Trotz aller Differenzen wollen Kanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Donald Trump in der Nato, beim Kampf gegen den Terror und bei der Lösung der Ukraine-Krise eng zusammenarbeiten. In Handelsfragen und beim Umgang mit Einwanderern blieben die Gegensätze am Freitag beim ersten Treffen der beiden Regierungschefs indes weiterhin unübersehbar. Das mit Spannung erwartete Gespräch im Weißen Haus in Washington sollte auch dazu dienen, das zuletzt belastete deutsch-amerikanische Verhältnis wieder zu verbessern.
Merkel hob bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Trump die Notwendigkeit eines fairen Handels zwischen Deutschland und den USA hervor. In beiden Volkswirtschaften stecke großes Potenzial, beide Seiten müssten gewinnen können. Die Globalisierung solle offen gestaltet werden, forderte Merkel. Sie machte deutlich, dass Freizügigkeit gerade auch für die deutsche Wirtschaft wichtig sei.
Bei dem Besuch stand die Drohung Trumps im Raum, die USA mit Strafzöllen gegen deutsche und andere ausländische Produkte abzuschotten. Die USA waren 2016 größter Absatzmarkt für Produkte „Made in Germany“. Washington stört sich aber schon länger am deutschen Handelsüberschuss von 49 Milliarden Euro. Trump sagte am Freitag gleichwohl, er erwarte „großartige Handelsbeziehungen mit Deutschland“. Er betonte: „Wir wollen Fairness, keine Siege.“
Konfliktfelder der US-Regierung mit Deutschland
Die neue US-Regierung hat frühere Äußerungen von Trump, dass die Nato "obsolet" sei, mittlerweile korrigiert. Die neue Konfliktlinie verläuft entlang der Selbstverpflichtung der Nato-Staaten, bis 2024 zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Sicherheit auszugeben. Die USA geben wesentlich mehr aus, Deutschland sehr viel weniger. Trump wird Merkel drängen, die Ausgaben schneller anzuheben als sie versprochen hat.
Die Sorge über eine zu starke Hinwendung Trumps zu Russlands Präsident Wladimir Putin sind verflogen. Dennoch besteht große Unsicherheit über den amerikanischen Russland-Kurs, der sich auf viele Konflikte von Syrien bis zur Ukraine auswirken kann.
Während Trump vor allem den Anti-Terrorkampf gegen Islamisten betont, geht es Deutschland stärker um die Stabilisierung von Ländern - auch mit Blick auf künftige Flüchtlingsbewegungen. Die US-Regierung hat sich zum Engagement in Afghanistan bekannt, was Merkel lobte. Was Trump in Libyen und Syrien genau will, ist bisher unbekannt.
Ein zentraler Streitpunkt könnte der Umgang mit dem aus der EU ausscheidenden Großbritannien werden. Trump hat den Brexit als Vorbild auch für andere EU-Staaten bezeichnet. Merkel betont die Einheit der EU - auch in Handelsfragen.
Führende Vertreter der Trump-Regierung haben angekündigt, auch wirtschaftliche Probleme mit EU-Staaten bilateral klären zu wollen - ungeachtet möglicher EU-Zuständigkeit. Die Bundesregierung lehnt dies ab.
Dies betrifft etwa den deutschen Leistungsbilanzüberschuss. Der Vorwurf der US-Regierung lautet, dass Deutschland etwa den niedrigen Euro-Kurs ausnutzt und dadurch mehr Waren in den USA absetzen kann als die USA etwa in Deutschland. Die Bundesregierung verweist dagegen auf die Zuständigkeit der EU (Handel) und der EZB (Währung).
In Washington wird die Einführung einer Grenzausgleichssteuer ("Border Adjustment Tax", BAT) zur Gegenfinanzierung der von Trump angekündigten Steuersenkungen diskutiert. Für die Exportnation Deutschland wäre das ein schwerer Schlag, weil es deutsche Produkte in den USA verteuern würde. Merkel hat bereits angedeutet, dass die EU entsprechend reagieren werde.
Trump hat sich bisher generell für protektionistische Ideen stark gemacht und selbst das nordamerikanische Nafta-Abkommen infrage gestellt. Ob er wie sein Vorgänger Barack Obama das angestrebte und von der Kanzlerin befürwortete Wirtschaftsabkommen TTIP mit der EU unterstützen wird, gilt als unsicher.
Trump hat sich mehrfach kritisch zu internationalen Vereinbarungen wie etwa zum Klimaschutz geäußert. Noch immer ist unsicher, ob die USA ihre Verpflichtungen etwa aus dem Pariser Klimaabkommen umsetzen werden.
Trump hat sich generell sehr skeptisch zur multilateralen Zusammenarbeit geäußert. Aus seiner Regierung kamen bereits Drohungen, die Zahlungen an die UN zu kürzen, die ihren Hauptsitz in New York hat. Auch humanitäre UN-Programme sollen gekürzt werden. Merkel plädiert dagegen für eine viel stärkere internationale Zusammenarbeit in einer Vielzahl von Politikfeldern.
Trump hat Merkels Flüchtlingspolitik auch nach seiner Wahl noch scharf kritisiert und will selbst eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen. Merkel wiederum hat Abschottungspläne der USA mehrfach entschieden kritisiert.
Trump wies den Eindruck zurück, er setze auf Abschottung. „Wir sind ein sehr starkes Land, vielleicht bald auf einem Level, das es noch nie gegeben hat“ - dennoch sei er als US-Präsident ein Handelsmann und in keinerlei Hinsicht ein Isolationist. Entsprechende Annahmen oder Berichte benannte Trump erneut als „Fake News“.
Merkel verteidigte ihre früher von Trump scharf angegriffene Flüchtlingspolitik. Illegale Migration müsse geordnet und gesteuert werden, zudem müssten die Schlepper gestoppt werden. Beim Schutz der Außengrenzen müsse im gegenseitigen Interesse mit den Nachbarn zusammengearbeitet werden. Den Flüchtlingen müssten vor Ort Lebenschancen gegeben werden, „indem wir den Ländern helfen, die heute oft nicht in der Lage sind oder in denen Bürgerkriege herrschen“.
Trump hatte Merkel wegen ihrer Entscheidung, 2015 viele syrische Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland zu lassen, eine „katastrophal“ falsche Flüchtlingspolitik vorgeworfen. Er unterstrich am Freitag seine harte Linie bei der Einwanderung. „Immigration ist ein Privileg, nicht ein Recht“, sagte er. Die Sicherheit der USA müsse immer Vorrang haben.
Wie wichtig die USA für die deutsche Wirtschaft sind
2015 wurden die USA der wichtigste Exportkunde der deutschen Unternehmen, nachdem über mehr als sechs Jahrzehnte Frankreich diese Position innehielt. 2016 behaupteten die Vereinigten Staaten ihre Spitzenposition: Waren im Wert von rund 107 Milliarden Euro wurden damals dorthin verkauft - vor allem Fahrzeuge, Maschinen und chemische Produkte. Das entspricht einem Anteil von etwa zehn Prozent an den gesamten Ausfuhren. Umgekehrt importierte Deutschland Waren im Wert von knapp 58 Milliarden Euro aus den USA, was sechs Prozent aller deutschen Einfuhren entspricht.
Mehr als eine Million Jobs in Deutschland hängen direkt oder indirekt von den Exporten in die USA ab. Weitere 630.000 Arbeitsplätze gibt es in Betrieben, die von US-Firmen kontrolliert werden. Allein McDonald's Deutschland zählt etwa 58.000 Mitarbeiter, der Personaldienstleister Manpower 27.000 und die Ford-Werke gut 25.000.
Umgekehrt schaffen deutsche Unternehmen in den USA ebenfalls Hunderttausende Stellen. Zu den größten deutschen Arbeitgebern dort gehören die Deutsche-Post-Tochter DHL mit rund 77.000 Beschäftigten, Siemens (50.000) und Volkswagen (60.000).
Die deutschen Unternehmen haben mehr als 271 Milliarden Euro an Direktinvestitionen in den USA - etwa Fabriken und Immobilien. Mehr als 3700 Unternehmen sind in den Vereinigten Staaten tätig. Allein die 50 größten deutschen Firmen dort kommen auf einen Jahresumsatz von 400 Milliarden Dollar.
Auch US-Unternehmen haben erhebliche Beträge in Deutschland investiert: Der Bestand summiert sich auf rund 27 Milliarden Euro. 2015 wurden 252 neue Projekte hierzulande von US-Firmen gestartet, von Neuansiedlungen auf der grünen Wiese über Erweiterungen bis hin zu Standortwechseln. Nur chinesische Unternehmen waren aktiver. Die 50 größten US-Unternehmen kommen in Deutschland auf einen Jahresumsatz von rund 170 Milliarden Euro.
Merkel sagte Trump zu, die deutschen Verteidigungsausgaben weiter zu erhöhen. Deutschland habe sich auf das Nato-Ziel verpflichtet, bis 2024 zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Militär auszugeben. „Wir werden auch weiter in diese Richtung arbeiten.“
Die Nato hatte sich das Zwei-Prozent-Ziel bei einem Gipfeltreffen 2014 gesetzt. Derzeit erreichen es nur fünf von 28 Mitgliedern. Deutschland liegt bei 1,2 Prozent, die USA bei 3,6 Prozent. Die Amerikaner haben die Bündnispartner aufgefordert, bis Ende des Jahres einen Plan zu entwickeln, wie das Ziel erreicht werden kann. Trump begrüßte die Zusicherung Merkels und versicherte im Gegenzug der Kanzlerin seine Solidarität für die Nato - bei fairer Lastenteilung.
Er dankte für Deutschlands Beitrag insbesondere im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Die Kanzlerin sagte eine Fortsetzung des Engagements der Bundeswehr in Afghanistan und beim Vorgehen gegen den IS zu. „Wir werden hier Hand in Hand zusammenarbeiten.“ Deutschland beteiligt sich mit Aufklärungsjets und Tankflugzeugen an den Luftangriffen gegen den IS in Syrien und im Irak. Zudem bildet die Bundeswehr kurdische Soldaten im Nordirak für den Kampf gegen den IS aus und liefert ihnen Waffen.
Deutschland und die USA wollen sich nach Angaben Merkels gemeinsam für die Umsetzung des stockenden Minsk-Prozesses für einen Frieden in der Ukraine einsetzen. Sie sei erfreut, dass sich Trump zum Minsk-Prozess bekannt habe. Ein mögliches Ende der Sanktionen gegen Russland im Zusammenhang mit der Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim und Teilen der Ostukraine sprach Merkel nicht an. „Es geht um eine sichere und souveräne Ukraine auf der einen Seite, aber auch um die Möglichkeit, das Verhältnis zu Russland wieder zu verbessern, wenn die Probleme dort gelöst sind.“
Trump hatte Merkel am frühen Freitagabend mitteleuropäischer Zeit im Weißen Haus empfangen. Das gut zweistündige Treffen fiel in eine schwierige Phase der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Trump hatte Merkel in seinem Wahlkampf und auch nach der Wahl im November hart angegangen. Die Kanzlerin hatte nach Trumps aggressivem Wahlkampf als Bedingung für eine Zusammenarbeit verlangt, dass die bisherigen gemeinsamen Werte wie Demokratie, Freiheit, Rechtsstaat und Respekt vor der Würde des Anderen gewahrt werden.
Die Kanzlerin wurde von den Vorstandschefs der Unternehmen Siemens, BMW und Schaeffler begleitet. Bei einem runden Tisch mit Unternehmensvertretern und Auszubildenden wurde über die duale Berufsausbildung in Deutschland gesprochen. Trump lobte das deutsche System einer Lehre in Betrieben und Berufsschulen als vorbildlich.