Eigentlich sollte es nur eine kleine "Informations- und Diskussionsveranstaltung" sein, zu der der Verein "Wahlalternative 2013" in die Stadthalle des Taunusstädtchens Oberursel eingeladen hatte. Doch dann wurde daraus mehr. Einige Medien hatten fälschlicher Weise angekündigt, das werde der offizielle Auftakt der neuen Partei „Alternative für Deutschland“ sein. Die Resonanz von Interessenten sei daraufhin so gewaltig gewesen, berichtet Bernd Lucke, VWL-Professor und einer der drei Sprecher der neuen Partei, dass man gar nicht mehr anders konnte, als von einer Gründungsveranstaltung zu sprechen.
Konrad Adam, Oberurseler und pensionierter Redakteur der "Welt" und der FAZ, ist neben Lucke Sprecher der AfD und einer der Initiatoren. "Die Zeit ist reif" ruft er zur Begrüßung und erntet enthusiastischen Beifall. Mehr als 1300 Menschen kamen am Montagabend trotz Schneegestöber in die Stadthalle. Dann stellt Adam die wichtigsten Forderungen der neuen Partei vor: Auflösung des "Euro-Zwangsverbandes", Herrschaft des Rechts, konkret: Rückkehr zu den Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages, und eine Volksabstimmung für den Fall, "dass das Grundgesetz, die beste Verfassung, die Deutschland je hatte", in seinem Bestand verändert werde. Die erste Forderung sei eine Frage des Anstands, die zweite eine des Rechts und die dritte eine des Bundesverfassungsgerichts. "Wir befinden uns also in bester Gesellschaft", sagte Adam in prophylaktischer Absicht „gegen diejenigen, die uns in eine Ecke drängen wollen, in die wir nicht gehören“.
Dass die Furcht vor der rechten Ecke durchaus angebracht ist, zeigt die Berichterstattung auf tagesschau.de. Von der "Verrohung der Politik" und "emotionalisierten Feindbildkampagnen", die ein Düsseldorfer Politologe dort der AfD vorwirft, war in Oberursel allerdings nichts zu spüren. Das Interesse der überregionalen Presse war groß, die Fragen sachlich. Allein das ZDF meinte, statt eines Nachrichtenredakteurs den Satiriker Carsten van Ryssen von der "Heute-Show" schicken zu müssen. Natürlich fand der auch ein Opfer im Publikum, das auf Ryssens Aufforderung hin wirre Thesen - "Merkel, hör mir zu!" - in die Kamera rief. Aber repräsentativ war dieser Mann sicher nicht. Eine enthusiastische, aber ernste Stimmung herrschte unter den meist älteren, honorigen Männern und Frauen, kein Geschrei, kein Gepolter von Wichtigtuern. So stellt man sich das deutsche Bürgertum vor. Oberursel eben. Lustig machen kann man sich über solche Menschen schlecht.
Vom Andrang der Veranstaltung und von 300 Unterstützer-Mails pro Tag fühlt sich Lucke bestätigt: "Es gibt in der Bevölkerung ein großes Maß an Unruhe, das nach einem Ausdruck sucht", sagt Lucke. Und um ihn ihr zu geben, habe man die Initiative "Wahlalternative 2013" und jetzt die neue Partei "Alternative für Deutschland" gegründet. Laut einer Umfrage von Infratest Dimap vom August des vergangenen Jahres, hielten es 34 Prozent der Deutschen "für besser, schnell die D-Mark wieder einzuführen." Adam berichtet von "wildfremden Leuten, die auf mich zukamen und ihre Hilfe anboten." Mehrere Tausend Menschen hätten sich bereit erklärt, im Wahlkampf ehrenamtlich zu helfen, sagt Lucke.
Die formale Gründung fand am 6. Februar statt. Die jetzige Führung durch drei Sprecher – Lucke, Adam und die Journalistin Dagmar Metzger - soll auf einem Gründungsparteitag am 14. April in Berlin durch einen gewählten Vorstand abgelöst werden. Erklärtes Ziel ist die Teilnahme an den Bundestagswahlen. Dafür müssten bis zum 15. Juli alle nötigen Unterlagen beim Bundeswahlleiter vorliegen. Das ist durchaus ein anspruchsvolles Ziel, denn dazu gehören unter anderem Unterstützerunterschriften von einem Promille der Wahlberechtigten in jedem Bundesland.
Die großen Parteien sollen umdenken
„Wenn wir in den Bundestag einziehen, wird der Effekt sein, dass die großen Parteien anfangen umzudenken. Dann wird ein Prozess in der Union, der SPD und der FDP einsetzen, der dazu führt, dass man auch die Währungsunion einmal kritisch hinterfragt“, sagt Lucke. Er hoffe darauf, dass die Wähler weitsichtig genug seien, zu erkennen, dass der augenblickliche, relativ gute Zustand der deutschen Volkswirtschaft vielleicht nicht von Dauer sei.
Die AfD will, so betonen Lucke und Adam, aber keine Ein-Themen-Partei der Euro-Gegner sein. Auch jenseits der Währungsfrage sei das Zusammenwachsen Europas eine zentrale Frage. Einen starken europäischen Staat lehnt Lucke ab: „Unsere Kritik hat Ähnlichkeit mit der von David Cameron“. Für Adam ist nach eigener Aussage der dritte Schwerpunkt der wichtigste: Die Zukunft der Demokratie angesichts der „Degeneration“ des Parlamentarismus. „Wir haben ein Parlament, das sich von der Exekutive einschüchtern ließ durch die Behauptung der Alternativlosigkeit“, sagt Lucke. Auch für andere Politikfelder, vor allem Bildung, Demografie, Integration werde man ein Programm entwickeln.
Viele der bekennenden Unterstützer und Mitglieder der neuen Partei sind zwar frühere Anhänger von Union oder FDP, aber in ein Rechts-Links-Schema wollen sich Adam und Lucke nicht einordnen lassen. "Wir vertreten unideologische Werte, die Menschen verschiedener Auffassungen teilen können", sagt Lucke.
Die Sammelbewegung "Wahlalternative 2013", aus der die Partei hervorgeht, kooperierte zunächst mit den Freien Wählern. Deren Misserfolg bei der Landtagswahl in Niedersachsen (1,1 Prozent) war jedoch ernüchternd. Mittlerweile ist die Kooperation aufgelöst. Lucke gibt dafür "strukturelle Gründe" an, auf die er nicht näher eingehen wolle. Auch seien die Freien Wähler zu "zaghaft", indem sie nur die Rettungspolitik, aber nicht die Währungsunion an sich in Frage stellten.
Zu den öffentlichen Unterstützern der Partei beziehungsweise ihrer Vorläuferorganisation gehören rund 13.000 Menschen, darunter zahlreiche bekannte Ökonomen wie Joachim Starbatty, emeritierter VWL-Professor in Tübingen und Schüler Alfred Müller Armacks. Er gehörte zu den Klägern gegen die Euro-Rettungspakete vor dem Bundesverfassungsgericht. Keine der etablierten Parteien dürfte einen derart hohen Anteil an promovierten oder gar habilitierten Mitgliedern haben.
Adam, Lucke und der stellvertretende Sprecher und frühere Staatssekretär Alexander Gauland, sind ehemalige CDU-Mitglieder. Adam und Gauland gehörten dem so genannten Berliner Kreis an, einer Gruppe CDU-interner Konservativer. Das in der "Zeit" als "Rebelliönchen" gegen Angela Merkel bezeichnete Projekt scheiterte am Druck der Parteiführung und internen Querelen. Lucke, Gauland und Adam haben ihrer Ex-Partei nun offen den Kampf angesagt.