Angela Merkel im Interview "Mit mir werden keine Reformen zurückgedreht"

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Angela Merkel: Wir werden am Entwurf zur Erbschaftssteuerreform gewisse Veränderungen durchführen Quelle: Arne Weychardt für WirtschaftsWoche

Haben Sie ein distanziertes Verhältnis zu Wirtschaftsbossen, im Gegensatz zu Ihrem Vorgänger, der legendäre Rotweinrunden pflegte?

Jeder hat seine Art, aber ich habe einen sehr guten und intensiven Austausch mit vielen Vertretern der Wirtschaft. Wenn ich meinen Wochenplan anschaue, nehmen die Gespräche mit Managern, Handwerkern und mittelständischen Unternehmern einen beachtlichen Teil ein. Diese Begegnungen sind wichtig für meine Arbeit.

Gehen Sie nicht auf Distanz zu den Bossen, da doch einige Fälle von Steuerhinterziehung, Korruption oder Abhörpraktiken laut geworden sind und es nicht populär scheint, Unternehmer und Manager zu unterstützen?

Das ist nicht mein Weg. Ich finde es richtig, dass dort, wo einzelne Fehlentwicklungen aufgetreten sind, von vielen führenden Persönlichkeiten der Wirtschaft selbst und aus der Politik die notwendigen kritischen Worte kamen. Und zugleich habe ich, zuletzt in meiner Rede zum 60. Jahrestag der sozialen Marktwirtschaft, ausdrücklich die vielen Positiv-Beispiele der deutschen Wirtschaft genannt. Dies werde ich weiter tun. Und ich würde es begrüßen, wenn auch die Wirtschaft selbstbewusst in der öffentlichen Debatte auf positive Entwicklungen hinweisen würde.

Sie wollen also aktiv für die Marktwirtschaft werben?

Die aktuelle Diskussion darf nicht von Zerrbildern der Realität geprägt werden. Es ist doch zutiefst unsinnig, die Schwächeren gegen die Starken zu stellen. Darauf dürfen wir uns gar nicht erst einlassen. Die Grundidee der sozialen Marktwirtschaft ist, dass die Starken und die Schwächeren ein Bündnis eingehen und jeder gemäß seiner Leistungsfähigkeit einen Beitrag leistet. Zur Realität, die von der Linken verschwiegen wird, gehört, dass zehn Prozent der Beschäftigten die Hälfte des Aufkommens der Einkommensteuer leisten. Wenn diese Leistungsträger entmutigt werden und das Land verlassen, dann haben wir statistisch gesehen zwar mehr Gleichheit und weniger Armut, aber dem Land und vor allem den Schwachen geht es viel schlechter als vorher. Deshalb sage ich: Wer, wie die Linken, die Wirtschaft unter Generalverdacht stellt, schadet unserem Gemeinwesen.

"Die SPD muss sich über ihre Orientierung in der Wirtschaftspolitik klar werden."

Trotzdem scheint der Schaden der Managerverfehlungen immens, das Ansehen der sozialen Marktwirtschaft hat schwer gelitten.

Ich bin überzeugt, wir erhalten gemeinsam die Akzeptanz unserer Wirtschaftsordnung. Ich bin dankbar, dass führende Vertreter der Wirtschaft wie BDI-Präsident Jürgen Thumann das Thema selbst ansprechen und einzelne Fehlentwicklungen verurteilen. Gemeinsam müssen wir aber auch herausheben, dass die soziale Marktwirtschaft insgesamt ein Erfolgsmodell ist. Ich wehre mich dagegen, aus Einzelfällen eine Systemfrage zu konstruieren.

Verschärft sich die politische Debatte um die soziale Marktwirtschaft?

Ich sehe, dass die Mitte der Gesellschaft auf Offenheit und Leistungsanreize setzt, um die Globalisierung zu bewältigen. Es ist ein Irrweg, durch Abschottung eine neue Mauer – dieses Mal eine unsichtbare – um Deutschland zu errichten. Das werde ich mit aller Entschiedenheit deutlich machen.

Und die SPD wird dazwischen zerrieben?

Die SPD muss sich über ihre Orientierung in der Wirtschaftspolitik klar werden. Sie weiß derzeit nicht, ob die Kräfte der sozialen Marktwirtschaft oder des sogenannten „demokratischen Sozialismus“ stärkeren Einfluss auf ihren Kurs gewinnen.

Wie steht es um die Mittelschicht? Wird sie nicht auch zwischen den großen politischen und wirtschaftlichen Interessen zerrieben?

Die Mittelschicht leidet unter der Globalisierung besonders. In anderen Ländern gibt es eine größere Oberschicht und eine größere Unterschicht. Deutschland hat dagegen eine ausgeprägte Mittelschicht, die uns Stabilität gibt und unserem Land gut- tut, und wir sollten alles dafür tun, dass das bei uns auch weiterhin so bleibt.

Warum entlasten Sie nicht diese wichtige gesellschaftliche Gruppe – die ja auch zur Kernwählerschaft der Union gehört? Die Mittelschicht hat bislang kaum vom Aufschwung profitiert, und schon durchschnittliche Verdiener müssen inzwischen den Spitzensteuersatz zahlen.

In dem Steuerkonzept, das die Union für die nächste Legislaturperiode erarbeitet, geht es nicht um eine weitere Senkung des Spitzensteuersatzes, sondern vor allem darum, wie wir der Mittelschicht Entlastung geben und mit der kalten Progression umgehen.

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