Leidet Angela Merkel an Gefühlskälte? Meidet sie aus schlechtem Gewissen die Mikrofone, weil schließlich erst ihre Flüchtlingspolitik die innere Sicherheit Deutschlands zerstört habe? Oder ist ihr schlicht egal, was in ihrem Land vor sich geht – schließlich hat sie gerade ihren dreiwöchigen Sommerurlaub angetreten?
All diese Theorien kursierten in sozialen Netzwerken seit dem Horror von München, und sie werden weiter befeuert durch das Grauen von Würzburg, von Ansbach, all jenen aktuellen Verwirrungen unserer Welt.
Schließlich haben sich doch, argumentieren diese Kritiker, so viele andere blitzschnell zu Wort gemeldet, sogar ein leibhaftiger US-Präsident, der sein Mitgefühl bekundete und seine Hilfe anbot.
Auch der französische Präsident war rasch zu vernehmen, zürnen sie, und Russlands Präsident Putin, die EU-Spitzenvertreter waren ohnehin per Twitter-Botschaft in Gedanken bei den Opfern.
Und die Kanzlerin? Merkel trat nach dem Münchner Massaker erst am Folgetag um 14.30 im Bundeskanzleramt vor die Kameras, 17 Stunden nach Obama.
Sie sprach Worte, die sie auch früher hätte finden können. 'Wir alle trauern mit schwerem Herzen“, sagte die Kanzlerin etwa, und: „Immer sind es Orte, an denen jeder von uns hätte sein können.“
Und dennoch: Zu behaupten, Merkel hätte diese Worte partout früher äußern müssen, ist schlicht: Quatsch.
Merkel schwieg, und darin zeigt sich ihre wahre Macht. Diese beruht nämlich auf einem ganz anderen Fundament als die anderer Volksvertreter, die stets so (wort-)schnell sein müssen – dazu gehört selbst US-Präsident Barack Obama, der immer auch Kümmerer-in-Chief zu sein hat.
Kühle Analyse, klare Worte
Von Merkel hingegen erwarten – und bekommen – die Bürger seit Jahren anderes: kühle Analyse, klare Worte. Beides konnte die Kanzlerin erst liefern, als die Lage klar(er) war. Wenn dies in Zukunft schneller möglich ist, wird sich Merkel auch schneller äußern.
Natürlich könnte sie sich mitfühlender äußern, etwa in einem Tweet. Sie wäre dann verunsicherten Bürgern eher wie jene kümmernde „Mutti“ vorgekommen, die sie laut Spitznamen ironischerweise ist.
Aber was wäre damit gewonnen gewesen? In Zeiten des Aufruhrs zählt nicht hitziges Mitgefühl, sondern kühler Kopf, so wie ihn Merkel versprach, als sie sagte: „Wir werden aufklären und alles daran setzen, die Sicherheit und Freiheit aller Menschen in Deutschland zu schützen.“
Außerdem unterstrich die Kanzlerin mit ihrer unaufgeregten Art jene These, welche auch die aufgeregtesten Stimmen ja eigentlich nicht müde werden zu wiederholen: dass Terroristen nicht unseren Alltag und unsere Art zu leben bestimmen und erschüttern dürften.
Ähnlich war es erst vor Wochenfrist, als Merkel in der Mongolei unterwegs war, während ein Terrortäter Nizza in die Katastrophe riss. Wenige Stunden nach dem Anschlag war von den mongolischen Gastgebern eine langatmige Vorführung heimischer Bräuche angesetzt, es gab Bogenschießen zu bestaunen, Wettringen, auch Kampfponys fast wie zu Zeiten eines Dschingis Khan.
Jeder hätte verstanden, wenn Merkel diese Zeremonie abgesagt hätte oder früher aufgebrochen wäre. Doch sie blieb sitzen, sie saß und staunte. Später hieß es aus ihrem Umfeld, man müsse doch gerade vorleben, dass unser Mitgefühl, unser Respekt auch vor anderen Völkern und ihren großen Momenten nicht abhängig sein könne von den irren Taten einzelner Verblendeter.
Es ist ein Satz, den es in diesen Tagen zu wiederholen gilt – ganz gleich, wann er ausgesprochen wird.