Anschlag in Berlin "Wenn wir nichts tun, drohen uns französische Zustände"

Nach dem Anschlag in Berlin reagiert die Politik mit Alarmismus. Der Ökonom Tim Krieger erforscht Terrorismus und erklärt, warum das falsch ist und wir auf Terror stattdessen mit besserer Integration reagieren sollten.

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"Kampf gegen Terror ist auch ein Kampf für Freiheit"
Frank-Walter Steinmeier Quelle: REUTERS
Klaus Bouillon Quelle: dpa
Horst Seehofer Quelle: dpa
Andreas Scheuer Quelle: dpa
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Thomas Strobl Quelle: dpa
Heiko Maas Quelle: dpa

WirtschaftsWoche Online: Herr Krieger, der IS hat sich zu dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt bekannt. Es ist das größte Attentat in einer ganzen Reihe von mutmaßlichen IS-Attentaten, die über Deutschland ergingen. Politiker aller Couleur fordern nun schärfere Sicherheitsmaßnahmen. Ist das sinnvoll?
Tim Krieger: Momentan herrscht in der Politik das Gefühl vor, sehr viel tun zu müssen. Letztlich hat sich die Gefahrenlage in Deutschland aber nicht verändert, so spektakulär und grausam dieses Attentat auch wirkt. Opfer eines Terroranschlags zu werden, ist weiterhin sehr unwahrscheinlich. Aus ökonomischer Sicht sind die Maßnahmen, die debattiert werden, recht hochgegriffen. Viele Wünsche der Innenpolitiker und Sicherheitsbehörden gibt es schon sehr lange, sie sind aber wegen ihres wenig überzeugenden Kosten-Nutzen-Verhältnisses in der Vergangenheit immer wieder vom Parlament abgelehnt worden. Sie waren zu teuer, an ihrer Effektivität und wegen der damit verbundenen Einschränkungen der Bürgerrechte bestanden Zweifel. Insgesamt sind die Forderungen eine sehr reflexartige, aber normale Reaktion. Vor dem Hintergrund der nächsten Bundestagswahl und dem Erstarken der AfD will keine Partei wirken, als unternähme sie nichts gegen die terroristische Bedrohung.

Tim Krieger ist Ökonom und Terrorismusforscher. Seit 2012 hat er an der Universität Freiburg die Wilfried-Guth-Stiftungsprofessor für Ordnungs- und Wettbewerbspolitik inne. Quelle: Privat

Das scheint kein reines AfD-Phänomen zu sein. Der CDU-Mann und Vorsitzende der Innenminister-Konferenz, Klaus Bouillon, sprach nach dem Anschlag vom „Kriegszustand“, auch wenn er das später wieder zurücknahm.
Das hat mit Unkenntnis, fehlender Sensibilität und der Ungenauigkeit der politischen Kommunikation zu tun. Aktuell versuchen viele, mit diesem Anschlag politische Gewinne zu erzielen, indem sie provozieren. Das halte ich für hoch problematisch. Davon profitieren nicht nur bestimmte Akteure aus dem politischen Bereich, sondern auch die Terroristen.

Inwiefern?
Terroristen haben ein Interesse daran, ein klares Feindbild heraufzubeschwören: Wir sind die Guten und die sind die Bösen. Genau so mobilisieren populistische Politiker Menschen. Eine scharfe Konfrontation spült den Jihadisten neue Mitglieder in die Hände. In dem Moment, in dem Moslems in Deutschland sehr stark unter politischen Druck geraten, gehen salafistische Anwerber auf sie zu: „Schaut mal, die Mehrheitsgesellschaft hasst euch. Darauf könnt ihr nur mit Hass reagieren.“ Das ist eine ganz einfache Strategie. Politiker, die das befeuern, handeln unverantwortlich. Sie schüren bewusst Ängste.

Welche Rolle spielen die Medien dabei?
Die reale Gefährdungslage gibt es nicht her, dass ein Thema wie Terrorismus hier über Tage so hoch gehängt wird. Natürlich sind die Menschen aufgewühlt und haben ein Informationsbedürfnis, dieses grausame Ereignis ist noch ganz frisch. Aber wenn wir Stimmen hören, die sagen, sie seien gestern noch über einen Weihnachtsmarkt gegangen und fühlten sich jetzt verunsichert, wird das Ganze sehr emotional. Die Medien transportieren diese Emotionen, was ja legitim ist. Sobald die Debatte allerdings emotional ist, ist es für Populisten ein Leichtes, mit ihren politischen Botschaften genau an dieser Stelle anzuknüpfen.

Das bedeutet der Anschlag von Berlin für die Sicherheit in Deutschland

Seit Tagen patrouillieren an den Bahnhöfen nun Polizisten mit Automatikwaffen. Erhöht das nicht die gefühlte Bedrohung?
In einer solchen Notsituation ist das ein Signal an die Bürger, dass die Politik etwas tut. Das stärkt kurzfristig das Sicherheitsgefühl, deswegen ist diese Maßnahme verständlich. Aber de facto wenig effektiv. Sie hilft nur temporär und ist konsumtiver Natur: Die Polizisten sammeln massenhaft Überstunden und in dem Moment, in dem sie die abbauen, ist die Sicherheit weg und es bleibt nichts. Das Denken, das in der Sicherheitsdebatte vorherrscht, ist sehr statisch. An bestimmten Orten versucht man, die Bedrohung komplett auszuschließen. Aber jemand, der töten will, findet immer eine Menschenmenge, in die er hineinfahren kann oder in der er eine Bombe zünden kann. Das Perfide an Terroristen ist ja, dass sie sich genau die Orte für ihren Anschlag aussuchen, die besonders erfolgsversprechend sind. Sie haben für ihre Tat meist nur eine Chance. Sehr stark gesicherte Ziele greifen Terroristen im Zweifelsfall nicht an, aber wir können nicht jeden öffentlichen Platz mit Polizisten absichern. Von daher müssen wir realistisch bleiben. Zumal viele der diskutierten Maßnahmen viel Geld kosten, das an anderer Stelle gebraucht wird.

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