexis Tsipras ist Vorsitzender des griechischen Links-Bündnisses "Syriza" und der mächtigste Kritiker der griechischen Regierung. Er ist strikt gegen das Sparprogramm, das sein Land mit den internationalen Geldgebern verhandelt hat. Sein jüngster Vorschlag: Die griechische Regierung solle schlichtweg die Gespräche mit der Troika (IWF, Europäische Kommission und Europäische Zentralbank) verweigern. Die fortschreitende Privatisierung von Staatsbetrieben will Tsipras eigenen Worten zufolge "kriminalisieren". Die griechische Regierung soll im Eiltempo öffentliche Unternehmen verkaufen. Bei der Wahl im vergangenen Jahre erreichte seine Partei 17 Prozent der Stimmen und wurde zweitstärkste Kraft im Land. Umfragen sehen Tsipras inzwischen noch stärker. Quelle: dapd
Peter Gauweiler ist CSU-Politiker und profiliert sich vor allem als Euro-Skeptiker. Er stimmt gegen den Eurorettungsschirm und möchte die "Grenzüberschreitung" bei den europäischen Verträgen verhindern. Gauweiler war Mitkläger gegen die Euro-Hilfen, die vom Verfassungsgericht aber bestätigt wurden. Der CDU-Politiker befürchtet, dass sich die Ereignisse bei den Rettungsversuchen "überschlagen". Deshalb wisse er auch nicht, ob Angela Merkel selbst am Rettungsschirm weiterhin festhalten werde. Quelle: dpa/dpaweb
Silvio Berlusconi ist Unternehmer und ehemaliger italienischer Ministerpräsident. Bei den Parlamentswahlen in Italien holte er fast 30 Prozent der Stimmen und konnte so eine linke Regierung verhindern. Berlusconi punktete im Wahlkampf mit dem Versprechen, die Sparprogramme seines Vorgängers Mario Monti rückgängig zumachen. Auch für seine populistischen Thesen gegen den Euro erhielt er Applaus. Den Euro zu verlassen, sei keine Blasphemie, sagt Berlusconi. Quelle: REUTERS
Timo Soini ist Mitglied des Europaparlaments und Präsident der Partei "Basisfinnen". Sie lehnt Finanzhilfen für Griechenland ab. Mit seiner Euro-skeptischen Haltung weiß Soini viele seiner Landsleute hinter sich. In Finnland wächst die Sorge, dass die wohlhabenden Länder Europas den Süden dauerhaft alimentieren müssen.
Der Chef der rechtspopulistischen niederländischen Partei für die Freiheit (PVV) Geert Wilders hat sich erfolglos am Euro abgearbeitet. Er geißelte die Sparregeln als "ein Diktat Brüssels", an denen sich jedes Land kaputtspare. Doch bei den Wahlen im September 2012 wurde Wilders von den Bürgern abgestraft und flog aus der Regierung. Quelle: REUTERS

Das Misstrauen gegen angebliche Populisten ist in manchen Redaktionen und bei besonders eifrigen Bloggern längst in eine Lust an der Diffamierung umgeschlagen. „Da wird jeder kleinste Vorfall aufgeblasen“, sagt Lucke. Um sich zu empören, reicht manchem medialen Sittenwächter schon ein vereinzeltes AfD-Mitglied, das vor 25 Jahren einmal Mitglied bei den Republikanern war.

Wenn konservative neue Parteien beim Wähler erfolgreich waren und in Parlamente einzogen, waren in den vergangenen Jahrzehnten allenfalls Landtagswahlen. Ein überschaubares Wahlgebiet wie Bremen oder das Saarland können auch unprofessionelle Laien-Wahlkämpfer einigermaßen flächendeckend beackern. Zudem neigen auch bürgerliche Wähler bei Landtagswahlen eher dazu, den etablierten Parteien einen Denkzettel zu verpassen, weil sie davon ausgehen, dass die Neulinge auf Landesebene nicht viel Unheil anrichten können.

Die wichtigsten Köpfe in der AfD

Das zentrale Leitthema der AfD jedoch ist ganz eindeutig eines von nationaler und sogar internationaler Bedeutung. „Unser zentrales Thema, also die Kritik an der Eurorettungspolitik der Bundesregierung und den enormen fiskalischen Lasten, die auf uns zukommen, ist kein Thema für eine Landtagswahl“, gibt Lucke selbst zu. Das Programm der AfD in landespolitischen Themen, zum Beispiel „Bildung als Kernaufgabe der Familie zu fördern“, wird bisher öffentlich kaum wahrgenommen.     

Ein weiterer unsicherer und von der AfD selbst nicht zu beeinflussender Faktor für Erfolg oder Nichterfolg bei den Wählern ist die Nachrichtenlage. Die Aufmerksamkeit für die vor allem als Anti-Euro-Partei wahrgenommene AfD leidet derzeit darunter, dass die Eurokrise seit einigen Wochen durch andere Großereignisse aus den Schlagzeilen verdrängt wird. Das allerdings könnte sich sehr schnell wieder ändern – die jüngsten Nachrichten aus Griechenland und anderen Staaten lassen das erwarten.

Angela Merkels CDU und alle etablierten Parteien haben ihr Schicksal letztlich mit dem Erfolg der gigantischen Banken- und Staatsrettungsaktionen in der Eurozone verknüpft, oder zumindest dem Verhindern der totalen Katastrophe in näherer Zukunft. Wenn ein großer Teil der Wähler bis zum 22. September den Eindruck gewinnen sollte, dass all das nicht fruchtet und die bevorstehende Katastrophe eine Folge der bisherigen Politik ist, könnte das auch im politisch eingeschläferten Deutschland für Aufruhr sorgen. Wenn die deutschen Wähler merken, dass die Politik aller etablierten Parteien auf eine gigantische Umverteilungsaktion zu ihren Ungunsten hinausläuft, könnte die Stunde der AfD vielleicht doch noch kommen.

Wie auch immer man die neue Partei und ihre Protagonisten bewertet. Im Interesse der demokratischen Kultur in Deutschland wäre es wünschenswert, dass im Parlament eine grundlegende Opposition zur Allparteienkoalition der Euroretter hörbar würde. Deutschland ist hier bisher eine unrühmliche Ausnahme in Europa.

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