Anschlag in Berlin Der Täter im Fokus

Wer macht so etwas? Diese Frage treibt Millionen um nach Anschlägen wie in Paris, Brüssel, Nizza und Berlin. Einfache Zusammenhänge greifen dabei nicht.

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Blick auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz nach der Wiedereröffnung. Quelle: dpa

Wie konnte das passieren und wer macht so etwas? Diese Fragen beschäftigen Millionen von Menschen nach Anschlägen wie in Paris, Brüssel, Nizza und zuletzt Berlin, als ein Lastwagen in die feiernde Menschenmasse auf einen Christkindlmarkt gefahren wurde – leider Gottes wird die Liste an Zielen des Terrors immer länger. Während die erste Frage noch am selben Abend durch polizeiliche Ermittlungen im Detail beantwortet werden kann, zeigt sich die zweite Frage komplexer und schwieriger.

Einfache Zusammenhänge greifen dabei nicht. So lässt sich die Frage nach den Tätern nicht damit beantworten, dass diese Menschen eine bestimmte Nationalität aufweisen. Denn unter den Tätern finden sich Europäer ebenso wie Nicht-Europäer. Auch die Zuordnung zu einem Geschlecht ist nicht hilfreich, weil zu pauschal – nach dem Motto: Es sind in erster Linie Männer, die solche Anschläge verüben.

Auch die häufig zu hörende Zuschreibung, die Täter seien verrückt oder gar dumm, greift zu kurz. Denn die Täter verfügen über durchaus beeindruckendes Wissen und Können in verschiedenen Bereichen: Ihre Glaubensschrift kennen sie bis ins kleinste Detail (und sogar die Schriften ihrer Feinde kennen sie häufig genauer als diese selbst); sie sind in der Lage, schnell und effektiv digital zu kommunizieren; sie schaffen es immer wieder, die Sicherheitsvorkehrungen der westlichen Welt zu umgehen und sie können aus einfachen Mitteln Waffen herstellen und gezielt einsetzen.

Diese wenigen Beispiele zeigen: Dumm sind diese Täter per se nicht. Mit wem haben wir es also zu tun? Eine Fokussierung der Täter aus bildungstheoretischer und –empirischer Sicht kann hilfreich sein:

So konnte beispielsweise der Bildungsforscher Howard Gardner in seiner Theorie der multiplen Intelligenzen nachweisen, dass Menschen sich nicht nur in den gern gemessenen Bereichen des Kognitiven entwickeln. Vielmehr gibt es neben dieser Form von Intelligenz auch eine soziale, eine emotionale, eine ästhetische, eine kinästhetische und eine moralische Intelligenz. Aus der Geschichte Deutschlands wissen wir nun allzu gut, dass ein durchaus hohes Maß an kognitiver Intelligenz nicht davor schützt, in den anderen Intelligenzen zurückzubleiben. Bekannt geworden als eindringliches Beispiel ist der umfänglich interessierte und mit beeindruckendem Wissen behaftete NS-Arzt, der gleichzeitig Versuche an Menschen durchgeführt hat.

Obschon wir aus Forschungen wissen, dass sich die verschiedenen Intelligenzen beeinflussen können: Die Wechselwirkung ist nie kausal und kein Garant für Humanität. Und letztendlich zeigt sich an dieser Stelle auch das Problem mit Tätern: Sie können durchaus viele Formen von Intelligenzen in hohem Maß aufweisen. Wo sie aber defizitär sind, ist der Bereich der Humanität, die der Philosoph Ken Wilber der moralischen Intelligenz zuordnet und zum besseren Verständnis verschiedene Ebenen unterscheidet.

Der Westen ist schlecht

Erstens eine egozentrische Ebene, die dadurch gekennzeichnet ist, dass Menschen das eigene Weltbild als das einzig wahre ansehen und alles, was zu diesem Weltbild nicht passt, schlecht ist.

Zweitens eine ethnozentrische Ebene, die dadurch gekennzeichnet ist, dass Menschen zwar zur Kenntnis nehmen, dass es neben dem eigenen Weltbild auch ein anderes gibt, das nicht mit dem eigenen übereinstimmt, aber noch nicht kritisch-konstruktiv als solches durchleuchten.

Und drittens eine weltzentrische Sicht, die dadurch gekennzeichnet ist, dass Menschen die Existenz vieler Weltbilder erkennen und auch, dass keines per se besser ist als das andere, sondern den Austausch, die Kommunikation, die Diskussion und den Diskurs über diese Weltbilder suchen.

Täter zeigen sich vor diesem Hintergrund häufig auf einer egozentrischen Ebene verhaftet: Alles, was nicht zu ihrem Weltbild passt, ist schlecht. Alles, was nicht mit ihrer Religion in Einklang zu bringen ist, kann nicht die Wahrheit sein. Alle anderen, die nicht ihr Weltbild haben, haben Unrecht und müssen bekämpft werden. Alle anderen, die nicht ihrer Religion angehören, sind Ungläubige, die getötet werden müssen. Mit Blick auf die jüngsten Anschläge in einem Satz: Der Westen ist schlecht.

Große Terroranschläge in Europa

Die Keimzelle des Terrors sind folglich Weltbilder und in diesem Sinn Werte und Normen. Werden diese absolut gesetzt und nicht als zu hinterfragende Gründe gesehen, kommt es unausweichlich zu Radikalisierungen. Aus diesem Grund ist genau an diesem Punkt anzusetzen, wenn es um das Gelingen einer Gesellschaft in Zeiten der Globalisierung geht: Integration und ein Miteinander schaffen wir nicht, indem wir Menschen nur Sicherheit, Geld und eine Förderung im Bereich der kognitiven Intelligenz zuteil werden lassen. So wichtig all das ist, es wird nicht ausreichen, eine Gemeinschaft im Geist der Humanität entstehen zu lassen. Dafür ist nämlich die Auseinandersetzung mit den Werten, mit den Gründen, mit den Weltbildern unerlässlich – die, um qualitativ sein zu können, auch quantitativ nicht überfrachtet sein darf.

Solange Deutschland und Europa diese Fragen nicht angehen, sondern beiseite schieben und Menschen einseitig als ökonomisches Kapital sehen, wird der Terror nicht aufhören. Der Diskurs über Humanität und eine klare Positionierung dazu in der Politik, in der Gesellschaft und auch in der Bildung ist die Aufgabe der Stunde, die uns mit Sicherheit noch Generationen beschäftigen wird.

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