Angela Merkel und die Blockflöten Postfaktisch im Endstadium

Mit Blockflöten und Weihnachtsliedern will die Bundeskanzlerin "ganz ehrlich" den Verlust von "einem Stück Heimat" aufhalten. Über solchen Realitätsverlust müssen selbst ihre Parteifreunde lachen.

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Merkel mit Nussknacker Quelle: dpa

Es gibt Sätze, die in die Geschichte eingingen als Belege für den Realitätsverlust mächtiger Menschen. Diejenigen, die man bislang als ehrfurchtgebietend erlebte, erscheinen plötzlich durch eine unbedachte Aussage fast hilflos – und verlieren dadurch an Autorität. Ihre Welt ist nicht mehr identisch mit der Welt der anderen. „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen“, war zum Beispiel so ein Satz. Königin Marie Antoinette soll ihn kurz vor der Französischen Revolution gesagt haben.

Die Bundeskanzlerin hat mit der naiven Königin sicher nicht viel gemeinsam. Aber weit weg von den Sorgen der Bürger scheint auch sie.

Nun gut, sprachliches Ungeschick ist man nach neun Jahren Merkel-Kanzlerschaft so sehr gewöhnt, dass man sich nicht mehr aufregt. Aber dass selbst CDU-Politiker sich das Lachen über die unfreiwillige Komik ihrer Chefin nicht verkneifen können, ist neu. Da empfiehlt eine Bundeskanzlerin doch tatsächlich, mit christlichen Weihnachtsliedern den Sorgen und Ängsten vor dem politischen Islam entgegenzuwirken. Sie schlug den hartgesottenen CDU-Parteifreunden vor, Liederzettel zu kopieren und jemanden aufzutreiben, der Blockflöte spielen kann. Als dann die Zuhörer zu lachen anfingen, weil sie wohl an einen missratenen Witz glaubten, ergänzte Merkel: „Ich meine das ganz ehrlich. Sonst geht uns ein Stück Heimat verloren.“

Man kann wahrlich überhaupt nichts dagegen haben, wenn Menschen Blockflöte spielen. Und erst recht nicht, wenn Weihnachtslieder gesungen werden. Aber ist das Aufgabe einer Kanzlerin und Parteivorsitzenden, zum christlichen Musizieren aufzurufen? Das ist, um einen bereits überstrapazierten Begriff zu verwenden, „postfaktisch“ im Endstadium. Merkel belegt damit, was ihre Kritiker ihr schon lange vorwerfen: Sie hat anscheinend keine Vorstellung vom Unterschied zwischen der Sphäre der Politik und der des Privaten. Und nun hat sie sich damit lächerlich gemacht.

Offenbar gibt es in ihrer Partei oder ihrem Umfeld niemanden, der ihr deutlich macht, was zu ihrer Verantwortung als Bundeskanzlerin gehört - und was nicht. Empfehlungen, welche Bücher „hilfreich“ und welche Lieder singenswert sind (ob mit oder ohne Blockflötenbegleitung), gehört jedenfalls nicht dazu. Sorgen und Ängste nicht emotional zu übertönen, sondern die Gründe dafür zu bekämpfen, ist ihre Aufgabe.

Deutschland ist nur ökonomisch stark

Diese Sorgen haben durchaus nicht nur mit Gefühlen zu tun. Sie haben reale Gründe. Deutschland ist stark, sagt die Kanzlerin immer wieder. Ja, allerdings nur ökonomisch. Das verdankt es seinen innovativen Unternehmen und leistungsfreudigen Arbeitnehmern. Politisch aber ist Deutschland schwach – und droht dadurch seine Wirtschaft verhängnisvoll zu überfordern. Es befindet sich in einer kritischen Situation, die nicht nur für den Machtanspruch der CDU gefährlich ist. Verschiedene existentielle Krisen finden gleichzeitig statt, denen Deutschland aus geographischen, historischen und politischen Gründen besonders ausgeliefert ist.

Alles, was Jahrzehnte lang als sicheres Fundament unseres Wohlstands und des Friedens schien, zeigt Risse: Das Finanzsystem, die Europäische Union und die bundesrepublikanische Parteienherrschaft. Dazu noch hat sich Deutschland unter Merkels Führung in einen halsbrecherischen Alleingang namens „Willkommenskultur“ verrannt und sich selbst fast die gesamte Last der massenhaften Armutszuwanderung nach Europa aufgebürdet.

Diese Bürde, die sich die politischen und ökonomischen Eliten in traditionell deutscher Gefühlsduselei schönreden, will uns nun kein anderes Land abnehmen – verständlicherweise. Das macht Merkel und Deutschland auf europäischem und internationalem Parkett erpressbar.

Außerdem weist der Ökonom Hans Werner Sinn in seinem aktuellen Buch „Der schwarze Juni“ zu Recht darauf hin, dass der Brexit und die Absegnung der unbegrenzten Geldschöpfungspolitik der EZB durch das Bundesverfassungsgericht die bevorstehenden finanziellen Belastungen Deutschlands extrem erhöhen: Deutschland steht als potentieller Zahlmeister für Europas Schulden und Armutszuwanderer weitgehend allein und ohne jedes effektive politische oder juristische Druckmittel da.

Für die einst hochgehaltenen wirtschafts- und währungspolitischen Ideale Deutschlands hat Berlin keine Mehrheiten in der EU und Euro-Zone – und keine juristische Handhabe mehr.

Wie sie diesen Sorgen politisch begegnen will, kann Merkel offenbar nicht klarmachen. Sie redet lieber über Weihnachtslieder und Blockflöten. Apropos: Eine bessere Vorlage hätte sie dem wachsenden Chor ihrer Gegner und Hasser in den sozialen Medien gar nicht liefern können. „Blockflöten“ nannte man schließlich in der untergegangenen DDR all jene hauptamtlichen Ja-Sager im „Demokratischen Block der Parteien und Massenorganisationen“, die selbst die dämlichsten Parolen der SED-Kader noch beklatschten. Der Satz mit der Blockflöte wird Merkel vermutlich ebenso für den Rest ihrer Kanzlerschaft (und darüber hinaus) begleiten wie „Wir schaffen das“ und „… dann ist das nicht mehr mein Land“.

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