Angela Merkel trägt grün. Man sollte das gleich zu Beginn erwähnen, weil die Bundeskanzlerin die Farbe ihrer Blazer bei wichtigen Auftritten mit Bedacht auswählt. Wenn sie also für ihre Rede beim Deutschen Arbeitgebertag eine grasgrüne Jacke mit einer schwarzen Hose kombiniert, dann könnte das zweierlei bedeuten. Erstens will sie maximale Präsenz demonstrieren. Wer unter einigen hundert Herren und einigen Dutzend Damen in dunklen Hosenanzügen in Knallfarbe erscheint, zeigt Selbstbewusstsein. Und zweitens wird sich Angela Merkel an diesem Tag mit einem in diesen Kreisen nicht ganz so heimischen Redner beim Duell messen: mit Jürgen Trittin, dem grünen Fraktionschef im Bundestag und gefühlten Beinahe-Kanzlerkandidaten der Öko-Partei. Der Mann, der seine oft widerspenstige Partei auf Regierungsfähigkeit trimmt, freilich darf erst als Letzter ans Rednerpult – nach dem verbindlich-aufrechten SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und dem in großen Bögen erzählenden FDP-Vormann im Bundestag, Rainer Brüderle.
Applaus für Merkel
Als Angela Merkel den Saal mit den großen Glaslüstern und Stofftapeten betritt, steckt Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt schon mitten in seiner Rede. Gerade ist vom Arbeitsmarkt die Rede, der sich in ungewohnt guter Verfassung befinde. Als Merkel zu ihrem Platz schreitet, brandet tosender Beifall auf. Hundt hält sich mit einer kurzen Begrüßung auf, dann geht es weiter im Manuskript. Zwei Minuten später betritt Jürgen Trittin den Saal – und Hundt redet unbeirrt weiter. Es sei falsch, wenn von linker Seite immer wieder der Niedriglohnsektor beklagt würde. Da gehe es doch vielmehr um Chancen für Menschen, die sonst keine hätten. Auch Trittin nimmt in Reihe eins Platz. Er sitzt weit links außen. Und niemand beklatscht seine Ankunft.
Hohe Erwartungen
An diesem Dienstag ist der Grüne zum ersten Mal bei den Arbeitgebern zu Gast. Auch die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Frank-Walter Steinmeier, und der FDP, Rainer Brüderle, haben ihren Auftritt. Doch am höchsten sind die Erwartungen in Merkel und in Trittin. In den Grünen – weil er hier noch ein Exot ist. Und in die Bundeskanzlerin – weil sie die Macht hat. So viel offensives Wohlwollen wie bei ihrem BDA-Auftritt jedenfalls dürfte ihr lange nicht mehr entgegengeschwappt sein. Weder in der eigenen Partei noch beim lästigen liberalen Koalitionspartner.
Nur wenig hatte Dieter Hundt zuvor noch bekrittelt. Dass die Bundeskanzlerin Sozialministerin Ursula von der Leyen bei der Zuschussrente stoppen müsse. Dass sie ihre Zusage einhalten müsse, ein Tarifeinheitsgesetz auf den Weg zu bringen. Dass die Regierung bei der Haushaltskonsolidierung ambitionierter sein könnte. In Sachen Europa gibt der Arbeitgeberpräsident Merkel aber ein dickes Lob mit auf den Weg. Bei der Euro-Rettung seien die Arbeitgeber ganz auf Linie der Regierung. „Für ihren enormen Einsatz und ihr persönliches Engagement möchte ich der Bundeskanzlerin allerhöchsten Dank aussprechen.“
Merkel zeigt sich humorvoll
Derart eingeleitet wird die Rede der Kanzlerin zu einer Art Heimspiel. Wenn Angela Merkel sich wohlfühlt, dann kann sie am Rednerpult viel trockenen Humor versprühen. Und ganz offensichtlich fühlt sie sich bei den Arbeitgebern ziemlich wohl. Seit 60 Jahren sei die Stimme der BDA gut vernehmbar, kokettiert sie. „Und das hat sich auch mit Ihnen nicht geändert, Herr Prof. Hundt“, sagt Merkel. Als der Saal vernehmbar kichert, schließlich haben manche dem 74-jährigen Hundt schon unterstellt, er könne von seinem Amt nicht lassen, schiebt Merkel nüchtern hinterher: „Das sollte ein Kompliment sein.“
Die Kanzlerin sagt viel von dem, was den Damen und Herren in ihren dunklen Anzügen gefällt. Dass man Wachstum nicht durch Gesetze verordnen könne. „Unternehmen brauchen Freiraum und Leitplanken. Und genau das macht auch unser Verhältnis aus.“ Dass die Wirtschaft den Euro brauche, dass man Krisenländern aber strenge Vorgaben machen müsse. Und dann macht sie noch ein paar Ankündigungen. Schließlich naht das Wahljahr – und anders sind ihre Worte kaum zu verstehen. Die Bundesregierung wolle nochmal einen Anlauf wagen, die kalte Progression zu mindern – wenn nur die Opposition im Bundesrat zustimme. Und sie werde sich darum kümmern, ein Tarifeinheitsgesetz auf den Weg zu bringen. Dazu würde sie auch alle Beteiligten, auch BDA und DGB, ins Kanzleramt einladen. Nur eines verspricht die Kanzlerin nicht: Ursula von der Leyen bei ihren Rentenplänen zu stoppen: „Ich muss Frau von der Leyen vor nix schützen, und Sie muss ich ja auch nicht vor Frau von der Leyen schützen“, frotzelt Merkel auf der Bühne. Dennoch erntet sie am Ende tosenden Applaus.
Bundesumweltminister Altmeier präsentiert Reformen für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)
Trittin punktet nicht mit Sympathie
Jürgen Trittin hat es da sichtlich schwerer, obwohl er sich den Gastgebern optisch stärker angepasst hat als Frau Merkel. Er trägt einen schmalen dunkelblauen Anzug samt weißem Hemd und blau-weiß gestreiftem Binder von der Sorte, die sonst öfter FDP-Männer zieren. Nur die störrische Strähne hoch über der Stirn, die an die belgische Comicfigur Fantasio erinnert, hüpft etwas aus der Reihe.
Trittin zeigt sich schneidend, schlau und seriös – nur nicht unbedingt sympathisch. Anschließend wird er in eine Fernsehkamera sagen, die Veranstaltung sei gut für den „offenen Schlagabtausch“. Die übrigen Redner nutzen das Podium eher, um sich den Unternehmern und Verbandsleuten anzunähern. Im Gegensatz zu allen Vorrednern wippt er drahtig hinterm Rednerpult herum und wiederholt ein ums andere Mal seine Kritik an der Regierung: „Das alles können wir uns nicht leisten.“ Der 58jährige greift das geplante Betreuungsgeld und die Einwanderungspolitik der Regierung an, die nichts gegen den Fachkräftemangel ausrichte. Dagegen habe die rot-grüne Koalition vor zehn Jahren und danach mit der Agenda 2010 schmerzhafte Reformen geschafft – „auch um den Preis, die Mehrheit zu verlieren“.
Der kühle Analytiker
Die Rede ist ein deutliches Zeichen dafür, wie der Vormann der Grünen, der freilich noch eine Urwahl um die Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl bestehen muss, seine Partei in Richtung Regierung trimmt. Er präsentiert sich als kühlen Analytiker, der im Ernstfall in der Regierung sparsam mit Geld umginge. Die Grünen als bessere Marktwirtschaftler. Dabei doziert er eher vor seinem Publikum, als mit ihm zu sprechen.
Er rechnet durch, warum die Energiewende seiner Ansicht nach zurzeit stottert. Zuviel erneuerbare Energie? Nein, eine Abwehrschlacht der etablierten Erzeuger um Marktanteile. Zu wenig neue Stromtrassen? „Das liegt nicht daran, dass Froschschützer im Wattenmeer sitzen.“ Der Netzbetreiber Tennet habe schlicht sein ganzes Geld aufgebraucht und könne deshalb nicht bauen. Die Energiewende als Kostenfaktor für die Industrie? Insgesamt stimme das nicht, sie schaffe neue Arbeitsplätze und sorge gar für sinkende Preise an der Strombörse. Wer ist dann schuld? Für Trittin ist das die Regierung: „Ich sage das böse Wort: Marktmanipulation.“ Die schwarz-gelbe Koalition habe zu viele Betriebe von den Umlagen zur Energiewende ausgenommen und dadurch die Kosten für die übrigen aufgebläht.
Kein Mitleid für Griechenland
Auch beim Euro hält Trittin seine Tonart durch, dass er fürs Sparen und ehrbare Wirtschaften eintrete. „Griechenland soll man nicht aus Mitleid retten.“ Gehe das Land pleite, werde es aber auch für Unternehmen teuer. „Solch einen Kostenschub kriegt keine Gewerkschaft hin.“ Trotzdem müsse gespart, künftige Krisen durch harte Regeln und Kontrollen vermieden und die Verschuldung auch des deutschen Staates gesenkt werden.
Dann verblüfft Trittin sein Publikum noch ein bisschen. Die Grünen wollten Subventionen im großen Stil abbauen und eine moderate Vermögensabgabe für Mehfachmillionäre zum Abbau alter Schulden nutzen. Der Rad fahrende Fraktionschef, der keinen Führerschein hat, verkündet schließlich: „Wir waren immer stolz auf unsere Infrastruktur.“ Doch nun müsse dringend Geld für Beton und Teer her. „Wir können ja nicht mal mehr Straßen und Brücken erneuern.“
Am Ende erntet Trittin Applaus, der es fast mit dem seines Vorredner Rainer Brüderle aufnehmen kann.