Der Gläubigerausschuss der bankrotten Nürburgring GmbH tagte und tagte und tagte, drei Verlängerungen später war die Überraschung perfekt: Nicht der favorisierte Finanzinvestor HIG Capital macht das Rennen um den Nürburgring, sondern der Außenseiter Capricorn. Der Zuschlag im Bieterverfahren geht somit an einen mittelständischen Automobil- und Motorsportzulieferer aus Düsseldorf, der mit seinen rund 350 Mitarbeitern kaum größer ist als die Nürburgring GmbH selbst mit knapp 300 Angestellten. Doch die Capricorn-Crew um Geschäftsführer Robertino Wild glaubte stets an ihre Chance und war fest entschlossen, sie zu nutzen.
„Wir haben bis zuletzt mit Hochdruck gearbeitet“, sagt Axel Heinemann, dessen Firma GetSpeed (sie ist ebenfalls im Motorsport zuhause) gemeinsam mit Capricorn hinter dem Angebot steht. Das Capricorn-Getspeed-Duo arbeitete lange am Finanzierungskonzept für den kühnen Plan und schien deswegen schon ins Hintertreffen geraten zu sein. Die Mühen haben sich jedoch gelohnt: Capricorn gab auf den entscheidenden Metern HIG Capital das Nachsehen und bekam den Zuschlag, ab dem 1. Januar 2015 den Nürburgring zu übernehmen – vorausgesetzt, die EU-Kommission segnet den Deal ab.
Viele Verlierer
Neben den strahlenden Siegern gibt es allerdings jede Menge Verlierer. Da ist zuallererst HIG Capital. Der Finanzkonzern aus Miami wähnte sich selbst schon als Sieger und wurde von der Niederlage völlig überrascht. Offiziell äußerte sich HIG zwar nie zum Bieterverfahren, aus Verhandlungskreisen war allerdings zu hören, dass HIG sich die Herausforderung Nürburgring zutraute, dem kleinen Konkurrenten Capricorn dagegen nicht.
Zumal HIG mit mehr als 15 Milliarden US-Dollar verwaltetem Vermögen nicht nur finanzstark ist, sondern auch zwei Motorsport-erprobte Partner ins Boot geholt hatte: Den britischen Investmentbanker und Rennfahrer Meyrick Cox sowie Marcus Graf von Oeynhausen-Sierstorpff, einen der beiden Chefs der 2013 eröffneten Rennstrecke am Bilster Berg. Das Konsortium gab sich nach der Niederlage noch zugeknöpfter als ohnehin und kommentierte den Ausgang des Bieterverfahrens auf Nachfrage nicht.
Zu den Verlierern zählen aber auch Insolvenz-Sachwalter Jens Lieser aus Koblenz und Sanierungsgeschäftsführer Thomas Schmidt aus Trier, die gemeinsam mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG für den Verkaufsprozess verantwortlich waren. Gleich dreimal musste ihr Sprecher Pietro Nuvoloni den Beginn der Pressekonferenz verschieben.
Der Grund war hausgemacht: Der Gläubigerausschuss wollte nicht einfach so durch den Reifen springen, den die Insolvenzverwalter ihm vorhielten.
Der erzielte Preis ist ernüchternd
Erst am Montagnachmittag erfuhren die Mitglieder des Gläubigerausschusses überhaupt von der Sitzung Dienstagfrüh, keine 24 Stunden vorher. Was sie dort genau erwarten würde, wussten die Ausschussmitglieder auch nicht, der Tagesordnung konnten sie lediglich entnehmen, dass es um den Verkauf des Nürburgrings gehen würde. Ebenfalls nicht vorab informiert wurde der Gläubigerausschuss über die Tatsache, dass von den Insolvenzverwaltern schon für Dienstag um 14 Uhr eine Pressekonferenz anberaumt wurde, auf der der Käufer der Öffentlichkeit präsentiert werden sollte.
Nach einem zehn Monate andauernden Verkaufsprozess, begleitet von heftigen öffentlichen Diskussionen und mehreren Protestaktionen, sollte der Gläubigerausschuss also ohne Vorbereitung in einer eilig einberufenen Sitzung innerhalb weniger Stunden zu einem Ergebnis kommen. Ein ziemlich fragwürdiger Umgang der Insolvenzverwalter mit dem Gremium.
Denn der Gläubigerausschuss ist kein Stimmvieh. Er soll laut Insolvenzordnung den Sachwalter in seiner Arbeit unterstützen, ihn aber auch überwachen. Zudem ist der Nürburgring-Kauf rechtlich ziemlich vertrackt. Kein Wunder, dass sich nicht alle Mitglieder einen Schweinsgalopp im Ungefähren gefallen ließen.
Lieser und Schmidt: „Eindeutiges“ Ergebnis
Dem Vernehmen nach soll es hitzige Diskussionen gegeben haben, sogar eine Vertagung der Entscheidung stand offenbar zur Debatte. Am Ende blieb es aber bei einer üppigen Verlängerung – und einem Ergebnis, das offensichtlich nicht einstimmig ausfiel. Lieser und Schmidt sprachen von einem „eindeutigen“ Ergebnis, mehrere Nachfragen dazu blockten sie ab.
Auch der erzielte Preis ist ernüchternd. Lieser, Schmidt und Nuvoloni verkündeten zwar ein Transaktionsvolumen von „über 100 Millionen Euro“, doch ein ordentlicher Batzen ist gar nicht Teil des Verkaufspreises. 25 Millionen will Capricorn in den Ring investieren, auf dem Preisschild für den Erwerb stehen dagegen nur 77 Millionen Euro. Das ist zwar mehr, als vorübergehend diskutiert wurde, aber trotzdem deutlich weniger als der dreistellige Millionenbetrag, der Lieser und Schmidt anfangs vorschwebte. Zwischenzeitlich ließen sie sich sogar von einem 275-Millionen-Euro-Fantasieangebot aus Hongkong blenden.
Auf der Verliererseite steht schließlich auch die rheinland-pfälzische Landesregierung – obwohl sie sich nach außen alle Mühe gab zu betonen, dass sie mit dem Ablauf des Verkaufsverfahrens nichts zu tun hatte. Stattdessen zeigte sie stets auf die Insolvenzverwalter. Diese allerdings waren nach Informationen der WirtschaftsWoche mehrfach in der Mainzer Staatskanzlei – auch wenn die Staatskanzlei es auf Anfrage im Februar ablehnte, konkrete Termine zu bestätigen. Sie räumte dabei allerdings ein, dass Mitglieder der Landesregierung „in regelmäßigem Austausch mit der Sanierungsgeschäftsführung und Sachwalter“ stünden.
Massive Fehlinvestitionen aus Ära Kurt Beck
Der Kaufpreis von 77 Millionen Euro ist auch für die Landesregierung kümmerlich. Denn er reicht nicht annähernd aus, um die Fehlinvestitionen aus der Ära Kurt Beck (SPD) auszugleichen. Bei der EU-Kommission läuft ein Verfahren wegen vermuteter Beihilfen des Landes in Höhe von einer halben Milliarde Euro. Allein 330 Millionen Euro davon flossen in einen 2009 eröffneten Freizeitpark mit Achterbahn, Veranstaltungshallen, der Shopping-Mall „Ring Boulevard“ sowie Hotels, Restaurants, Disco und Ferienhaus-Dorf. Die Bauten waren der wesentliche Grund für den Bankrott der Nürburgring GmbH, die zu 90 Prozent dem Land Rheinland-Pfalz und zu zehn Prozent dem Landkreis Ahrweiler gehört.
Für die derart teuer errichteten Spaßbauten sind 77 Millionen Euro ein Schnäppchenpreis – erst Recht, wenn es dazu auch noch das Tafelsilber der beiden Rennpisten Nordschleife und Grand-Prix-Strecke obendrein gibt. Noch peinlicher wird es für das Land, wenn der Käufer Capricorn ankündigt, die kostspielige Achterbahn verschenken zu wollen und den für viel Geld errichteten Verlustbringer „Grüne Hölle“ mit Hotel, Disco und diversen Restaurants gleich ganz abzureißen.
Die aktuelle rot-grüne Landesregierung um Kurt Becks Nachfolgerin Malu Dreyer und den für den Nürburgring zuständigen Innenminister Roger Lewentz (beide SPD) kann bei derartigen Nachrichten froh sein, dass sie sich wenigstens nicht für einen Billig-Verkauf an einen Finanzinvestor rechtfertigen muss. Mit dem Verkauf an Capricorn ist nach Ansicht von Dreyer ein Neustart möglich. Der Verkauf könne den Nürburgring wieder aufwerten, sagte sie am Mittwoch. Mit Blick auf den Freizeitpark räumte sie frühere Fehler der SPD-Landesregierung ein: „Zu groß, zu viel, mit handwerklichen Fehlern ist gebaut worden.“ Sie betonte: „Wir bedauern das.“ Nach dem Verkauf sieht sie aus der Region nicht nur schlechte Rückmeldungen: „Es gibt auch ein großes Aufatmen.“
„Legenden verkauft man nicht!“
Unangenehm für die Mainzer Politik ist jedoch auch, dass von den 77 Millionen Euro nur eine wesentlich geringere Summe an das Land zurückfließen wird. Das Land ist zwar Hauptgläubiger, allerdings wollen auch noch einige andere Gläubiger ihren Anteil. Zudem müssen aus dem Erlös noch die Kosten des Insolvenzverfahrens und des Verkaufsprozesses beglichen werden. Für eine Schlussabrechnung ist es fraglos noch zu früh, doch Beobachter halten es für nicht ausgeschlossen, dass am Ende nur 50 Millionen Euro oder sogar noch weniger in die Landeskasse fließen werden.
Bleibt noch die Frage, wo die Verkaufsgegner einzusortieren sind, die sich etwa im gemeinnützigen Verein „Ja zum Nürburgring“ um ADAC-Ehrenpräsident Otto Flimm sowie in der Initiative „Wir sind Nürburgring“ organisiert haben. Auf den ersten Blick zählen auch sie zu den Verlierern, doch hier ist die Situation vielschichtiger. Vor dem Koblenzer Hotel, in dem die Verkaufs-Pressekonferenz stattfand, protestierte ein kleines Grüppchen mit „Legenden verkauft man nicht!“-Plakaten.
Ihre größte Sorge war indes, dass mit HIG ein Finanzinvestor den Ring übernehmen und wie eine Zitrone ausquetschen könnte. In den Unmut darüber, dass der Ring überhaupt verkauft wird, mischte sich bei manchen der Demonstranten aber auch spürbare Erleichterung, dass wenigstens das aus ihrer Sicht schlimmste Szenario nicht eingetreten war.
Verfahren bei EU-Kommission ist ein Risiko
Über allem schwebt derweil allerdings noch das Verfahren bei der EU-Kommission. Für die Verkaufsgegner ist es ein Hoffnungsschimmer, zugleich ist es ein Risiko für den Sieger Capricorn, für die Insolvenzverwalter und die Landesregierung. Denn der Verkauf ist noch gar nicht durch: Die letzte Runde im Bieterverfahren wird in Brüssel gefahren. Wegen des laufenden Beihilfeverfahrens muss die EU-Kommission den Deal erst absegnen. Nur wenn das Verkaufsverfahren europarechtskonform abgelaufen ist, kann der Käufer sicher sein, dass die Beihilfen nicht auf ihn übertragen werden und er nicht mit einer Rückforderung in dreistelliger Millionenhöhe konfrontiert wird. Sollte das passieren, hätte Capricorn ein Rücktrittsrecht vom Verkaufsvertrag.
Die Zustimmung der Kommission wird kein Selbstläufer. Der ADAC, der selbst an einem Kauf der Rennstrecken interessiert war, hat sich bei der Kommission beschwert, ebenso „Ja zum Nürburgring“ – sie halten den Ablauf des Verkaufsprozesses für europarechtswidrig. Die Insolvenzverwalter Lieser und Schmidt sehen das anders. „Wir hoffen, dass es zeitnah, noch in der ersten Hälfte dieses Jahres, zu einer Entscheidung kommt“, sagte Schmidt bei der Verkaufs-Pressekonferenz. Und weiter: „Wir sind davon überzeugt, dass die Kommission zu einer positiven Entscheidung kommt.“
Finale Entscheidung erst im Herbst?
Bei ersterem zumindest liegen die Insolvenzverwalter mit ihrer Einschätzung vermutlich daneben. Die Kommission hat sich zwar noch kein fixes Zeitfenster gesetzt, es gibt allerdings ein aktuelles Schreiben des zuständigen Wettbewerbskommissars Joaquin Almunia an den CDU-Europaabgeordneten Werner Langen. Das Schreiben, abgeschickt am Montag dieser Woche, liegt der WirtschaftsWoche vor.
Eine Entscheidung noch vor der Sommerpause erscheint demnach wenig wahrscheinlich. „Die finale Entscheidung könnte vor Oktober dieses Jahres ergehen“, deutet Almunia in dem Brief an, „vorausgesetzt, dass die deutschen Behörden im erforderlichen Umfang mit der Wettbewerbsdirektion kooperieren.“ Eines stellt Almunia auch klar: Dass die Beschwerde vor einer Entscheidung „sorgfältig analysiert“ werde.
Vom Ergebnis der Prüfung hängt für Lieser und Schmidt viel ab. Kippt die EU den Verkaufsprozess und verweigert die Zustimmung, haben sie eine kapitale Blamage hingelegt. Zu lange, zu öffentlich wurden die europarechtlichen Risiken diskutiert, als dass sie sich noch darauf berufen könnten, ein Einschreiten der Kommission sei völlig überraschend gekommen und nicht zu erwarten gewesen.
Sollte die Kommission dagegen grünes Licht geben, könnten Lieser und Schmidt trotz des wenig erbaulichen Verkaufserlöses sogar noch zu Capricorn auf die Gewinnerseite wechseln. Dann dürften sie sich auf die Fahnen schreiben, ein hoch komplexes Verkaufsverfahren im Spannungsfeld zwischen Europarecht und Insolvenzrecht, zwischen öffentlichen Diskussionen und politischen Interessen, erfolgreich über die Ziellinie gebracht zu haben.