Angela Merkel Die unbekannte Seite der Bundeskanzlerin

Das Private ist öffentlich – gerade bei der deutschen Bundeskanzlerin. Trotzdem bleibt viel von Angela Merkel im Verborgenen. In ihrem Buch „Fifty Shades of Merkel“ begibt sich die Autorin Julia Schramm auf Spurensuche.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Das sind die mächtigsten Politiker der Welt
Hier sind gleich zwei der Politiker versammelt, die das US-amerikanische Time Magazine 2015 zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt zählt: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der indische Ministerpräsident Narenda Modi bei der Eröffnung der Technologiemesse in Hannover. Während Modis Land in den vergangenen Jahren wirtschaftlich leichte Rückschläge gegenüber den vorherigen Boomjahren erlebt hat, führt Merkel eine der stärksten Volkswirtschaften der Welt an. Doch persönlich sind sich die beiden Politiker, die Time mit 29 anderen Persönlichkeiten in der Kategorie „Leader“ für ihre Verdienste ehrt, doch recht ähnlich. Während Modi sich aus einfachen Verhältnissen vom Teehändler zum Ministerpräsidenten hochgearbeitet hat, war auch Merkels Weg an die Macht alles andere als einfach. Sie hat zwei Systeme kennengelernt und den Sprung an die Schaltstellen der Gegenwart geschafft. Über Modi schreibt US-Präsident Barack Obama für Time: „Wie Indien selbst verkörpert er das Traditionelle und die Moderne gleichermaßen“. Ein Spagat, den auch Merkel in der Unionsfraktion immer wieder leisten muss. Quelle: dpa
Angela Merkel wird vom Time Magazine in diesem Jahr insbesondere für ihre Vermittlung im Ukrainekonflikt geehrt. Die CDU-Politikerin ist eine von weniger Europäern und die einzige Deutsche in der Liste. Die Laudatio auf Merkel schrieb der ukrainische Präsident, der sie für ihr Engagement lobte. Sie beherrsche es, „die Hebel der wirtschaftlichen Macht Deutschlands in diplomatische Macht umzuwandeln, um Sicherheitspolitik zugunsten der ganzen Welt voranzutreiben“. Quelle: REUTERS
Doch die Liste, die jedes Jahr von Redakteuren und Korrespondenten des Magazins zusammengestellt wird, enthält nicht nur etablierte Toppolitiker. Stattdessen werden auch Personen berücksichtigt, von denen künftig weltbewegendes Handeln erwartet wird. Dies dürfte der Grund für die Listung von Muhammad Buhari sein, dem frisch gewählten nigerianischen Präsidenten. Dem ehemaligen autoritären Führer und konservativen Politiker wird zugetraut, die Korruption in seinem Land einzudämmen und erfolgreich gegen den Terrorismus durch die Gruppe Boko Haram vorzugehen. Quelle: dpa
Buharis Gegenspieler ist Abubaker Shekau und auch er steht auf der Liste der wichtigsten politischen Führer im Jahr 2015: Der Anführer der Terrormiliz Boko Haram, hier bei einer Videobotschaft zu sehen, in der er im Vorfeld der Wahlen in dem afrikanischen Land allen Nigerianern droht, die nicht an Allah glauben. Es ist ein Charakteristikum der Times Liste, dass es nicht unbedingt eine Würdigung für positive Taten ist, aufgenommen zu werden. Stattdessen soll abgebildet werden, wer die Welt verändert. Und dazu zählt die Redaktion offenbar auch die Terrorgruppe um Shekau.
In diese Kategorie der wenig bewunderten, aber dennoch viel beachteten Personen auf der Time-Liste dürfte auch Kim Jong Un fallen. Der nordkoreanische Diktator hatte zu Beginn seiner Amtszeit vor etwa drei Jahren viele Hoffnungen auf Wandel in dem jahrzehntelang isolierten und autoritär geführten System geweckt. „Diese Hoffnungen sind unerfüllt verflogen“, schreibt Kang Cheol Hwan, ein nordkoreanischer Dissident und Direktor des südkoreanischen North Korea Strategy Centers. Die Öffnung, die einige erwartet haben, hat bisher nicht stattgefunden. Ob das an der eigentlichen Machtlosigkeit Kim Jong Uns liegt – einige vermuten, dass im Hintergrund andere die Strippen ziehen – oder ob der Jungdiktator selbst nicht von der provokativen Linie mit Militärmanövern und Raketentests abweichen will, ist unklar. Quelle: REUTERS
Auch er hat die Weltgemeinschaft in den vergangenen 16 Monaten seit Ausbruch der Ukrainekrise mehrfach zittern lassen: Wladimir Putin, russischer Präsident und Machtpolitiker suchte die Konfrontation mit dem Westen, indem er vor knapp einem Jahr die zuvor ukrainische Krim annektierte. Szenen wie hier 2013, als er Angela Merkel bei einem G20-Gipfeltreffen einen Mantel umlegte, gehören vorerst der Vergangenheit an. Das Verhältnis ist abgekühlt. Doch klar ist auch: Ohne die Supermacht Russland geht in der Weltdiplomatie nichts, ob mit Blick auf die Ukrainekrise oder auch mit Blick auf Streitthemen wie den Syrienkrieg oder das iranische Atomprogramm. Deshalb zählt Putin nach Ansicht des Time Magazine trotz aller Schwächung seines Landes in Zeiten der Sanktionen zu den wichtigsten politischen Führern 2015. Quelle: dpa
Er mischt die europäische Politik seit Anfang des Jahres enorm auf, hat den deutschen Finanzminister zu kaum gekannten Zornesausbrüchen getrieben und alle Blicke auf sein Land gelenkt: Zweifelsohne ist der griechische Regierungschef Alexis Tsipras eine der Personen in Europa, die das erste Quartal 2015 am stärksten geprägt haben. Ob er im Rahmen der griechischen Schuldenkrise eine tragische oder eine heldenhafte Rolle in der Geschichte einnehmen wird, muss sich erst noch weisen. In jedem Fall stellte er jahrelange Parolen europäischer Politiker von „alternativlosen“ Maßnahmen erstmals auf die Probe und begeisterte so auch viele Menschen. Quelle: AP

Julia Schramm reiste in die brandenburgische Uckermark genauso wie in die alte Bundeshauptstadt Bonn. Das Ziel lautete immer: Angela Merkel und ihr Weg von der Pfarrerstochter zur deutschen Bundeskanzlerin und zur mächtigsten Frau der Welt.

Ihr Buch „Fifty Shades of Merkel“ ist ein kurzweiliges Porträt geworden – 50 Kapitel, die zwar viel erzählen, was längst über die Kanzlerin bekannt ist. Doch Schramm hat auch Dinge ausgegraben, die längst nicht so präsent sind und eine unbekannte Seite der Kanzlerin beleuchten. Fünf Fakten im Überblick:

1.     Was Angela Merkel und Helmut Schmidt gemeinsam haben

Merkel und Altkanzler Helmut Schmidt sind beide in der Hansestadt Hamburg geboren und aufgewachsen. Bis heute spielt Hamburg eine wichtige Rolle in Angela Merkels Leben – es steht für sie „stellvertretend für den Westen“, wie Julia Schramm in ihrem Buch schreibt. Während die Familie schon in die DDR gegangen war, lebte ihre Großmutter noch lange in der Hansestadt und schickte regelmäßig Produkte aus dem Westen.

Zur Person

Hamburger gelten bis heute als „unterkühlt, distanziert, leise, vornehm, ohne machiavellistischen Machtinstinkt“: Eigenschaften, durch die sich auch die Kanzlerin auszeichnet, ebenso wie es Helmut Schmidt tat. Sind Merkel und Schmidt also zu denen geworden, die sie sind, weil sie in Hamburg geboren wurden? Es darf bezweifelt werden, dass es alleine an der Geburtsstadt gelegen haben mag: Aber beide prägten einen soliden und vernunftorientierten Politikstil, der zumindest durch ihre Herkunft geprägt sein kann. Und Helmut Schmidt wird durch sein Handeln in der Sturmkatastrophe von 1962 sicher Eindruck auf die damals noch junge Angela Merkel gemacht haben.

2.     Die schwierige Parteienkonstellation in der Familie

Es war keineswegs ein vorgezeichneter Weg, dass Angela Merkel einmal Mitglied der CDU und schließlich Parteivorsitzende würde. Mit dem Fall der Mauer beobachtete sie die sich neu formierende Parteienlandschaft – und ging zunächst zur SPD, wie Schramm in ihrem Buch aufzeigt. Dort habe ihr jedoch die Referentin nicht gefallen. Zudem sei ihr dort alles zu chaotisch gewesen. Auch das Genossen-Duzen habe ihr widerstrebt,  heißt es weiter. „Merkels Impuls, zur SPD zu gehen, zeigt ihre politische Flexibilität und vermutlich auch ihre damalige Unsicherheit.“

Dabei wäre es gar nicht verwunderlich gewesen, wäre Merkel Mitglied der SPD geworden: Ihre Mutter Herlind Kasner saß für die Sozialdemokraten im Kreistag, soll heute aber kein Mitglied mehr sein. Wie politisch Merkels Mutter ist, darüber kann nur spekuliert werden. Sie gibt kaum Interviews und manchmal scheint es fast so, als würde sie das ganze Bohei, das um ihre Tochter gemacht wird, nicht verstehen. In einem Interview sagte sie einmal: „Mit Stolz kann ich nichts anfangen, das ist keine Kategorie, in der mein Mann und ich denken“. Angela Merkels Vater starb im Jahr 2011. Ihr Bruder soll einst bei den Grünen gewesen sein.

Angela Merkel und ihre Familie

3.    Verschwiegenheit und Schweigen

Menschen, die Angela Merkel um sich herum hat, müssen schweigen können. Nicht nur ihre Mutter spricht kaum mit der Presse, auch von ihrem Bruder Marcus, der wie Merkel Physiker ist, gibt es nur ein Interview. Das Verhältnis zur berühmten Schwester beschrieb er in dem Gespräch mit der Berliner „Tageszeitung“ (Taz) als „unterkühlt“. Über Politik würden sie kaum sprechen. Über Schwester Irene ist zumindest so viel bekannt: Sie lebt als Ergotherapeutin in Berlin und ist laut Merkel „ihre Ratgeberin in Fragen, die nichts mit Politik zu tun haben.“

Im Berufsalltag hat die Bundeskanzlerin mit ihrer Büroleiterin und ihrer engen Vertrauten zwei Frauen um sich geschart, mit denen sie nicht nur schon lange zusammenarbeitet, sondern über die genauso wenig bekannt ist, wie über ihre Chefin selbst.

Buchcover Fifty Shades of Merkel Quelle: PR

Angela Merkel kann viel reden, wenn sie wirklich etwas erreichen will, wenn sie weiß, dass es wichtig ist. Ansonsten ist Schweigen für sie essentiell. Schweigen, sagte Merkel einmal in einem Interview mit Anne Will, bedeute viel für sie – Auszeit, Nachdenken, Vorbereiten, Vertrautheit, Bestrafung, Provokation, Machtwort, Ablehnung, Ignoranz.

4.    USA und Russland

Auf den ersten Blick scheint es, dass Russland der Kanzlerin näher liegen könnte als die USA. Die Kanzlerin spricht fließend Russisch, war in der Schulzeit sogar die beste Russisch-Schülerin der DDR. Der russische Präsident wiederum spricht fließend Deutsch – an sprachlichen Barrieren kann es also nicht liegen, dass sich beide nur mäßig gut verstehen und mittlerweile sogar zu Antagonisten werden, wie Schramm analysiert.

„Die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA sind eine feste Konstante jeder Kanzler_innenschaft. Ohne die USA geht es nicht“, schreibt sie. Und auch Merkel hat eine persönliche Vorliebe für die USA: „Grenzenlosigkeit, Freiheit, Wohlstand, Kapitalismus.“- Ideale, die auch die Kanzlerin vertritt. Deshalb seien ihr die USA viel näher als Frankreich oder andere Nationen.

Eine der ersten längeren Reisen Merkels nach dem Fall der Mauer ging in die USA, nach Florida. Bis heute fährt sie gern dorthin, wenn sie mal richtig weit weg sein will. Ansonsten ist bekannt, dass sie ihren Urlaub eher in den Bergen, vorzugsweise in Südtirol, verbringt.

5.    Fußball

Es wirkt zuweilen etwas unbeholfen, fast lustig, wenn Merkel im Stadion der deutschen Nationalmannschaft zujubelt. „Wenn Frauen Fußball mögen, ist das immer noch ein Politikum. Es existieren zahlreiche Theorien, warum Frauen angeblich Fußball mögen – nur der offensichtlichste scheint der Menschheit immer noch selten einzufallen: Sie mögen einfach Fußball“, heißt es in „Fifty Shades of Merkel“.

Die Bundeskanzlerin, die sich selbst als Sportmuffel bezeichnet, scheint Fußball wirklich zu mögen und den Besuch der Spiele nicht als reine Pflichterfüllung zu sehen. Und das schon, bevor sie Kanzlerin wurde: 1974 verfolgte sie in Leipzig ein Spiel der DDR-Auswahl – und in Bonn bejubelte sie 1996 die gewonnene Europameisterschaft.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%