Angela Merkel im Bundestag Trotzig, aber einsam

Unverdrossen wirbt Kanzlerin Angela Merkel für eine europäische Flüchtlings-Lösung. So will sie die Zweifler in Deutschland überzeugen. Doch das könnte aus gleich zwei Gründen scheitern.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Quelle: dpa

Angela Merkel ist gerade allein zu Hause, so wirkt es zumindest an diesem Mittwoch im Bundestag. Ihr Koalitionspartner, die SPD, hat in den Tagen zuvor sehr klargemacht, dass Merkel lieber erst einmal selber regieren soll. "Wer von Integration redet und über die Finanzierung schweigt, der belügt die Bevölkerung", sagte Parteichef Sigmar Gabriel, und meinte damit offenbar auch die Kanzlerin. SPD-Generalsekretärin Katarina Barley legte, auch mit Blick auf Merkel, nach: Man könne nicht sagen, "wir öffnen die Grenze für eine Million Leute und dann so tun, als würde das nichts kosten".

Die Sozialdemokraten fürchten die Rache des rechten Wählers bei den wichtigen Landtagswahlen im März – und genauso fürchten den Parteifreunde der Kanzlerin. Zwar haben die CDU/CSU-Kritiker, allen voran Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, Merkel eine Art Feuerpause zugebilligt – erst nach dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag wollen sie wieder öffentlich Kritik äußern.

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Aber Merkel weiß, das ist nur eine Schonfrist. Daher hat sie sich ein Ersatzzuhause geschaffen, und das heißt Europa. Die Ostdeutsche Merkel ist keine Bauch-Europäerin wie ihr Vorgänger Helmut Kohl, sie hat die europäische Einigung immer eher intellektuell als emotional verstanden. Aber mittlerweile hat Merkel es nicht zu ihrem Vernunft-Dogma, sondern auch zu ihrem emotionalen Mantra gemacht, dass in der Flüchtlingskrise nationale Alleingänge schlicht nicht funktionieren.

Deutschland kann wenig bieten – und wenig drohen

"Unser gemeinsames Ziel ist es, die Zahl der Flüchtlinge spürbar und nachhaltig zu reduzieren, um so auch weiter den Menschen helfen zu können, die unseres Schutzes bedürfen“, ruft Merkel in den Bundestag. Der Europäische Rat in Brüssel sei eine "Etappe auf dem Weg, der Europa bislang nach jeder Krise stärker werden ließ. Ich hoffe, dass das auch diesmal so der Fall sein kann".

Aber Merkels europäische Rettungs-Gleichung könnte auf zwei kolossalen Denkfehlern beruhen. Der erste lautet: So wie in der Eurokrise braucht der Rest des Kontinents am Ende Deutschland, daher werde es auch diesmal nach zähen Verhandlungen ein großes Miteinander geben. Das gilt für die Flüchtlingskrise aber nur sehr begrenzt. Deutschland kann Ländern, die bei der Aufnahme von Migranten nicht mitmachen, wenig bieten – und wenig drohen.



Daher könnte das Gegenteil drohen, dass gerade Flüchtlings-Chaos zum erfolgreichen Druckmittel avanciert, also Menschen in Not als menschliche Waffen eingesetzt werden. Wie gut das funktionieren kann, erleben gerade die Regierungen in Griechenland oder Türkei. Sie haben gelernt, dass eigene Versäumnisse nicht mehr so schwer wiegen, wenn nur genug Flüchtlinge aus dem jeweiligen Land weiter nach Europa strömen.

Der zweite mögliche Denkfehler liegt in Merkels Grundannahme, das aktuelle Europa sei noch fähig zu einigem Handeln. In der Eurokrise wirkte der Kontinent oft gespalten, doch es bildeten sich auch immer wieder schlagkräftige Allianzen.

Schmerzhafte Ablehnung aus Osteuropa

Wo aber sind die jetzt? Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann distanzierte sich unmittelbar vor Merkels Regierungserklärung vom Kurs der Kanzlerin – und kündigte noch mehr Grenzkontrollen entlang seiner südlichen Grenze an. Zwar sei das Verhältnis zu Deutschland "nicht zerbrochen", sagte Faymann. "Aber eine Regierung muss mit Blick auf die Realität Beschlüsse fassen, die sie im eigenen Land zu verantworten hat."

Frankreich, Deutschlands natürlicher Partner in Europa, ist mit sich selbst beschäftigt und wirkt wie gelähmt vor den Populisten von der Rechten. Premier Manuel Valls verkündete bei der Münchner Sicherheitskonferenz, mehr Flüchtlinge werde sein Land bestimmt nicht aufnehmen, EU-Flüchtlingskontingente hin oder her.

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Auch die Briten scheinen sich abgewendet zu haben, sie sind in vielerlei Hinsicht auf dem Weg nach draußen. Wenn Merkel bei ihrer Regierungserklärung gleich in den ersten Sätzen darauf hinweist, wie viele Gemeinsamkeiten Deutschland und Großbritannien verbänden, wirkt dies eher seltsam als überzeugend.

Um Merkel wird es einsam

Noch schmerzhafter muss die Ablehnung aus Osteuropa wirken. Die Länder dort galten vielen in Berlin, auch Merkel selbst, lange als europäische Erfolgsgeschichte. Aber die Regierungen – und vielleicht auch Völker – dort haben daraus offenbar nicht den Schluss gezogen, nun Solidarität üben zu müssen. Immer deutlicher tritt in Europa eine Kluft nicht mehr nur zwischen Nord und Süd zutage, sondern auch zwischen Ost und West.

Es wirkt derzeit, als habe die kulturelle EU-Osterweiterung in den vergangenen Jahren mit der politischen und wirtschaftlichen nicht Schritt halten können.

All dies spielt sich vor einem globalen Machtvakuum ab, wie es gerade bei der Münchner Sicherheitskonferenz zu beobachten war. Dort kamen die Amerikaner in den Debatten über Syrien oder den Nahen Osten nur noch am Rande vor, ein beinahe unerhörter Akt in der modernen Geschichte. Der amtierende Präsident hat die amerikanische Zurückhaltung so übertrieben, dass er auch die Flüchtlingskrise als „europäisches Problem“ verharmlosen durfte. Und einer der „Hoffnungsträger“ bei den Republikanern – lange die Partei der US-Außenpolitiker – kann offen erklären, Angela Merkel sei wohl verrückt geworden und ruiniere mit ihrer Politik der offenen Grenzen Deutschland und Europa.

All diese Verwirrungen ergeben noch kein schlüssiges Bild dieser Zeit. Aber sie ergeben ein schlüssiges Bild: Angela Merkel, Ende vorigen Jahres vom Magazin "Time" noch zur Weltkanzlerin gekürt, ist in der Welt gerade verdammt einsam.

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