Seit Monaten reden SPD und Union über die Rente. Jetzt, da die Koalition das emotionsgeladene Thema gründlich anpacken will, wird der Ton zwischen Schwarz und Rot schärfer. Doch trotz nahendem Wahlkampf zeichnet sich ab: Ein bisschen was geht womöglich noch bei Schwarz-Rot.
SPD-Chef Sigmar Gabriel macht den Antreiber. Ob er die Sozialdemokraten als Kanzlerkandidat zur Bundestagswahl führen will, will er zwar erst nächstes Jahr sagen. Aber dass der Kampf um eine Mindestrente zentrales Wahlkampfthema werden soll, wenn die Union hier nicht vorher noch mitmacht, kündigte Gabriel schon mal an. Die SPD dürfe keine Altersarmut akzeptieren.
„Für Panikmache gibt es wirklich keine Grund“, hält dem CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn entgegen. „Nur gut 3 Prozent der Über-65-Jährigen sind auf Grundsicherung angewiesen, während die Armut von Kindern bei 16 Prozent liegt, die von Alleinerziehenden bei über 30 Prozent“, so der Finanzstaatssekretär.
Die Rentenversprechen - Was die Parteien vorhaben
CSU-Chef Horst Seehofer hatte die jüngste Rentendebatte angestoßen mit der Äußerung, dass die Riester-Rente gescheitert sei und die Kürzung des Rentenniveaus die Hälfte der Bevölkerung in die Sozialhilfe führen würde. Doch ist das nicht Unionslinie. Der Unionsmittelstand fordert sogar eine Stärkung der Riester-Rente. Nach allem, was man hört, könnte die Union im Wahlkampf für ein behutsames Nachsteuern beim Rentenniveau eintreten. Das Verhältnis von Einkommen zur Rente soll wohl doch nicht auf 43 Prozent sinken können, so wie derzeit bis 2030 erlaubt. Die Union will wohl auch die Eigenvorsorge stärken. Diskutiert wird, den Bürgern ein Einheitsprodukt anzubieten.
SPD-Chef Sigmar Gabriel will verhindern, dass die Renten sich zu stark vom Einkommen abkoppeln. Menschen mit kleinem Lohn dürften im Alter nicht reihenweise auf Sozialhilfe angewiesen sein. Im Wert der Rente spiegelt sich für Gabriel auch der Wert der Arbeit. Doch die Reformagenda 2010, die auch die Rente bezahlbar halten sollte, dürfte die SPD nicht komplett zurückdrehen. Die öffentlich geförderte private Zusatzvorsorge abschaffen will die SPD auch nicht. Man will sich aber mehr um das Wohl älterer Arbeitnehmer kümmern.
Um Renten armutsfest zu gestalten, soll nach dem Willen der Partei das Rentenniveau von heute 48 Prozent wieder auf das Niveau vor den Rentenreformen der vergangenen Jahre steigen - auf 53 Prozent. Niemand dürfe nach 40 Beitragsjahren mit einer Rente über Grundsicherung abgespeist werden.
Auch die Grünen wollen, dass die Rente vor Altersarmut schützt. Sie sprechen von einem Rentenniveau von nicht unter 46 Prozent. Geringe Rentenanwartschaften sollen mit einer steuerfinanzierten Garantierente aufgewertet werden. Die rund 2,3 Millionen Selbstständigen ohne obligatorische Alterssicherung sollen verpflichtend in der Rentenversicherung aufgenommen werden.
Die Liberalen wollen flexiblere Renteneintritte möglich machen und Hinzuverdienstgrenzen neben dem Rentenbezug aufheben. Sie treten dafür ein, bei der Grundsicherung im Alter einen Freibetrag für Einkommen aus privater und betrieblicher Altersvorsorge nicht anzurechnen. FDP-Chef Christian Lindner schlug die Zusammenlegung der Grundsicherung im Alter mit der Rente vor.
AfD-Parteichef Jörg Meuthen hatte eine Rente nach Schweizer Modell vorgeschlagen - dort gibt es drei Säulen: die gesetzliche Rentenversicherung, eine kapitalgedeckte Arbeitnehmerversicherung und geförderte Anlagen in private Rentenversicherungen.
Tatsächlich geht es vielen der mehr als 20 Millionen Rentnern heute nicht schlecht. Das Haushaltseinkommen liegt im Schnitt bei 2543 Euro netto bei Ehepaaren im Monat, bei 1614 Euro bei alleinstehenden Männern und 1420 Euro bei Frauen. Gesetzliche Rente, private Vorsorge, Zins- und Mieteinnahmen sowie Erwerbseinkommen kommen zusammen.
Tun soll sich aber etwas für die, denen es nicht so gut geht. Das hört man aus SPD und Union von vielen Seiten. Das sind vor allem Erwerbsgeminderte, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können und dann oft auf Grundsicherung angewiesen sind. „Ich wünsche mir zumindest Verbesserungen bei den Zurechnungszeiten“, sagt die SPD-Sozialpolitikerin Katja Mast. Die Rentenanwartschaften könnten bei frühem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben also stärker als bisher aufgestockt werden.
Schwieriger wird es bei langjährigen Geringverdienern. Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) will einen neuen Vorschlag machen - die Lebensleistungsrente aus dem Koalitionsvertrag ist längst vom Tisch. Mit ihr sollten Kleinrenten aufgestockt werden, doch viele Kleinrentner sind nicht arm. Nur 6,1 Prozent der Rentner mit Bezügen bis zu 600 Euro, knapp 400 000 Menschen, beziehen Grundsicherung. Im Gespräch sind nun etwa aus Steuermitteln finanzierte Zuschläge für arme Kleinrentner.
Heikel ist auch die Ost-West-Angleichung bei der Rente. Denn kommt sie schnell, kostet die Anhebung der Ostrenten auf Westniveau zunächst Milliarden. Offen ist, ob Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) doch noch bereit ist, dafür Steuermittel frei zu machen. Künftige Ostrentner müssten jedenfalls geringere Bezüge hinnehmen. Noch werden ihre oft geringeren Löhne bei der Rentenberechnung aufgewertet. Kommt die Renteneinheit langsam, leidet das Ansehen der Politik bei vielen im Osten wohl weiter.
Rentenprognosen für 2040
Die vorliegenden Berechnungen stammen aus der Studie "Rentenperspektiven 2040" von Prognos. Die Prognosen beziehen sich jeweils auf zwei Kreise im Vergleich zum Bundesdurchschnitt. Berechnet wurden jeweils die durchschnittliche Bruttorente für sechs typisierte Erwerbsbiografien. Erwerbslücken aufgrund von Kindererziehungszeiten weisen in diesem Beispiel zwei Erwerbsbiografien auf. Gerechnet wurden die Prognosewerte ohne Inflationsanpassung, das heißt nach dem Preisniveau in Euro aus dem Jahr 2015 um die Zahlen mit heutigen Werten vergleichbar zu machen. Nominal dürften die zukünftigen Renten und Einkommenshöhen 2040 entsprechend höher liegen. Der Kaufkraftvergleich steht im Zentrum der Betrachtung.
Stand: 12.11.2015
Bruttorente (€) | Bruttorentenniveau |
1678 | 38,90 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Hamburg | 2726 | 2383 | 33,5 % |
Schwerin | 2291 | 2343 | 33,6 % |
Bund | 2597 | 34,0 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Halle | 2045 | 2158 | 35,8 % |
Saalekreis | 2191 | 2463 | 34,4 % |
Bund | 2324 | 36,9 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Berlin | 1451 | 1369 | 35,3 % |
München | 1452 | 1113 | 34,4 % |
Bund | 1456 | 35,4 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Hildesheim LK | 1083 | 1174 | 52,0 % |
Konstanz LK | 1086 | 1026 | 50,9 % |
Bund | 1095 | 50,8 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Hohenlohekreis | 2579 | 2658 | 34,1 % |
Merzig-Wadern | 2391 | 2439 | 35,5 % |
Bund | 2366 | 33,6 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Bonn | 1611 | 1506 | 42,1 % |
Köln | 1620 | 1473 | 41,8 % |
Bund | 1612 | 39,7 % |
Fertig ist ein Gesetzentwurf zur weiteren Verbreitung der Betriebsrenten - doch auch hier wird hinter den Kulissen noch verhandelt. Der Arbeitnehmerflügel der CDU will Nachbesserungen.
Noch diffiziler ist die von Nahles gewollte bessere Absicherung von Selbstständigen. Spahn mahnt: „Wenn wir eine zu hohe Mindestabsicherung einfordern von 200, 300 oder 400 Euro im Monat, zwingen wir viele Kioskbesitzer, Taxifahrer und viele andere, die im Monat nur 1000 Euro übrig haben, zur Aufgabe ihrer Selbstständigkeit.“ Nicht offiziell abgeräumt ist auch die Forderung von CSU-Chef Horst Seehofer nach mehr Mütterrente.
Es gibt also reichlich Konfliktstoff - bis Kanzlerin Merkel, Seehofer, Gabriel, Nahles und Schäuble bei ihrem Rentengipfel am Donnerstag überhaupt zur Kernfrage kommen. Hauptsächlich in den Fokus gerückt ist in den vergangenen Wochen die Ankündigung einer „doppelten Haltelinie“ von Nahles und Seehofer.
Nahles will eine Mindestgrenze beim Rentenniveau für 2045 nennen - aber ohne Explosion der Beiträge. Ohne Reformen dürfte das Verhältnis der Rente zum Durchschnittslohn laut Regierung bis dahin von heute 48 auf 41,6 Prozent fallen, die Beiträge von 18,7 auf 23,4 Prozent steigen. Ein Prozentpunkt Rentenniveau mehr oder weniger kostet rund 6 Milliarden Euro. Unionsforderungen, das Rentenalter an die Lebenserwartung zu koppeln, lehnt die SPD ab.
Wie kann die Politik hier Leitplanken setzten? Der Präsident der Deutschen Rentenversicherung, Axel Reimann, erwartet keine schnelle Lösung. „Wo genau diese Leitplanken liegen sollen, wird letztlich ein Ergebnis des gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses sein.“
Nahles will offene Fragen in einem eigenen Rentenkonzept beantworten - einen Wahlkampf übers Rentenniveau lehnt sie ab. Da kommt es wohl gerade recht, dass die Union mit einer neuen Rentenkommission liebäugelt. Erstmal sollen Experten über Monate die heikle Angelegenheit beraten.