Antisemitismusbericht Juden fühlen sich in Deutschland unsicher

Hassbotschaften im Netz bereiten der jüdischen Bevölkerung in Deutschland Sorgen. Antisemitismus ist in der Gesellschaft weit verbreitet, zeigt der Bericht einer Expertenkommission. Vor allem auch unter den muslimischen Zuwanderern.

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Die Zuwanderung von Muslimen verunsichert die jüdische Bevölkerung in Deutschland. Judenfeindliche Botschaften im Netz lösen Angst vor Übergriffen aus. Aber Antisemitismus ist in der Gesellschaft insgesamt weit verbreitet. Quelle: dpa

Berlin Juden in Deutschland fühlen sich zunehmend bedroht. Zum einen sind sie durch die Rhetorik der Rechtspopulisten verunsichert, zum anderen sehen sie Antisemitismus unter Muslimen als wachsendes Problem. Die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft nimmt Antisemitismus dagegen nicht als relevantes Problem wahr.

Zu diesen Ergebnissen kommt der Antisemitismusbericht, der am Montagmorgen in Berlin vorgestellt wurde. Ein unabhängiges Expertengremium hat im Auftrag des Bundestages die aktuelle Entwicklung des Antisemitismus in Deutschland untersucht. Im Fokus steht vor allem die Perspektive der Betroffenen.

Ein Grund dafür, dass sich Juden in Deutschland zunehmend um ihre Sicherheit sorgen, liegt laut dem Expertenbericht in der gewachsenen Bedeutung sozialer Netzwerke. Auf Facebook, Twitter & Co werden Hassbotschaften und antisemitische Hetze verbreitet. Die Experten fordern deshalb eine verbesserte Erfassung und Ahndung antisemitischer Straftaten sowie die Stärkung von Beratungsangeboten für Juden, die von Angriffen und Beleidigungen betroffen sind.

Offen antisemitische Einstellungen seien in der deutschen Bevölkerung seit dem ersten Antisemitismusbericht 2012 gesunken, erklärte Juliane Wetzel, Antisemitismusforscherin und Mitglied der Expertenkommission. Israelbezogener Antisemitismus sei jedoch bei 40 Prozent der Gesellschaft verbreitet. Dieser liege beispielsweise vor, wenn alle Juden pauschal mit dem Staat Israel gleichgesetzt würden.  

Anfang April hatte der Fall eines 14-jährigen jüdischen Jungen für Aufsehen gesorgt, der an einer Berliner Schule von türkisch- und arabischstämmigen Mitschülern beleidigt und angegriffen wurde. Die Eltern des Jungen warfen der Schulleitung vor, zu spät auf die Beleidigungen und Angriffe, denen ihr Sohn ausgesetzt war, reagiert zu haben. Der 14-Jährige hat die Schule im Berliner Stadtteil Friedenau inzwischen verlassen.

Die Alternative für Deutschland (AfD) behauptete daraufhin auf ihrer Facebook-Seite, sie sei die einzige Partei Deutschlands, die auf ein Antisemitismusproblem im Islam bereits seit 2014 regelmäßig hinweise. Die AfD vertritt die These, Flüchtlinge aus muslimischen Ländern würden Antisemitismus nach Deutschland importieren. Parteimitglieder sollen damit gar in jüdischen Seniorenheimen um Wählerstimmen geworben haben.  Der Zentralrat der Juden hatte Anfang April an seine Mitglieder appelliert, sich nicht von der antimuslimischen Rhetorik der AfD umgarnen zu lassen.


Herkunft entscheidet

Marina Chernivsky ist eine der Autoren des Antisemitismusberichts und Leiterin des „Kompetenzzentrums für Prävention und Empowerment“ der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Sie sagt, wer Muslime als eine Gruppe herausgreife, in der antisemitische Einstellungen besonders verbreitet sind, lenke davon ab, dass Antisemitismus ein Problem ist, dass die ganze Gesellschaft betrifft: „Auf diese Weise wird eine Gruppe stigmatisiert, um die Mehrheit zu entlasten.“ Nach wie vor sei Antisemitismus vor allem unter Rechtsextremen verbreitet, die zunehmend in der AfD ihre politische Heimat fänden. Sie betont jedoch, es gehe nicht darum, Muslime in Schutz zu nehmen. Die Befragung von Juden in Deutschland habe gezeigt, dass verbale Andeutungen und Beleidigungen aus der ganzen Gesellschaft kämen, körperliche Angriffe jedoch eher auf Muslime zurückgingen.

Der Expertenbericht weist darauf hin, dass Antisemitismus sich weniger durch die Religion als durch die Herkunft erklären lasse. Insbesondere Migranten aus arabischen bzw. nordafrikanischen Ländern neigten zu antisemitischen Einstellungen. Die Sozialisation in Kulturen, in denen Antisemitismus stärker verbreitet sei, spiele eine wichtige Rolle. Es gelte zu differenzieren: Junge Muslime seien deutlich antisemitischer als gleichaltrige Nichtmuslime, aber ähnlich antisemitisch wie ältere Nichtmuslime. Eine höhere Schulbildung trage generell zu weniger Antisemitismus bei.

Auch der erste Antisemitismusbericht 2012 hatte für Debatten gesorgt. Damals attestierten die Experten einem Fünftel der Deutschen „latenten Antisemitismus“. Tief verwurzelte Klischees und Unwissen über Juden und das Judentum seien „weit in die gesellschaftliche Mitte“ verbreitet, hieß es in dem Bericht. Die Experten, zu denen Politologen, Historiker, Soziologen und Praktiker aus Präventionsprojekten zählen, hatten damals an die Politik appelliert, eine langfristige und nachhaltige Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus in Deutschland zu entwickeln.

Der grüne Politiker Volker Beck, Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe des Bundestags, kritisierte bei der Vorstellung des aktuellen Berichts, es habe sich seit der Veröffentlichung der ersten Studie nichts verändert. Auch Petra Pau (Die Linke) sagte, Antisemitismus sei nach wie vor ein Problem in der Gesellschaft, auch in der sogenannten Mitte, und werde zu häufig relativiert. Barbara Woltmann (CDU/CSU) und Gabriele Fograscher (SPD) kündigten an, die Ergebnisse des Antisemitismusberichts sollten noch in dieser Legislaturperiode im Bundestag debattiert werden.

 

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