Angela Merkel und der Terror Die wahre Macht: Schweigen können

Kritiker werfen der Kanzlerin vor, zu den jüngsten Attacken und Attentaten in Deutschland zu lange geschwiegen zu haben. Aber kühles Regieren ist viel wichtiger als hitzige Empathie.

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Angela Merkel Quelle: AP

Leidet Angela Merkel an Gefühlskälte? Meidet sie aus schlechtem Gewissen die Mikrofone, weil schließlich erst ihre Flüchtlingspolitik die innere Sicherheit Deutschlands zerstört habe? Oder ist ihr schlicht egal, was in ihrem Land vor sich geht – schließlich hat sie gerade ihren dreiwöchigen Sommerurlaub angetreten?

All diese Theorien kursierten in sozialen Netzwerken seit dem Horror von München, und sie werden weiter befeuert durch das Grauen von Würzburg, von Ansbach, all jenen aktuellen Verwirrungen unserer Welt.

Schließlich haben sich doch, argumentieren diese Kritiker, so viele andere blitzschnell zu Wort gemeldet, sogar ein leibhaftiger US-Präsident, der sein Mitgefühl bekundete und seine Hilfe anbot.

Auch der französische Präsident war rasch zu vernehmen, zürnen sie, und Russlands Präsident Putin, die EU-Spitzenvertreter waren ohnehin per Twitter-Botschaft in Gedanken bei den Opfern. 

Und die Kanzlerin? Merkel trat nach dem Münchner Massaker erst am Folgetag um 14.30 im Bundeskanzleramt vor die Kameras, 17 Stunden nach Obama.

Deutschland trauert "mit schwerem Herzen"
Kanzlerin Merkel Bundeskanzlerin Angela Merkel lobt die Hilfsbereitschaft der Münchner in der Tatnacht, in der viele ihre Wohnungen Fremden zur Verfügung stellten. "In dieser Freiheit und Mitmenschlichkeit liegt unsere größte Stärke", sagt Merkel am Samstag. Deutschland trauere "mit schwerem Herzen um die, die nie mehr zu ihren Familien zurückkehren werden." Sie fügte an die Adresse der Angehörigen hinzu: "Wir denken an Sie, wir teilen Ihren Schmerz, wir leiden mit Ihnen." Quelle: dpa
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) forderte in der „Welt am Sonntag“, dass „wir in extremen Situationen“ wie Terroranschlägen „auch in Deutschland auf die Bundeswehr zugreifen können“. Quelle: AP
De Maizière: "Explosionen von Gewalt"Für Innenminister Thomas de Maizière waren es „Explosionen von Gewalt“, die in München zum Tod von neun unschuldigen Menschen führten. Der Amokläufer war nach den Worten de Maizières für die Sicherheitsbehörden zuvor ein unbeschriebenes Blatt. „Gegen ihn waren bisher keine polizeilichen Ermittlungen bekannt.“ Deswegen habe es auch keine staatsschutzrelevanten Informationen gegeben. „Und es gibt auch keine Erkenntnisse der Nachrichtendienste über diese Person.“ Möglicherweise sei der junge Deutsch-Iraner gemobbt worden. Dennoch sprach sich de Maizière dafür aus, die Einsatzkonzepte der Polizei noch einmal unter die Lupe zu nehmen. „Das wird sicher jetzt noch einmal überprüft werden müssen“, sagte der CDU-Politiker am Samstagabend in der ARD. Und gegenüber der „Bild am Sonntag“ sagte er, dass zunächst ermittelt werden müsse, wie der Amokläufer an die Tatwaffe gelangt sei. „Dann müssen wir sehr sorgfältig prüfen, ob und gegebenenfalls wo es noch gesetzlichen Handlungsbedarf gibt.“ Quelle: dpa
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel Quelle: dpa
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) Quelle: dpa
Münchner OB - "Unsere Stadt steht zusammen" Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter äußert sich über die Tat entsetzt. Alle städtischen Feste und Feiern seien für dieses Wochenende abgesagt. "Es sind schwere Stunden für München." Er sei von der großen Hilfsbereitschaft und Solidarität beeindruckt. "Unsere Stadt steht zusammen." Quelle: dpa
Unionsfraktionschef Volker Kauder warnt vor einer Ausbreitung von Hass und Gewalt. Noch sei nicht bekannt, was den Attentäter zu den Morden getrieben habe. "Unabhängig davon, was seine Motive waren und wie sich seine persönliche Disposition darstellt, müssen wir aber noch mehr darauf achten, dass sich Hass und Gewalt in unserer Gesellschaft generell nicht weiter ausbreiten." Quelle: dpa

Sie sprach Worte, die sie auch früher hätte finden können. 'Wir alle trauern mit schwerem Herzen“, sagte die Kanzlerin etwa, und: „Immer sind es Orte, an denen jeder von uns hätte sein können.“

Und dennoch: Zu behaupten, Merkel hätte diese Worte partout früher äußern müssen, ist schlicht: Quatsch.

Merkel schwieg, und darin zeigt sich ihre wahre Macht. Diese beruht nämlich auf einem ganz anderen Fundament als die anderer Volksvertreter, die stets so (wort-)schnell sein müssen – dazu gehört selbst US-Präsident Barack Obama, der immer auch Kümmerer-in-Chief zu sein hat.

Kühle Analyse, klare Worte

Von Merkel hingegen erwarten – und bekommen – die Bürger seit Jahren anderes: kühle Analyse, klare Worte. Beides konnte die Kanzlerin erst liefern, als die Lage klar(er) war. Wenn dies in Zukunft schneller möglich ist, wird sich Merkel auch schneller äußern.

Natürlich könnte sie sich mitfühlender äußern, etwa in einem Tweet. Sie wäre dann verunsicherten Bürgern eher wie jene kümmernde „Mutti“ vorgekommen, die sie laut Spitznamen ironischerweise ist.

Aber was wäre damit gewonnen gewesen? In Zeiten des Aufruhrs zählt nicht hitziges Mitgefühl, sondern kühler Kopf, so wie ihn Merkel versprach, als sie sagte: „Wir werden aufklären und alles daran setzen, die Sicherheit und Freiheit aller Menschen in Deutschland zu schützen.“

Außerdem unterstrich die Kanzlerin mit ihrer unaufgeregten Art jene These, welche auch die aufgeregtesten Stimmen ja eigentlich nicht müde werden zu wiederholen: dass Terroristen nicht unseren Alltag und unsere Art zu leben bestimmen und erschüttern dürften.

„Vereint in der Fassungslosigkeit“
Frankreichs Präsident François Hollande nach den Attentaten Quelle: REUTERS
Der französische Premierminister Manuel Valls nach der Sitzung des Sicherheitskabinetts Quelle: AP
Bundeskanzlerin Angela Merkel Quelle: AP
Bundespräsident Joachim Gauck Quelle: dpa
US-Präsident Barack Obama in einer Mitteilung des Weißen Hauses Quelle: AP
Die britische Premierministerin Theresa May Quelle: AP
Der russische Präsident Wladimir Putin in einem Beileidstelegramm Quelle: AP

Ähnlich war es erst vor Wochenfrist, als Merkel in der Mongolei unterwegs war, während ein Terrortäter Nizza in die Katastrophe riss. Wenige Stunden nach dem Anschlag war von den mongolischen Gastgebern eine langatmige Vorführung heimischer Bräuche angesetzt, es gab Bogenschießen zu bestaunen, Wettringen, auch Kampfponys fast wie zu Zeiten eines Dschingis Khan.

Jeder hätte verstanden, wenn Merkel diese Zeremonie abgesagt hätte oder früher aufgebrochen wäre. Doch sie blieb sitzen, sie saß und staunte. Später hieß es aus ihrem Umfeld, man müsse doch gerade vorleben, dass unser Mitgefühl, unser Respekt auch vor anderen Völkern und ihren großen Momenten nicht abhängig sein könne von den irren Taten einzelner Verblendeter.

Es ist ein Satz, den es in diesen Tagen zu wiederholen gilt – ganz gleich, wann er ausgesprochen wird.

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