Angela Merkel Die Weltkanzlerin verspricht „Wohlstand für alle“

Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündet in Essen eine globale Wohlstandsmission. Dafür muss Ludwig Erhards Namen herhalten – und sein spätes Vermächtnis vergessen werden.

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Angela Merkel beim Politischen Forum Ruhr in der Philharmonie in Essen. Quelle: dpa

Was für ein Kompliment! „Frau Merkel, Sie sind ein Mordsweib“, sagte ein Mann aus dem Publikum in der Philharmonie in Essen, wo die Bundeskanzlerin auf Einladung der Funke-Mediengruppe sprach. Deren Verleger Stephan Holthoff-Pförtner ist nordrhein-westfälischer CDU-Grande und seit dem 30. Juni 2017 nordrhein-westfälischer Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales und Medien (ja, Medien!). Ein Heimspiel für Merkel inmitten des roten Ruhrgebiets.

Vor sichtlich Besserverdienenden, meist angezogen wie für einen Opernabend, sang die Kanzlerin ein Hohelied der globalen Wohlstandspolitik. So waren ihre Zielvorgaben für Deutschland - „Vollbeschäftigung bis 2025“, erneuerbare Energien, Breitbandausbau, Soli abschaffen, steuerliche Forschungsförderung – nur ein Vorspiel für die eigentliche Botschaft: „Wohlstand für Alle“ und das weltweit.

Die globale Win-Win-Situation ist Merkels Bild von der Zukunft: Es ginge darum, „alle Beteiligten zu Gewinnern zu machen.“ Nur bei einer wachsenden Weltwirtschaft müssten Vorteile der einen nicht mit Nachteilen für andere bezahlt werden. Wachstum müsse heute nicht nur "nachhaltig” sein und ökologische Aspekte berücksichtigen, sondern auch "inklusiv”, also möglichst vielen Menschen Teilhabe ermöglichen. Der Glaube an die Fähigkeit multilateraler Weltinnenpolitik, solches globales Wirtschaftswachstum als Lösung für alle Probleme, soziale wie ökologische, schaffen zu können, war ihre zentrale Botschaft.

von Bert Losse, Konrad Fischer

Und immer wieder musste dafür der Name Ludwig Erhard herhalten – dabei zitierte sie ihn nicht einmal direkt. Weiß Merkel, dass Erhard über Politiker, die Wirtschaftswachstum zu ihrem Ziel erklärten, stets abfällig als „Wachstumsfetischisten“ sprach?

Das Essener Publikum schien von Merkels globalem Wachstumstraum als Politikziel begeistert. Kaum ein Satz endete ohne Beifall. Funke-Chefredakteur Jörg Quoos, der sie im Anschluss an die Rede interviewte, hielt sich mit Kritik vornehm zurück. Das übernahm ein einsamer Zuhörer, der sich als Unternehmer und vierfacher Vater vorstellte. Ob der Kanzlerin, die sich so oft auf Ludwig Erhard berufe, denn nicht bewusst sei, dass dieser sich nur für den  Wohlstand in Deutschland verantwortlich gesehen habe. Er habe sicher nicht geglaubt, dass Deutschland dazu berufen sei, für Wohlstand in Afrika zu sorgen. Und erst recht nicht, afrikanischen Einwanderern Wohlstand in Deutschland zu verheißen. 

Das war der dramatische Höhepunkt des Abends. Nachdem erst vereinzeltes Klatschen träufelt, setzen laute Buhrufe ein. Die Kanzlerin belehrt daraufhin den einsamen Kritiker, dass die „Würde des Menschen“ (ging es nicht eigentlich um Wohlstand?) nicht an Grenzen ende. Wenn „wir“ solche Politik machen würden, „dann werden wir kein ruhiges Leben mehr haben“. Die Chinesische Mauer habe schließlich auch nichts Gutes für China bedeutet und dem Römischen Reich sei es nicht durch „Abschottung“ gut gegangen, sondern wenn es „Ausgleich mit Nachbarn suchte“.

Wie gut für Merkel, dass beim Publikum in der Essener Philharmonie die Kenntnisse über die chinesische und die Geschichte des Untergangs des Römischen Reiches und den mit der Völkerwanderung einhergehenden extremen Wohlstandsverlust vermutlich ebenso gering sind wie ihre eigenen. Der Applaus für die Zurechtweisung des Kritikers war jedenfalls gewaltig.

Gut auch für Merkel, dass sich heute kaum noch jemand an Erhards wichtigste Botschaft als Bundeskanzler zu erinnern scheint: Maß halten. Selten sprach Erhard über politische Aufgaben, ohne auf die Grenzen der Möglichkeiten und Zuständigkeiten des Staates hinzuweisen. Von solchen Grenzen war bei Merkel keine Rede.

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von Bert Losse
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