Arbeit Erfahrungen mit dem Mindestlohn

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Kein Spaziergang: Quelle: dpa

Genau deshalb hat ihr der einheitliche Mindestlohn für alle Beschäftigten in der Branche auf die Stimmung geschlagen: „Bei den Mitarbeitern wurde er als Vergleichsmaß für den Wert verschiedener Berufe interpretiert“, sagt Schülke. Dass dabei die Angestellten in der Pflegebranche pauschal mindestens 8,50 Euro pro Stunde bekommen, während beispielsweise Glas- und Fassadenreinigern 11,13 Euro oder Dachdeckern 10,80 Euro zustehen, frustrierte Schülkes Mitarbeiter. „Branchen, in denen es einen Mindestlohn gibt, werden von möglichen Interessenten als zweitklassig wahrgenommen“, so Schülke.

Mindestlohn kann auch frustrierend für Beschäftigte sein

Auch IW-Wissenschaftler Lesch sieht den Mindestlohn hier in einem Dilemma: Ist er hoch genug, geht von ihm ein motivierender Effekt auf die Beschäftigten aus. Ist er allerdings niedrig, schlägt die günstige Nebenwirkung schnell in eine frustrierende Wirkung um.

Schülke ärgert sich zudem über die Kontrollbürokratie: Der Zoll ist für die Überwachung der Löhne zuständig, bei ihr standen die Beamten zuletzt morgens um sieben Uhr vor der Tür, um Lohnzettel zu überprüfen, andere berichten von Kontrollen auf offener Straße. Schülke fühlt sich kriminalisiert: „Wir fürchten um unser Ansehen.“ Sie deutet den Mindestlohn als politische Maßnahme zur Beruhigung der Gemüter der Tarifpartner.

Denn der Mindestlohn muss in der Pflegebranche wirkungslos bleiben, gelten hier doch nur eingeschränkt Marktmechanismen. Alle Leistungen bis zum Deckelungsbetrag von 440 Euro pro Monat in der niedrigsten Stufe trägt die Pflegeversicherung. Würden per Gesetz die Löhne erhöht, stiegen auch die Kosten. Der Gesetzgeber müsste dann den Pflegebetrag erhöhen und damit die Lohnerhöhung letztlich selbst tragen. Deshalb wird die Lohngrenze so niedrig angesetzt, dass sie als politisches Signal wirkt, aber keine realen Folgen hat.

Nimmt man die Erfahrungen aus dem Elektrohandwerk und der Pflegebranche zusammen, offenbaren sich zwei so typische, wie unterschiedliche Spuren, die der Mindestlohn in den 14 Jahren seit der ersten Festschreibung im Baugewerbe in der deutschen Wirtschaft hinterlassen hat. Wie im Elektrohandwerk wurde der Lohnsatz in den meisten Branchen so niedrig angesetzt, dass negative Arbeitsmarkteffekte innerhalb Deutschlands größtenteils wohl ausgeblieben sind. Gerade dadurch hat der Lohn jedoch, wie die Pflegebranche zeigt, eine unerwünschte Nebenwirkung ausgelöst: Die Teilung in Mindestlohnbranchen und freie Branchen hat dem Image ersterer einen schweren Schaden zugefügt.

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